Название | Drei Dichter ihres Lebens |
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Автор произведения | Stefan Zweig |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783750242401 |
Dieser Typus des selbstdarstellenden Künstlers weiß jede Kunstform mit seinem Ich zu erfüllen, aber nur in einer erfüllt er sich ganz: in der Autobiographie, im umfassenden Epos des eigenen Ich. Jeder unter ihnen strebt ihr unbewußt zu, wenige vermögen sie zu erreichen, erweist sich doch von allen Kunstformen die Selbstbiographie als die seltenst gelungenste, weil verantwortungsvollste aller Kunstgattungen. Selten wird sie versucht (kaum ein Dutzend geistwesentlicher Werke zählt die unermeßliche Weltliteratur), selten auch versucht sich an ihr psychologische Betrachtung, denn sie müßte unverweigerlich aus der geradgängigen literarischen Zone bis ins tiefste Labyrinth der Seelenwissenschaft hinabsteigen. Auch hier maßt sich selbstverständlich Verwegenheit nicht an, im Engpaß einer Vorrede die Möglichkeiten und Grenzen irdischer Selbstdarstellung bloß annähernd abzutasten: nur das Thematische des Problems sei zum Einklang mit einigen Andeutungen präludiert.
Unbefangen betrachtet, müßte Selbstdarstellung als die spontanste und leichteste Aufgabe eines jeden Künstlers erscheinen. Denn wessen Leben kennt der Gestalter besser als sein eigenes? Jedwedes Geschehnis dieser Existenz ist ihm gewärtig, das Geheimste bewußt, das Verborgenste von innen offenbar – so brauchte er, um »die« Wahrheit seines Daseins und Gewesenseins zu berichten, keine andere Anstrengung, als das Gedächtnis aufzublättern und die Lebensfakten abzuschreiben – ein Akt also, kaum mühevoller, als im Theater den Vorhang über schon gestaltetem Schauspiel aufzuziehen, die abschließende vierte Wand zwischen sich und der Welt zu entfernen. Und noch mehr! Sowenig Photographie malerisches Talent erfordert, weil ein phantasieloses, bloß mechanisches Einfangen einer schon geordneten Wirklichkeit, scheint die Kunst der Selbstdarstellung eigentlich gar keinen Künstler zu bedingen, nur einen rechtschaffenen Registratur; prinzipiell vermag ja auch jeder Beliebige sein eigener Selbstbiograph zu werden und seine Fährnisse und Schicksale literarisch zu gestalten.
Aber die Geschichte belehrt uns, daß niemals einem gewöhnlichen Selbstdarsteller mehr gelungen ist, als bloße Zeugnisleistung über Tatsachen, die ihm der pure Zufall verstattete, mitzuerleben; das innere Seelenbild aus sich selbst zu erschaffen, fordert dagegen immer den geübten, schauensmächtigen Künstler, und selbst unter ihnen wurden nur wenige diesem äußersten und verantwortungsvollsten Versuche vollendet gerecht. Denn kein Weg erweist sich als dermaßen ungangbar im Zwitterlicht zweifelhafter Irrlichtserinnerungen wie der Niederstieg eines Menschen von seiner offenbaren Oberfläche ins Schattenreich seiner Tiefen, aus seiner atmenden Gegenwart in seine überwachsene Vergangenheit. Wieviel Verwegenheit muß er aufbringen, um vorbei an seinen eigenen Abgründen, auf dem engen, glitschigen Gang zwischen Selbsttäuschung und willkürlichen Vergeßlichkeiten hinabzutasten in jene letzte Einsamkeit mit sich selbst, wo, wie bei Faustens Gang zu den Müttern, die Bilder des eigenen Lebens nur noch als Symbole ihres einstmaligen wirklichen Daseins »reglos ohne Leben« schweben! Welch heroischer Geduld und Selbstsicherheit wird er bedürfen, ehe er das erhabene Wort berechtigt auszusprechen vermag »Vidi cor meum«, »Ich habe mein eigenes Herz erkannt!« Und wie mühsam die Rückkehr vom Innersten dieses Innern dann wieder empor in die widerstrebende Welt der Gestaltung, von der Selbstschau zur Selbstdarstellung! An nichts vermag man die unermeßliche Schwierigkeit solchen Unterfangens deutlicher zu erweisen als an der Seltenheit ihres Gelingens: die zehn Finger der Hand zählen die Menschen schon nach, denen seelenplastisches Eigenbildnis in geschriebenem Worte gelungen, und selbst innerhalb dieser relativen Vollendungen, wieviel Lücken und Sprünge, wieviel künstliche Ergänzungen und Verkleisterungen! Gerade das Naheliegendste erweist sich in der Kunst immer als das Schwierigste, das scheinbar Leichte als die gewaltigste Aufgabe: keinen Menschen seiner Zeit und aller Zeiten hat der Künstler mehr Not, wahrhaftig zu gestalten, als sein eigenes Ich.
