Die Rebellion. Йозеф Рот

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Название Die Rebellion
Автор произведения Йозеф Рот
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750207318



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vergessen.

      Drei Tage vor der Ankunft der Kommission begab sich Andreas in die Baracke Bossis, den er immer gemieden hatte. Zwanzig Lahme und Einbeinige waren um den Schmied versammelt und sahen ihm in einer leidenschaftlichen Stille zu. Vielleicht hofften sie auf die ansteckende Wirkung des Zitterns. Jedenfalls verspürte bald der eine und bald ein anderer ein heftiges Zucken in Knien, Ellenbogen und Handgelenken. Sie gestanden es einander nicht. Einzelne schlichen davon und probierten zu zittern, wenn sie einen Augenblick allein waren.

      Der mißtrauische Andreas, der Bossi aus ganz unbestimmten Gründen nicht leiden mochte, zweifelte zuerst an der Krankheit. Neid erfaßte ihn und zum erstenmal Bitterkeit gegen die Regierung, die just Zitterer belohnen wollte und keine andern. Zum erstenmal durchdrang ihn eine Erkenntnis von der Ungerechtigkeit derjenigen, die zu befehlen und zu bestimmen hatten. Plötzlich fühlte er, daß seine Muskeln zuckten, sein Mund sich verschob, sein rechtes Augenlid zu flackern begann. Ein freudiger Schrecken überfiel ihn. Er humpelte davon. Seine Muskeln beruhigten sich. Sein Augenlid flackerte nicht mehr.

      Er schlief nicht ein. Im Finstern kleidete er sich an, und ohne Krücken, um die Schlafenden nicht zu wecken, die Hände auf den Kopf des Bettes und auf den Tisch stützend, schwang er sein Bein zum Fenster und ließ den Oberkörper nachfolgen. Er sah ein Stück der nächtlichen Wiese und das schimmernde, weiß gestrichene Gitter. Länger als eine Stunde stand er so und dachte an einen Leierkasten.

      Es ist ein heller Sommernachmittag. Andreas steht im Hof eines großen Hauses, im Schatten eines alten, breiten Baumes. Es mag eine Linde sein. Andreas dreht die Kurbel seines Kastens und spielt: »Ich hatt' einen Kameraden«. Oder: »Draußen vor dem Tore« oder die Nationalhymne. Er ist in Uniform. Er trägt sein Kreuz. Aus allen offenen Fenstern fliegen Münzen, in Seidenpapier eingewickelte. Man hört den gedämpften Metallklang des fallenden Geldes. Kinder sind da. Dienstmädchen lehnen über die Fensterbrüstungen. Sie achten der Gefahr nicht. Andreas spielt.

      Der Mond kam über den Rand des Waldes, der vor den Baracken lag. Es wurde hell. Andreas fürchtete, seine Kameraden könnten ihn entdecken. Er wollte nicht mitten in der fahlen Helle stehen. Er schwang sich wieder ins Bett.

      Zwei Tage lebte er still und versonnen.

      Die Kommission kam. Jeder wurde einzeln hereingerufen. Ein Mann stand an der Portiere, welche die Kommission vor den Augen der wartenden Invaliden verbarg. Der Mann schlug jedesmal die Portiere zurück und warf einen Namen hinaus. Jedesmal löste sich ein gebrechlicher Körper aus der Reihe der anderen, schwankte, humpelte, polterte und verschwand hinter dem Vorhang.

      Die gemusterten Invaliden kamen nicht mehr zurück. Sie mußten den Saal durch einen anderen Ausgang verlassen. Sie bekamen einen Zettel und gingen dann in ihre Baracken, packten ihre Sachen und krochen zur Endstation der Straßenbahn.

      Andreas wartete unter den anderen, er beteiligte sich nicht an ihrer geflüsterten Unterhaltung. Er schwieg, wie einer, der sich nicht verraten will und der in der Furcht lebt, eine kleine Äußerung könnte ihn verleiten, sein ganzes großes Geheimnis herzugeben.

      Der Mann schob den Vorhang zurück und warf den Namen Andreas Pum in den Saal. Einigemal pochte Andreas Pums Krücke auf den Boden und widerhallte in der eingetretenen Stille.

      Plötzlich begann Andreas zu zittern. Er sah den Vorsitzenden der Kommission, einen hohen Offizier mit goldenem Kragen und blondem Bart. Bart, Antlitz und Uniformkragen vermischten sich zu einer Masse aus Gold und Weiß. Jemand sagte: »Noch ein Zitterer.« Die Krücken in Andreas' Hand begannen selbständig über den Boden zu hüpfen. Zwei Schreiber sprangen auf und stützten Andreas.

      »Lizenz!«, befahl die Stimme des hohen Offiziers. Die Schreiber drückten Andreas auf einen Stuhl und eilten an ihre Arbeit. Schon saßen sie gebeugt über raschelnden Papieren, und ihre Federn tanzten.

      Dann hielt Andreas ein Bündel Papiere in der zappelnden Hand und humpelte zur Tür hinaus.

      Als er seine Sachen zu packen anfing, verließ ihn das Zittern. Er dachte nur: Ein Wunder ist geschehen! Ein Wunder ist geschehen!

