Название | Geschichten aus einem anderen Land |
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Автор произведения | Joachim Gerlach |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783737529198 |
Gleichzeitig mit dem Auslieferungsbescheid traf kurz vor Weihnachten die Stornierungsmitteilung zum Bilanzentscheid ein, Wunderlich überbrachte beide in der Hand haltend wie die letzten Reste eines Skatblattes und streckte sie Holstein entgegen.
„Zieh, Holstein, aber der Schwarze Peter ist auch dabei.“
Holstein schnappte sich einen der Zettel: Stornierung der Bilanzzuweisung, Verdammter Mist!
Wann mit der nächsten Maschine zu rechnen war, stand in den Sternen. Wahrscheinlich würde es wieder ein ganzes Jahr dauern oder gar noch länger. Das hieß, er müsste weiter trocken programmieren und Einsatzvorbereitung betreiben. Das würde nicht nur den Kollegen auffallen, die jetzt schon neidisch auf ihn guckten, sondern auch seinem Chef. Dann wäre er wieder mit Mode bei den Agitationseinsätzen in den Betrieben und ähnlichem Schwachsinn, und da sei Gott vor und die Preußen!
„Zeig mir doch mal den anderen Wisch her.“
Mitteilung vom VEB Robotron: Personalcomputer A5130, Seriennummer 3436, steht zur Abholung bereit, bitte melden im Außenlager bei Kollegen xyz.
„Was soll das denn?“
„Na, die Linke weiß offensichtlich wieder einmal nicht, was die Rechte tut. Nichts Neues also. Gib mir die Stornierung her, ich halte sie bis morgen erst einmal zurück. Aber sieh zu, dass du die Kiste noch heute herbeiholen kannst. Bevor du dich auf die Socken machst, hier noch einer zum Aufwärmen:
Staatsbürgerkundeunterricht Klasse sieben: Was bedeuten die Symbole des Staatsemblems der DDR? Ingrid? - Der Hammer steht für die Arbeiter. - Richtig. Werner? - Der Ährenkranz für die Bauern. - Prima, auch richtig. Matthias? - Die Ingenieure bedeutet der Zirkel. - Hervorragend Kinder, alles richtig. Fritzchen, was denn noch? - Mein Vater. - Bitte? Wieso dein Vater? Was macht dein Vater? - Parteisekretär. - Und wo steckt der im Emblem? - Na die kleine Niete oben im Zirkel.
He, he, he, ...“
Holstein, Wunderlichs Meckern verhallend im Ohr, hastete zur Tür hinaus und raste zur Fahrbereitschaft, ein Barkas-Transporter mit Pritsche ohne Plane stand noch auf dem Hof.
„Komm Kollege, schnell, wir müssen zu Robotron, einen Comptuter abholen. Hier ist der Fahrauftrag.“
Der als Kollege Angesprochene schaute gelangweilt von seinem Fahrersitz durch die Windschutzscheibe.
„Müssen müssen wir gar nichts“, orakelte er weise. „Nur sterben müssen wir.“
„Ich mach dir gleich Feuer unter deinem Arsch, du Nicht-Müsser“, schnaubte Holstein empört.
Der Fahrdienstleiter lugte ob des einsetzenden Gelärms aus seinem Kabuff. Was ist das denn für ein Rabatz da draußen? Jeden Morgen das gleiche, alle wollen sie ein Auto haben, am Nachmittag stehen die Fahrzeuge dann ungenutzt herum.
Der Kollege Fahrer startete den Motor, Holstein kraxelte in die Kabine, schob einen alten, total mit Öl gesättigten Putzlappen vom Sitz und los ging’s. Im Außenlager von Robotron wiesen sie sich mit der Abholbescheinigung aus, suchten sich unter hunderten dort abgestellter Rechner den ihren heraus und verluden ihn auf den Barkas. Niemand von den dort Beschäftigten ahnte, dass die Bilanzzuteilung inzwischen rückgängig gemacht worden war. Also schnell quittieren und ab, so fix es geht. Keine dummen Fragen stellen, wer dumm fragt, kriegt auch dumme Antworten. Was man einmal hat, kann einem schlecht wieder weggenommen werden. Womöglich fällt in dem allgemeinen Wirrwarr die bilanzwidrige Entnahme des Rechners nicht einmal auf.
