Später Besuch. Thomas Hölscher

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Название Später Besuch
Автор произведения Thomas Hölscher
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750218970



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Augenblick war Börner irritiert und grinste linkisch. "Ach, es war einfach so wie immer, nur in dieser Situation viel unausweichlicher. Da war Milewski, bei allen Kollegen beliebt und für jeden Blödsinn zu haben, und da war ich, höchstens respektiert und ansonsten am liebsten von hinten gesehen."

      "Also wieder dein ... dein Männerbild?"

      Börner nickte langsam. "Nur so schlimm war es noch nie zuvor gewesen."

      " Warum war es noch nie so schlimm gewesen? "

      " Vielleicht wegen des Pferdes", sagte Börner schnell. Und als wolle er das bei Bremminger nun fast zwangsläufig hervorgerufene Gefühl, an der Nase herumgeführt zu werden, noch verstärken, sagte er noch einmal: "Natürlich, vor allem wegen des Pferdes."

      Bremminger wollte sich aber ganz offensichtlich nicht mehr an der Nase herumführen lassen, sondern wurde plötzlich ernst. "Richard, du musst mir eines versprechen." Er zögerte einen Augenblick; Börner hatte nur mitbekommen, dass Bremminger ihn endlich wieder mit dem Vornamen anredete. "Du darfst nie mehr umfallen, wenn du Milewski wiedersiehst."

      Börner sah Bremminger verständnislos an. "Warum sollte ich? Eher würde ich Schluss machen, als noch einmal vor Milewski zu Kreuze zu kriechen."

      "Du versprichst es also?"

      "Für mich ist Milewski gestorben", sagte Börner. "Ich habe ihn außerdem seit fast vier Jahren nicht mehr gesehen. Aber was soll das eigentlich?"

      "Dann ist es ja gut", sagte Bremminger nur. Auch auf Börners Drängen war er nicht bereit, sein seltsames Anliegen zu erklären, sondern bestand darauf, dass Börner weiter erzählte.

      Es hatte für Börner Probleme gegeben; denn angeblich war Milewski überhaupt nicht bereit gewesen, sich von Börner wie ein dummer Junge nach Hause bringen zu lassen. Er habe noch auf einer Runde für die Kollegen bestanden, und erst als dann auch die Kollegen auf ihn einredeten, hatte Milewski die Wirtschaft verlassen. Draußen habe Börner sich fürchterlich geschämt, weil er Milewski wie ein quengeliges Kind hinter sich hatte herziehen müssen und Milewski schon auf der Hauptstraße zweimal den Bordstein übersah und der Länge nach hinstürzte. Mehrere Passanten hätten lachend oder kopfschüttelnd zu ihnen hergesehen, aber das sei Milewski völlig gleichgültig gewesen.

      Dann habe er Milewski von Bremmingers Anruf erzählt, und der habe seine Mitarbeit beim 7.K. als große Ehre und Bestätigung empfunden. Und natürlich hatte er sich das alles schon gedacht: Mit der Firma Brenner konnte ja etwas nicht stimmen! Und natürlich der Rauschgiftschmuggel: Das war es doch, womit man heute das große Geld machte, da spielte die Musik! Und beim 1.K. habe man nichts anderes zu tun, als sich darum Gedanken zu machen, weshalb ein Schwuler einen anderen Schwulen umbrachte.

      "Du kannst dir vorstellen, dass ich in diesem Augenblick Rot gesehen habe." Börner sah Bremminger an, aber Bremminger sagte nichts. "Als ich ihm dann auch noch sagte, dass sich Wels am Nachmittag in der U-Haft erhängt habe, wurde Milewski geradezu unverschämt: Na Gottseidank! hat er gesagt. Was sollen wir denn solche Subjekte auch noch bis an ihr Lebensende auf Staatskosten durchfüttern! Da habe ich ihm dann gesagt, dass wir den wirklichen Mörder von Brenner doch noch gar nicht gefasst haben. Natürlich hat Milewski das alles überhaupt nicht verstanden, er hat mich ausgelacht und als Spinner hingestellt."

      Börner machte eine Pause, weil er nun irgendeine Bemerkung von Bremminger erwartete; aber der wurde nur ungeduldig: "Und dann? Was war dann?"

      "Dann habe auch ich mit Milewski gewettet."

      "Was habt ihr gemacht?"

      "Wir haben gewettet, wer den Fall eher löst."

      Bremminger sah Börner fassungslos an. "Ich kann das nicht glauben."

      Börner grinste. "Milewski wollte es zunächst auch nicht glauben. Aber ich habe ihm gesagt, ich wette mit dir, dass ich allein ohne eure Hilfe den Fall eher aufkläre als ihr alles zusammen."

