Название | Der Mann, der den Teufel zweimal traf |
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Автор произведения | Herman Old |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783844290578 |
Die Diagnose
Prof. Dr. Jäger schüttelte den Kopf, als er den Befund ansah. Wieder ein Mensch zu lebenslänglich verurteilt. Axisfraktur, inkomplette Querschnittslähmung nach dem Bruch des fünften Halswirbels. Die Restfunktionen, die die Nerven noch aufwiesen, würden mit der Zeit auch verschwinden. Es gab Tage, da widerte ihn diese Diagnose dermaßen an, dass es kaum zu ertragen war. Während für die anderen Menschen das Leben in gewohnten Bahnen weiterging, brach bei den damit geschlagenen, die Welt ein für alle Mal zusammen. Es gab kein weiter oder von vorne. Kein zurückspulen des Lebens Filmes oder rechtzeitiges Umschalten auf einen harmlosen Sender. Es tat in der Seele weh, sehr weh. Die junge Frau war zweiundzwanzig Jahre alt. Sie hatte einen Sportunfall beim Stabhochspringen erlitten und sich wie der Volksmund so salopp sagte, das Genick gebrochen. Das Urteil war endgültig. Ein paar Fasern hielten sich noch hartnäckig fest, aber die würden wegen fehlender Aktivität auch irgendwann den Geist und ihre Funktion aufgeben. Traurigkeit war gar kein passender Ausdruck dafür, was er empfand. Er wollte Arzt werden, um den Menschen zu helfen. Beim Leben und beim Sterben. Aber in solchen Fällen stand seine Kunst vor einer unüberwindlichen Wand. Da zeigte es sich, dass alles Wissen der Ärzte doch ihre unüberwindbaren Grenzen hatte. Sie konnten totgesagte oft noch dem Tod von der Schippe holen, sie konnten viele, viele Krankheiten heilen oder so verlangsamen, so dass ein Weiterleben möglich war. Aber wenn die Nervenstränge durchtrennt waren, dann war es vorbei mit der Mobilität desjenigen. Die Medizin war heutzutage zu unglaublichen Leistungen fähig. Allein ein MRT oder CT, das waren die Offenbarungen bei der Diagnostik. Früher war man auf recht grobe Dinge wie Röntgen oder Ultraschall angewiesen. Diese Geräte taten ihren Dienst natürlich auch, waren aber eben ziemlich ungenau. Heute konnte man den Menschen virtuell in Scheiben schneiden, und eine viel sichere Diagnose stellen. Oder die Mikromedizin, das Elektronenmikroskop, welches einem einen ganz anderen Kosmos zeigte, als man bisher kannte. Man konnte minimalste Teilchen sehen und danach behandeln. Die Therapien wurden immer ausgefeilter. Selbst Krebsbehandlungen waren heute wesentlich einfacher und umfangreicher. Sogar aus dem homöopathischen Bereich war vieles in die reguläre Medizin übernommen worden. Globulis, die von der Pharmaindustrie geächteten Traubenzuckerkügelchen ohne nachweisbare Inhaltsstoffe, taten ihre Wirkung. An allen Ecken und Enden fanden kleine und große Revolutionen statt, die dem Menschen zum Vorteil reichten. Aber dann gab es auch diese endgültigen, unmenschlichen Diagnosen. Dieses „nie wieder“, war ein unfassbar hartes Urteil. Auch unfassbar für die Angehörigen, die in Zukunft ebenso mit dem Zustand des geliebten Menschen leben mussten. Da war noch manchem ein echtes Ende lieber als das. Lieber tot, als lebendig begraben, war die Devise einiger. Doch keiner konnte fühlen, was in diesen daliegenden, hilflosen Geschöpfen vor sich ging. Wollten sie um jeden Preis leben, oder wollten sie sterben, um einer grausamen Zukunft zu entgehen? Es war ein Dilemma, dieses nicht zu lösende Problem, das die Menschheit hatte. Einen Hund oder einen Hamster würde man einschläfern lassen. Man hätte das Gefühl, gnädig gewesen zu sein. Aber bei der eigenen Tochter, oder dem Sohn, oder dem Mann? Da gab es kein Überlegen, keine Gnade. „Mensch, du lebst, das ist doch schon mal was.“ Leb wohl, sagte man beim Abschied oft. Welch ein grausamer Witz in diesem Fall. Das Sterben war die eine Geschichte, eine die endete. Das unsägliche Weiterleben als querschnittsgelähmter aber, eine völlig andere. Professor Jäger hoffte für Ina, dass sie einen starken Lebens- und Überlebenswillen hatte, der sie weiter durchs Leben tragen würde. Ohne den gab man sich nämlich meistens auf und hatte als Gelähmter verloren. Das durfte nicht sein. Auch das Leben eines Menschen mit dieser Behinderung hatte noch positive Aspekte zu bieten. Auch wenn sie sicherlich auf ein Minimum reduziert waren. Aber dann wurden eben andere, kleinere Dinge, an die man ohne Behinderung erst gar nicht dachte, relevant. Er legte die Akte auf den Schreibtisch und sah seinen ältesten Sohn Jan an. Schau sie dir bitte mal an, wenn du Zeit hast. Sie liegt auf der neurologischen, 17 B.
Dr. Jan Jäger
Jan Jäger saß an Inas Bett und schaute ihr in die Augen. Er ertrank fast in diesen großen, gequält blickenden, grünen Augen. In seinem Kopf kreiste unaufhörlich der Gedanke. Mein Gott, da liegt ein Engel. Ein Engel ohne Flügel. Er tat sehr professionell bei ihrer Untersuchung, wollte auf keinen Fall Mitleid zeigen, konnte es aber nicht so ganz vermeiden. Sie hatte wieder ein leichtes Sedativa bekommen, da sie sehr unruhig war, bevor der Arzt kam. Es war besser sie noch eine Weile ruhig zu halten, als das man sie gleich mit der grausamen Wahrheit überfiel. Sie war durch das Beruhigungsmittel natürlich nicht komplett stillgelegt wie in einer Narkose, aber immerhin soweit beruhigt, dass ihre Vitalfunktionen nicht beeinträchtigt waren, und sie trotzdem ihre Umwelt wie durch einen leichten Schleier wahrnahm. Es machte die Sache einfach für eine Weile für alle Beteiligten leichter. Nicht nur sterbenden gab man heutzutage Sedativa, sondern auch leidenden. Das Schicksal dieser jungen Frau ging ihm gewaltig an die Nieren. Er nahm immer wieder Anteil am Schicksal seiner Patienten. Das war für ihn als Menschen normal, aber manchmal traf es ihn extrem, so wie hier. Im letzten Jahr hatte die Klinik zwei junge Menschen an den Krebs verloren. Ein kleines Mädchen von acht Jahren und einen zehnjährigen Jungen. Sie starben beide nacheinander innerhalb weniger Wochen, nachdem ihre Therapien in keinster Weise angeschlagen hatten. Der Tod wollte sie scheinbar haben. Alle in der Klinik, die mit den beiden vertraut waren und sie in der letzten Zeit