Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen

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Название Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke
Автор произведения Hans Christian Andersen
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783746750194



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der Ostsee und Nordsee liegt ein altes Schwanennest, dort sind und werden Schwäne geboren, die niemals sterben sollen.

      In der Vorzeit flog eine Schaar von Schwänen über die Alpen nach Mailands grünen Ebenen, wo es gar herrlich zu wohnen war; dieser Schwanenzug wurde Longobarden genannt.

      Eine andere Schaar mit glänzendem Gefieder und treuen Augen schwang sich nach Byzanz, setzte sich dort an den Thron des Kaisers und breitete ihre großen Schwingen als Schilde aus, um ihn zu beschirmen. Sie erhielt den Namen Wäringer.

      Von Frankreichs Küste scholl ein Schrei der Angst, der blutigen Schwäne wegen, welche mit Feuer unter den Flügeln aus dem Norden kamen, und das Volk betete: »Gott befreie uns von den wilden Normannen!«

      Auf Englands frischem Rasen stand der dänische Schwan auf offenem Strande, mit dreifacher Königskrone auf dem Haupte; sein goldenes Scepter streckte er über das Land aus.

      Die Heiden an Pommerns Küste beugten das Knie, und die dänischen Schwäne kamen mit der Flagge des Kreuzes und mit gezogenem Schwerte.

      »Das war in uralten Tagen!« sagst Du.

      Auch in jüngerer Zeit sah man mächtige Schwäne dem Neste entfliegen.

      Es leuchtete weit durch die Luft, es leuchtete weithin über die Länder der Welt; der Schwan zerstreute durch seine starken Flügelschläge den dämmernden Nebel, und der Sternenhimmel wurde sichtbar, es war, als ob er der Erde näher käme; das war der Schwan Tycho Brahe.

Illustration: Hutschenreuter/Petersen

      »Ja, damals!« sagst Du, »aber in unseren Tagen!«

      Da sahen wir Schwan neben Schwan fliegen in herrlichem Fluge. Einer ließ seine Schwingen über die Saiten der Goldharfe gleiten, und es klang durch den Norden; Norwegens Berge hoben sich höher im Sonnenlichte der Vorzeit; es rauschte in der Tanne und in der Birke; des Nordens Götter, Helden und edle Frauen zeigten sich auf dem tiefen dunklen Waldgrunde.

      Wir sahen einen Schwan mit seinem Flügel den Marmorfelsen schlagen, so daß er barst, und die in Stein gebundenen Schönheitsgestalten schritten an den sonnenhellen Tag, und die Menschen in den Ländern rings umher erhoben ihre Häupter, um diese mächtigen Gestalten zu schauen.

      Wir sahen einen dritten Schwan den Gedankendraht spinnen, welcher von Land zu Land, rund um die Erde befestigt wird, so daß das Wort mit der Schnelligkeit des Blitzes durch die Länder fährt.

      Unser Herr hat das alte Schwanennest zwischen der Ost- und Nordsee lieb. Und kommen die mächtigen Vögel durch die Luft um es zu zerreißen: so stellen sich selbst die federlosen Jungen im Kreise auf den Rand des Nestes, sie lassen sich in die Brust hauen, sodaß ihr Blut fließt; sie schlagen mit dem Schnabel und mit der Klaue.

      Jahrhunderte werden noch vergehen, Schwäne werden dem Neste entfliegen, man wird sie rund umher in der Welt sehen und hören, ehe die Zeit kommt, wo man im Geiste und in der Wahrheit sagen kann: »Das ist der letzte Schwan, der letzte Gesang aus dem Schwanenneste!«

      In Dänemark liegt ein Schloß Namens Kronburg. Es liegt dicht am Oeresund, wo die Schiffe jeden Tag zu Hunderten durchfahren, englische, russische und auch preußische Schiffe. Sie begrüßen das alte Schloß mit Kanonen: »Bum!« Und das Schloß antwortet mit Kanonen: »Bum!« Denn so sagen die Kanonen statt »Guten Tag!« und »Schönen Dank!« – Im Winter segeln da keine Schiffe; dann ist alles mit Eis bedeckt bis hinüber zur schwedischen Küste; aber es hat ganz das Aussehen einer Landstraße; da weht die dänische und schwedische Flagge, und Dänen und Schweden sagen einander: »Guten Tag!« »Schönen Dank!« aber nicht mit Kanonen, nein! mit freundlichem Handschlag; und der Eine holt Weißbrot und Brezeln bei dem Andern, denn fremde Kost schmeckt am besten. Aber das Schönste vom Ganzen ist doch das alte Kronburg, und hier ist es, wo Holger Danske in dem tiefen finstern Keller sitzt, wohin Niemand kommt. Er ist in Eisen und Stahl gekleidet und stützt sein Haupt auf die starken Arme; sein langer Bart hängt über den Marmortisch hinaus, in welchem er festgewachsen ist; er schläft und träumt, aber im Traume sieht er Alles, was hier oben in Dänemark vorgeht. Jeden Weihnachtsabend kommt ein Engel Gottes und sagt ihm, daß Das richtig sei, was er geträumt habe, und daß er ruhig weiter schlafen könne, Dänemark befinde sich noch in keiner wirklichen Gefahr; aber geräth es in eine solche, dann wird der alte Holger Danske sich erheben, sodaß der Tisch berstet, wenn er den Bart zurückzieht! Dann kommt er hervor und schlägt drein, daß es in allen Ländern der Welt gehört wird.