      "Milewski hat mir nie davon erzählt."

      Börner lachte. "Kann ich mir vorstellen. Wahrscheinlich hat er die ganze Sache ohnehin nicht ernst genommen. Oder aber er war so betrunken, dass er sie am nächsten Tag schon vergessen hatte."

      "Aber du hast die Sache natürlich ernst genommen?"

      Börner nickte. "Vor allem wegen der Art, wie Milewski über den Selbstmord von Wels geredet hatte." Er zögerte einen Augenblick. "Weißt du, bis zu dem Tag hatte ich einen Ekel davor gehabt, so zu sein wie Wels. Aber plötzlich hatte sich etwas geändert. Ich konnte mir sagen: Gut, vielleicht bin ich so wie Wels, aber da gibt es dann immer noch einen riesigen Unterschied. Wenn der sich umbringt, werde ich mich wehren. Mit allen Mitteln werde ich mich wehren."

      "Was war dir eigentlich wichtiger", fragte Bremminger plötzlich. "Diesen vermeintlichen Mörder von Brenner zu finden oder die Wette mit Milewski zu gewinnen."

      Wieder grinste Börner. "Auch wenn du es ohnehin nicht verstehst: Für mich war das ein und dasselbe."

      Bremminger nickte nur. "Ich glaube, mittlerweile verstehe ich ganz gut."

      Dass Bremminger gar nichts verstand, davon war Börner sofort überzeugt, aber er sagte es nicht. Wie auch? Wie sollte schließlich jemand wie Bremminger ihn verstehen?

      Die Frage nach seiner Motivation bei der ganzen Sache hätte ihn womöglich irgendwann sogar dazu gebracht, einzugestehen, dass damals zwei Ergeignisse, die natürlich absolut gar nichts miteinander zu tun hatten, in seinem damaligen Denken untrennbar miteinander verbunden waren. Ursache und Wirkung eben: Milewskis Wette mit Hebemann und Wels’ Selbstmord.

      Ein Ritual eben, hatte er immer schon gedacht. Ein weiteres Ritual, das nichts anderes darstellt als den Mythos von der Überlegenheit des Mannes. Des richtigen Kerls. Der um so größer und souveräner wurde, wenn er sich dem Vergnügen hingab, alles Schwache zu entlarven, zu degradieren und lächerlich zu machen. Je naiver es aussah, je unbewusster alles möglicherweise sogar geschah, desto wirkungsvoller war es. Mit allen Konsequenzen für die von vornherein Unterlegenen. Es gab keine Schuld, es gab nur Opfer.

      Aber gab es nichts wenigstens so etwas wie Verantwortung?

      "Was ist eigentlich mit dem Gaul passiert?", riss Bremmingers Stimme ihn plötzlich aus seinen Gedanken.

      "Mit welchem Gaul denn?", fragte Börner immer noch sichtlich irritiert.

      "Mit dem Gaul, den Milewski in die Wirtschaft geholt hat".“

      "Was soll damit passiert sein?"

      "Na, hör mal, Milewski holt dieses Vieh von der Kirmes, du holst Milewski aus der Kneipe und bringst ihn nach Hause. Habt ihr das Tier etwa vorher noch auf der Kirmes wieder abgegeben?"

      "Natürlich nicht."

      "Ist der Gaul dann vielleicht alleine nach Hause gelaufen?"

      Börner sah Bremminger völlig entgeistert an. "Woher soll ich das denn wissen? Irgendjemand von den Kollegen wird das Tier schon zur Kirmes zurückgebracht haben. Oder der Franz hat ihn da behalten und rheinischen Sauerbraten draus gemacht."

      Bremminger sah ihn noch eine Zeit lang an und schüttelte dann den Kopf. "Beides kann ich mir einfach nicht vorstellen. Wenn Milewski diesen Blödsinn veranstaltet, dann muss er doch auch dafür sorgen, dass alles wieder in Ordnung kommt. Ich würde mich jedenfalls nicht zum Affen machen und mit einem solchen Gaul abends mitten durch die Stadt laufen."

      "Ich weiß es jedenfalls nicht. Und außerdem ist es doch auch völlig unwichtig.“

      "Das finde ich gar nicht."

      "Warum soll so etwas wichtig sein?"

      "Weil in deiner Aussage ganz einfach irgendetwas nicht passt, nicht stimmig ist. Und auch, weil Milewski an jenem Abend überhaupt nicht derart betrunken war, wie du behauptest. Am nächsten Morgen war er nämlich völlig nüchtern."

      11

      "Wo ist denn dein Klo?" fragte Bremminger plötzlich und erhob sich. "Ich muss nämlich mal."