Was aber drängt dennoch von Geschlecht zu Geschlecht immer wieder neue Versucher zu dieser vollendet kaum lösbaren Aufgabe? Ein elementarer Antrieb zweifellos und tatsächlich dem Menschen zwanghaft zugeteilt: das eingeborene Verlangen nach Selbstverewigung. In Fließendes gestellt, von Vergängnis umschattet, zu Wandlung und Verwandlung bestimmt, fortgerissen von der unaufhaltsam strömenden Zeit, ein Molekül innerhalb von Milliarden, sucht jeder unwillkürlich (dank der Intuition der Unsterblichkeit) sein Einmal und Niemehrwieder in irgendeiner dauernden, ihn überdauernden Spur zu erhalten. Zeugen und Sichbezeugen, das meint im tiefsten Grunde eine und die gleiche urtümliche Funktion, ein und dasselbe identische Bestreben, wenigstens eine flüchtige Kerbe im beharrlich weiterwachsenden Stamme der Menschheit zu hinterlassen. Jede Selbstdarstellung bedeutet darum nur die intensivste Form eines solchen Sich-bezeugen-Wollens, und ihre ersten Versuche entraten noch der Kunstform des Bildes, der Hilfe der Schrift; Steinblöcke über einem Grab geschichtet, Tafeln, die in ungelenken Keilen verschollene Taten rühmen, geritzte Holzrinden – in dieser quadernen Sprache redet die erste Selbstdarstellung einzelner Menschen zu uns durch den hohlen Raum von Jahrtausenden. Unerforschlich sind längst diese Taten geworden, unverständlich die Sprache jenes zerstäubten Geschlechts: aber unverkennbar spricht aus ihnen der Impuls, sich zu gestalten, zu erhalten und über den eigenen Atemzug eine Spur des Einen und Einzigen, der man gewesen, lebendigen Geschlechtern zu übermitteln. Dieser unbewußte, dumpfe Wille zur Selbstverewigung ist also der elementare Anlaß und Anbeginn jeder Selbstdarstellung.
Erst später, tausend und abermals Hunderte von Jahren später in einer bewußteren und wissenderen Menschheit gliedert ein zweiter Wille dem noch nackten und dumpfen Selbstbezeugungstriebe sich zu, das individuale Verlangen, sich als ein Ich zu erkennen, sich zu deuten um des Selbstwissens willen: die Selbstschau. Wenn ein Mensch, wie Augustinus so wundervoll sagt, »sich selbst zur Frage wird« und eine Antwort, die ihm und nur ihm allein gehörige Antwort sucht, wird er, um ihn deutlicher, übersichtlicher zu erkennen, den Weg seines Lebens wie eine Landkarte vor sich entrollen. Nicht den andern wird er sich erklären wollen, sondern zunächst sich selbst; hier beginnt eine Wegscheide (heute noch in jeder Selbstbiographie erkenntlich) zwischen Darstellung des Lebens oder des Erlebens, der Veranschaulichung für andere oder der Selbstveranschaulichung, der objektiv äußerlichen oder der subjektiv innerlichen Autobiographie – Mitteilung oder Selbstmitteilung. Die eine Gruppe tendiert immer der Offenkundlichkeit zu, und die Beichte wird ihre eigentliche Formel, Beichte vor der Gemeinde oder Beichte im Buche; die andere ist monologisch gedacht und genügt sich meist im Tagebuch. Nur die wahrhaft komplexen Naturen wie Goethe, Stendhal, Tolstoi haben hier eine vollendete Synthese versucht und in beiden Formen sich verewigt.
Selbstschau aber, noch ist sie ein bloß vorbereitender, ein noch unbedenklicher Schritt: jede Wahrhaftigkeit hat es noch leicht, wahr zu bleiben, solange sie sich selber gehört. Erst mit ihrer Übermittlung beginnt die eigentliche Not und Qual des Künstlers, erst dann ist Heroismus der Aufrichtigkeit von jedem Selbstdarsteller gefordert. Denn gleich urtümlich, wie jener kommunikative Zwang uns drängt, das Einmalige unserer Person brüderlich allen mitzuteilen, waltet im Menschen ein Gegentrieb, der ebenso elementare Wille zur Selbstbewahrung, zur Selbstverschweigung: er spricht zu uns durch die Scham. Genau wie die Frau körperlich zur Hingabe durch Willen des Blutes strebt und durch Gegenwillen des wachen Gefühls sich selbst bewahren will, so ringt im Geistigen jener Beichtwille, uns der Welt anzuvertrauen, mit der Seelenscham, die uns rät, unser Geheimstes zu verschweigen. Denn der Eitelste selbst (und gerade er) empfindet sich nicht als vollkommen, nicht als dermaßen