      Er wartete im Klosett, bis alle Kameraden verschwunden waren. Dann zählte er sein Geld.

      In der Straßenbahn machten ihm die Leute Platz. Er wählte den besten der ihm angebotenen Plätze. Er saß gegenüber dem Eingang, neben ihm lag seine Krücke, quer über die Mitte des Wagens, wie ein Grenzpfahl. Alle sahen Andreas an.

      Er fuhr in das Hospiz, das ihm bekannt war.

      3

      Der Leierkasten stammt aus der Drehorgelfabrik Dreccoli & Co. Er hat die Form eines Würfels und ruht auf einem hölzernen Gestell, das man zusammenklappen und tragen kann. An zwei Riemen trägt Andreas seinen Kasten auf dem Rücken, wie einen Tornister. An der linken Seitenwand des Instruments befinden sich nicht weniger als acht Schrauben. Mit ihrer Hilfe bestimmt man die Melodien. Acht Walzen enthält der Kasten, darunter die Nationalhymne und die »Lorelei«.

      Andreas Pum hat seine Lizenz in einer Brieftasche, die eigentlich einmal der Ledereinband eines Notizbuches war und sich zufällig in einem Misthaufen gefunden hat, an dem Andreas täglich vorbeigeht. Mit der Lizenz in der Tasche wandelt der Mensch sicher durch die Straßen dieser Welt, in denen die Polizisten lauern. Man scheut keine Gefahr, ja, man kennt keine. Die Anzeige des brotneidischen bösen Nachbarn brauchen wir nicht zu beachten. Auf einer Postkarte teilen wir der Behörde mit, worum es sich handelt. Wir schreiben knapp und sachlich. Wir sind sozusagen der Behörde gleichgestellt, dank unserer Lizenz. Wir sind von der Regierung ermächtigt, zu spielen, wo und wann es uns gefällt. Wir dürfen an den belebten Straßenecken unsern Kasten aufstellen. Selbstverständlich kommt nach fünf Minuten die Polizei. Lassen wir sie ruhig herankommen! Mitten in einem Kreis gespannt zusehender Leute ziehen wir unsere Lizenz hervor. Die Polizei salutiert. Wir spielen weiter, was uns gerade in den Sinn kommt: »Mädchen, weine nicht!« – und »Schwarzbraunes Mägdlein!« – und »An der Quelle saß der Knabe!« – Für ein mondänes Publikum haben wir einen Walzer aus der vorjährigen Operette.

      Andreas kann, je nach seiner Stimmung, die Kurbel so schnell drehen, daß der Walzer flott und kriegerisch wird wie ein Marsch. Denn er selbst hat manchmal ein Bedürfnis nach einer Marschmelodie, besonders an kühlen und trüben Tagen, wenn sich der Regen durch Schmerzen in der Gegend des amputierten Beins ankündigt. Das längst begrabene Bein tut ihm weh. Die Stelle am Knie, an der es abgesägt wurde, läuft blau an. Das Kissen in der Kniehöhlung der hölzernen Krücke ist nicht mehr weich genug. Es ist mit Roßhaaren gefüttert und schon durchgetreten. Es müßte mit Daunen gefüttert sein, oder mit Pelz. An solchen Tagen muß Andreas einige Taschentücher, in die Kniehöhlung der Krücke legen. Sie sind kein richtiger Ersatz.

      Die Schmerzen verschwanden, sobald der Regen kam. An Regentagen aber konnte Andreas nicht viel verdienen. Das Wachstuch, einst glänzend, hart und wasserdicht, war an einzelnen Stelle gesprungen, Risse durchzogen seine Fläche und bildeten eine Art Landkarte. Gelang es dem Regen, was Gott bis jetzt verhütet hatte, durch die Hülle in das edle Holz und durch dieses in das Innere des Instruments zu dringen, so waren die Walzen verloren.

      Andreas stand, wenn es regnete, stundenlang in einem jener freundlichen Hausflure, in denen das »Betteln und Hausieren« nicht verboten war, in denen kein scharfer Hund wachte und kein knurriger Hausbesorger oder gar dessen Frau die Heiligkeit des Hauseinganges hüteten. Denn mit dem weiblichen Geschlecht hatte Andreas unangenehme Erfahrungen gemacht. Sie hinderten ihn nicht, von der grausamen Süße einer vorläufig noch ganz unbestimmten Frauenhand zu träumen, die man sein eigen nennen könnte. Andreas besaß keinen alltäglichen Geschmack: je bissiger der Fluch einer Frau war, die ihn zur Flucht veranlaßte, je schneidender der Klang ihrer Stimme, je drohender die Haltung ihrer Gestalt, desto besser gefiel sie ihm. Und während er der ungastlichen Pförtnerin den Rücken kehrte, entzückte ihn ihre Weiblichkeit in dem Maße, in dem ihn der unerwartete Verdienstentgang enttäuschte. Abenteuer dieser Art bestand Andreas oft. Es waren seine einzigen Erlebnisse. Sie beschäftigten seine Nächte, schufen ihm Traumbilder von wehrhaften Frauen, und die Gedanken an sie begleiteten, wie ein malerischer Text, die seriösen unter den Melodien seines Leierkastens.