      Ein alter Großvater saß und erzählte alles Dieses von Holger Danske seinem kleinen Enkel; und der kleine Knabe wußte, daß das, was der Großvater sagte, wahr sei. Und während der Alte erzählte, schnitzte er an einem großen Holzbilde, welches Holger Danske vorstellen und an dem Vordertheile eines Schiffes angebracht werden sollte; denn der Großvater war ein Bildschnitzer, das ist ein Mann, der Figuren zu den Gallionen der Schiffe ausschneidet, nach denen je ein Schiff benannt werden soll. Und hier hatte er Holger Danske ausgeschnitzt, der so stolz und mit seinem langen Barte dastand und in der einen Hand das breite Schlachtschwert hielt, während er sich mit der andern Hand auf das dänische Wappen stützte.

      Der alte Großvater erzählte so viel von ausgezeichneten dänischen Männern und Frauen, daß es dem kleinen Enkel am Ende vorkam, als wisse er nun eben so viel, wie Holger Danske wissen könne, der es ja doch nur träumte; und als der Kleine in sein Bett kam, dachte er so viel daran, daß er sein Kinn gegen die Bettdecke preßte und meinte, er habe einen langen Bart, der daran festgewachsen sei.

      Aber der alte Großvater blieb bei seiner Arbeit sitzen und schnitzte an dem letzten Theile derselben: das war das dänische Wappen. Als er fertig war, betrachtete er das Ganze und dachte an Alles, was er gelesen und gehört und was er diesen Abend dem kleinen Knaben erzählt hatte; und nickte, wischte seine Brille ab, setzte sie wieder auf und sagte: »Ja, während meiner Lebenszeit kommt Holger Danske wohl nicht; aber der Knabe dort im Bette kann ihn vielleicht zu sehen bekommen und mit dabei sein, wenn es wirklich gilt.« Der alte Großvater nickte, und je mehr er seinen Holger Danske anblickte, desto deutlicher wurde es ihm, daß es ein gutes Bild sei, das er gemacht habe; es schien ihm Farbe zu bekommen, und daß der Harnisch wie Eisen und Stahl glänze; die Herzen im dänischen Wappen wurden mehr und mehr roth, und die Löwen mit der Goldkrone auf dem Kopfe sprangen.[8]

      »Das ist doch das schönste Wappen, das man in der Welt hat!« sagte der Alte. »Die Löwen sind die Stärke und die Herzen die Milde und die Liebe!« Und er betrachtete den obersten Löwen und gedachte des Königs Kanut, der das große England an Dänemarks Thron fesselte: und er sah auf den zweiten Löwen und dachte an Waldemar, der Dänemark vereinigte und die wendischen Länder bezwang; er besah den dritten Löwen und dachte an Margaretha, die Dänemark, Schweden und Norwegen vereinigte. Aber während er die rothen Herzen betrachtete, leuchteten sie noch stärker, als zuvor: sie wurden zu Flammen, die sich bewegten, und sein Geist folgte einer jeden.

      Die erste Flamme führte ihn in ein enges, dunkles Gefängniß hinein; da saß eine Gefangene, ein schönes Weib, Christian's des Vierten Tochter, Eleonore Ulfeld[9]; und die Flamme, einer Rose gleich, setzte sich an ihren Busen und blühte, vereint mit ihrem Herzen; sie die edelste und beste aller dänischen Frauen.

      »Ja, das ist ein Herz in Dänemarks Wappen!« sagte der alte Großvater.

      Und sein Geist folgte der zweiten Flamme, die ihn auf das Meer hinausführte, wo die Kanonen donnerten, wo die Schiffe in Rauch gehüllt lagen; und die Flamme heftete sich als Ordensband auf Hvitfeldt's Brust, indem er zur Errettung der Flotte sich und sein Schiff in die Luft sprengte.[10]

      Und die dritte Flamme führte ihn nach Grönland's erbärmlichen Hütten, wo der Prediger Hans Egede[11] mit Liebe in Wort und That waltete; die Flamme war ein Stern auf seiner Brust, wieder ein Herz zum dänischen Wappen.

      Und des alten Großvaters Geist ging der schwebenden Flamme voran, denn sein Geist wußte, wohin die