Den Erfolg galt’s zu begießen, so verabredeten sich Holstein und Wunderlich nach Dienstschluss auf ein Glas, oder auch zwei, in der neueröffneten Bierstube nahe des Rathauses. Die war als sie kamen schon randgefüllt, von außen sah man die Trauben um den Tresen stehen, kaum ein Durchkommen möglich, die wenigen Tische restlos belegt und von Wartenden umstellt. Anstelle des sonst üblichen Schildes an der Eingangstür „Bitte hier warten, Sie werden plaziert!“ hatte man vorsichtshalber einen Kellner in Livree und mit Parteiabzeichen außen postiert. Der wies jedermann ab, so auch Holstein. Wunderlich hakte nach, er kannte offenbar den Zugangsschlüssel. Das „Sesam – öffne dich“ erwies sich als ein Zwanzigmark-Schein, den Wunderlich andeutungsvoll dem Livrierten in der linken Hand versteckt zeigte. So wurden sie auch eingelassen, nicht bevor jedoch Wunderlich seine linke Hand in die etwas abstehende Jackentasche des Kellners versenkt hatte. Drinnen öffnete er die Hand wieder, neben dem Zwanziger befand sich nunmehr auch ein Fünfziger darinnen. Woher die plötzliche, gar wundersame Mehrung des Geldes in Wunderlichs Linker? Wunderlich klärte auf: „Als ich den Zwanziger in der Kellnertasche fallen lassen wollte, fühlte ich dort Scheine über Scheine. Da hab‘ ich lieber zugegriffen.“ Das brachte nur der Wunderlich fertig, frech wie Rotz. Womit sie die schon einmal die voraussichtlichen Spesen des Abends gedeckt hatten und es nicht einmal zu vermuten steht, dass der genasführte Parteikellner vom klammheimlichen Zugriff etwas bemerkte. Im oberen Raum um den Tresen war freilich nicht daran zu denken, in der nächsten halben Stunde auch nur ein Bier zu ergattern, also trabten sie nach unten und fanden dort in einem winzigen Raum überraschenderweise Platz. Nur vier Tische, einer davon belegt mit vier Damen mittleren Alters und einem Herrn, offensichtlich ein Arbeitskollektiv mit dem Herrn als Chef, eine „After-Work-Party“ wird man dazu in späteren Jahren sagen. Ein Tisch frei, die beiden anderen jeweils einfach besetzt, ein Kahlköpfiger und ein noch recht junger Bursche, beide schon ziemlich vom Alkohol beseelt. Holstein und Wunderlich setzten sich an den freien, bestellten die erste Runde, gleich darauf die zweite, die dritte ließ vorerst auf sich warten. Die Wartezeit vertreibend schauten sie sich im dämmrigen Raum um. Der Kahlköpfige spendierte eine Flasche Sekt für den Tisch der Damen und rückte seinen Stuhl etwas näher daran. Der junge Bursche gestikulierte deutlich mit Daumen und Zeigefinger in Richtung des Fünfer-Tisches, bis Holstein die Finger-Verweise auf sich und Wunderlich bezog, beim ersten flüchtigen Hinschauen aber nichts Bemerkenswertes feststellen konnte, erst beim zweiten. Nun zog der junge Bursche seine Stuhl an Holsteins Tisch und laberte stockend: „Eine Sauerei ist das, wirklich eine Sauerei. Arbeiten alle im Rathaus nebenan, sind fast jeden Tag hier, manchmal auch mittags. Wirklich richtige Schweine.“ Dann legte er eine Geldschein auf seinen Platz und entschwand, noch immer labernd: „Eine Sauerei, eine Sauerei.“ Holstein hatte die Ursache der Empörung inzwischen geortet: Der Verwaltungschef, sein Jacket lässig über die Lehne des Stuhles geworfen, das Parteiabzeichen deutlich sichtbar, saß hemdsärmelig mit zufriedenem Gesichtsausdruck zurückgelehnt, sowohl sein linker als auch sein rechter Arm waren irgendwo zwischen den Schenkeln der zu beiden Seiten neben ihm sitzenden Damen versenkt, beide Hände offensichtlich in Aktion. Die von diesem Treiben Betroffenen schien das aber nicht sonderlich zu berühren, denn sie unterhielten sich nach vorn gebeugt und so sich näher kommend über ganz sachliche Angelegenheiten, wie es den Anschein hatte sogar über dienstliche. Die dritte im Bunde, die an der Stirnseite, gluckste und kicherte ab und zu albern, ohne sichtbaren Anlass allerdings. Der vierten, der mit der mächtigen blonden Löwenmähne, war inzwischen der immerzu sektspendende Kahlkopf dicht auf den Pelz gerückt, seine eine Hand schon weit unter ihren Pulli, deutlich sichtbar einziges Kleidungsstück an ihrem Oberkörper, geschoben, nun setzte er an, auch die andere dorthin zu verbringen, nicht ohne jedoch vorher beim ab und zu vorbeischauenden Kellner eine weitere Flasche Schampus zu ordern. Holstein und Wunderlich hatten mittlerweile ihre Stühle so hingerückt, dass sie dem Treiben am Nachbartische ihre volle und gänzlich unverhohlene Aufmerksamkeit schenken konnten. Das scherte die dort Sitzenden einen feuchten Kehricht, und so erlebten Holstein und Wunderlich etwas, was sie ein paar Jahre später als Live-Show in jeder billigen Absteige hätten erleben können, allerdings diesmal nur auf das Vorspiel bezogen. Der eigentliche, der animalische Schlussakt blieb ihnen jedoch erspart, denn jäh endete das Vergnügen, als der Ehemann der Blondmähnigen den Raum betrat, nach leisem Hüsteln, das Herausfahren der Kahlkopfhände aus dem Pulli seiner Gattin und der Chefhände aus den Schenkeln seiner Tischdamen geflissentlich übersehend, bedeutete, dass er gekommen sei, seine Gemahlin nach Hause zu fahren. So erhoben sich auch die anderen und schickten sich, leicht taumelig schon, an, noch eine der umliegenden Nachtbars heimzusuchen. Die waren in aller Regel wegen Überfüllung kaum zugänglich, doch war es abzusehen, dass es dem männlichen Begleiter der verbleibenden drei Damen gelingen würde, mit Hilfe des Wunderlichen