Am anderen Ende der Sehnsucht. Stefan G Rohr

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Название Am anderen Ende der Sehnsucht
Автор произведения Stefan G Rohr
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750231665



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passen ja sogar noch viel besser hierher, als es auf den ersten Blick zu vermuten schien!“ Isabella löste ihre Hand und als sie sich aufmachte, nach innen zu gehen um den Wunsch ihres Gastes und neuen Mitbürgers zu erfüllen, rief sie über ihre Schulter hinweg zurück: „Ich werde Ihnen mit einem Gläschen Gesellschaft leisten! … Ich meine, wenn Sie nichts dagegen haben.“

      Dagegen hatte Leon nur wirklich nichts, ganz im Gegenteil. Zum einen versprach diese junge Bekanntschaft einen kleinen Zeitraum in guter Gesellschaft, zum anderen war diese Isabella nun wahrlich keine Hässlichkeit. Das hatte er schließlich gleich bemerkt. Und derlei zu erkennen, das war ihm sehr wohl möglich, auch wenn er ganz intuitiv, ganz im Verborgenen seines Innersten wusste, dass er keinen einzigen Schritt über diese eine rote Linie, die ihm selbst noch gar nicht bewusst war, wird machen können.

      Isabella erschien nun wieder in der Türe. Sie stellte zwei Gläser auf den Tisch, zog den Stuhl von der anderen Seite herüber und setzte sich ganz unverblümt neben Leon, als wären sie schon lange beste Freunde.

      „Darf ich bekannt machen: Unser weltberühmtes und heißbegehrtes, nur in Kleinstmengen verfügbares, flaschenweise von mir höchst persönlich verkorktes Liebeswölkchen, Steilhanglage, großes Gewächs.“ Sie führte ihr Glas dich an ihre Nase. „Habe zur Feier Deiner Neubürgerschaft eine Flasche des letzten Goldmedaillengewinners geöffnet. Dieser Tropfen ist nun sechs Jahre alt und verdient es, mit einer gewissen Ehrfurcht verkostet zu werden. Ich hoffe, er mundet Dir.“

      Sie waren also schon beim `Du´, schoss es Leon durch den Kopf. Und warum auch nicht? Und nochmals merkte er, dass ihm dieser lustige und leicht singende Unterton dieser Region gut gefiel. Tönte dieser doch freundlich und auch irgendwie beherzt.

      Als der Wein seine Kraft und Güte im Gaumen von Leon entfaltete, erschien es ihm unmittelbar so, als hätte er zuvor stets nur Essig zu trinken bekommen. Im ersten Moment erfüllte ein massiver Fruchtgeschmack nach Pfirsich und mildem Honig seinen Gaumen. Hiernach kam eine angenehme Süße durch, die allerdings mitnichten diesen Tropfen als feinherb hätte bewerten dürfen. Vollmundig, dennoch zurückhaltend und galant überraschte dieser seinen Genießer. Nichts was Leon jemals zuvor probiert hatte, war hiermit vergleichbar. Und er verstand mit einem Mal, ganz ohne weitere Erkenntnis, warum die Väter dieses Kellerkunststückes den Namen „Liebeswölkchen“ vergeben haben. Leon war kein ausgewiesener Weinkenner. Vielmehr ein Konsument normaler Gattung, dem es zwar rudimentär möglich war, das Gute vom Schlechten unterscheiden zu können, doch hier saß er ganz offensichtlich inmitten höchster Winzer-Expertise, wohlmöglich wohnte sogar in jedem Haus ein Sommelier mit Prädikatsexamen. Und wenn sich schon Postboten zu Wein-Juroren entpuppten …

      „Und, wo wohnst Du?“ Isabella schien das Direkte zu bevorzugen.

      Leon nahm noch einen kurzen Schluck, saugte dazu wie ein Profi ein wenig Luft durch die gespitzten Lippen, ließ den Wein dann in seiner Kehle herunterlaufen und antwortete mit einer kurzen, aber vernehmbaren Pause: „Villa Theissen.“

      Sein Gegenüber runzelte die Stirn. „Villa wie …?“

      „Theissen!“ wiederholte Leon ohne zu zögern.

      Isabella schien etwas ratlos. „Tut mir Leid, kenne ich nicht. Wo soll das sein?“

      Leon war ebenso verwundert, da er davon ausging, dass diese schöne Örtlichkeit, so prominent gelegen, so auffällig sie war, doch im Örtchen bekannt sein sollte. „Ein Stück weit oberhalb der Brücke, den schönen Weg herauf, auf der anderen Seite des Flusses.“ Mehr konnte er nicht erklären, denn Straßennamen und genauere Ortsbezeichnungen waren ihm noch unbekannt.

      Isabella schien zu überlegen. Dann erhellte sich ihr Gesicht und sie hatte die Lösung gefunden: „Ach, ja … da oben also, direkt an der Klinik gelegen … das schöne alte Gebäude mit den gelben Mauern.“ Und nach einer kaum merklichen Pause fügte Isabella mit einem leicht gedämpften Unterton hinzu: „Da wohnst Du also …!“

      „Ja, gelb! Das ist richtig.“ bestätigte Leon schnell. „Aber Klinik?“

      Isabella lachte ein wenig spöttisch. „Na, Leon, ein wenig weiter zum Plateau hoch. Das kannst Du doch nicht übersehen haben.“

      Leon war das tatsächlich bisher im Verborgenen geblieben. Aber was sollte es auch? Wenn dort in der Nähe ein Krankenhaus war, so sollte ihn das doch nicht stören.

      Kapitel 2

      In das Örtchen hinunter zu marschieren, was Leon problemlos gelungen. Der Weg zurück hingegen, hinauf die Wege bis zur „Villa Theissen“, war dann doch etwas beschwerlicher, als er es vermutet haben könnte. Zudem hatte sich die beschwingte Laune, die sich nach und nach mit jedem weiteren Glas noch weiterhin probierter Jahrgänge der „Liebeswölkchen“ bei ihm eingestellt hatte, nunmehr in seine Beine verschlagen. Er war zwar nicht betrunken, doch auch die besten Rieslinge vermögen ihren Konsumenten in die Glieder zu fahren und den unbeschwerten Gang zumindest ein wenig einzuschränken. Und bei einem, wenn auch nicht allzu fordernden Anstieg hinauf zum Plateau, kam sicher nicht nur ihm die Einsicht, die nächste Probierstunde entweder mit weniger gefüllten Gläsern zu absolvieren, oder eben die Anzahl der Jahrgänge vorausschauend zu minimieren.

      Doch die Mühsal des Rückweges wurde Leon dadurch versüßt, da er mit einem durchaus angenehmen Empfinden, welches vor allem der Bekanntschaft mit Isabella geschuldet zu sein schien, vor sich hin stampfte. War diese junge Frau nicht nur apart, im Alter zu ihm sogar passend, es waren vor allem ihre Fröhlichkeit, die Unbeschwertheit, eine Unbekümmertheit, die sie umstrahlte, wie eine Corona die heilige Madonna. Selbst die Tatsache, so wie sie es Leon erzählte, dass das über Generationen in der Familie befindliche Weingut vor einigen Jahren fast gänzlich verloren gegangen war, sie als Letzte der Familie nun nur noch einige wenige Rebstöcke ihr Eigen nennen konnte und sich mit der Lese, dem Keltern und Verkauf eines eigentlich winzigen Volumens so gerade noch über Wasser halten konnte, nahm sie ihre Situation mit einer sonnigen Selbstverständlichkeit, die so positiv ausstrahlte, dass es Leon mehr als imponierte.

      Und natürlich hatte er sich vorgenommen, Isabella in ihrem Lädchen sobald es ging wieder zu besuchen. Das hatte er ihr sodann auch versprochen, jedoch mit eine vorsichtigen Betonung auf den Umstand, dass ihr kleiner Verkaufsladen, das puppenhafte Häuschen, das eigentlich ja nur ein halbes war, so angenehm abseits der Touristenrouten lag, auch die Sonne dort recht günstig einzufallen schien, und ihm natürlich der Wein ganz exzellent mundete. Und als sie ihm daraufhin ein besonders warmes Lächeln schenkte, da wurde Leon tatsächlich etwas rot im Gesicht, und er war sich auf einmal unsicher, ob er vielleicht nicht ein wenig zu offensichtlich sein Wohlbefinden bekundet haben würde.

      Als er die Villa erreichte und durch den Vorgarten zum Eingang kam, vernahm er Frau Theissen in ihrer Küche handwerkeln. Das Abendessen wäre demnach wohl auch in Kürze bereit, und so ging Leon schnell in sein kleines Appartement, um sich frisch zu machen und auch das Hemd zu wechseln. Kurz darauf nahm er bereits wieder die Stufen nach unten, schlenderte durch die immer noch leere Lobby in den großen Raum, den Frau Theissen mit einer leicht bebenden Feierlichkeit in ihrer Stimme als „Speisesaal“ bezeichnet hatte.

      Er war der erste Gast, der den Raum betrat. Der Tisch – vielmehr hätte diesem jedoch der Begriff `Tafel´ zugestanden - war gedeckt, die Gardinen zur zweiflügeligen Terrassentüre aufgezogen, und die gerade hinter den Weinbergen versinkende Sonne warf ihr letztes Licht in den Raum, welches diesen in einen warmen roten Ton tauchte, in dessen Lichtstrahlen ein paar schwebende Staubkörner zu entdecken waren. Die Decke des Raumes war mit einer alten Täfelung aus Eichenkassetten verziert, die dem Ganzen ein tatsächlich fürstlich wirkendes Ambiente verlieh. Inmitten des prächtigen Zimmers hing ein Leuchter aus Kristall, nicht allzu pompös, gerade der Größe des Raumes angemessen, ohne dabei aber zu bescheiden zu wirken. Die Tafel, die, wie es Leon nun abzählen konnte, für sechs Personen gedeckt war, war mit einem brokatenen Tischläufer belegt, in der Mitte erhob sich ein schwerer Kerzenleuchter, der gewiss aus massiven Silber gefertigt war. Das Porzellan war elfenbeinfarben, kunstvoll mit einem leichten Blumendekor verziert, an den Rändern