Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen

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Название Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke
Автор произведения Hans Christian Andersen
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783746750194



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anzudeuten würde in den meisten Fällen, wie der Deutsche sagt, »abgeschmackt« sein; es ist eine thörichte Vorstellung, sich einen Dichter anders als andere Menschen zu denken; es können unter diesen weit poetischere Naturen sein, als manche anerkannte Dichter es sind. Der Unterschied ist nur der, daß der Dichter ein besseres geistiges Gedächtnis hat: er kann die Idee und das Gefühl festhalten, bis sie klar und deutlich durch das Wort verkörpert sind: das können die Andern nicht. Aber der Uebergang von einer Alltagsnatur zu einer begabten ist immer ein Uebergang, und so muß er bei dem Copisten in das Auge fallen.

      »Der herrliche Duft!« sagte er. »Wie erinnert er mich an die Veilchen bei der Tante Lone! Ja, das war, als ich ein kleiner Knabe war. Mein Gott, daran habe ich seit langer Zeit nicht gedacht! Das gute, alte Mädchen! Sie wohnt dort am Canale. Immer hatte sie einen Zweig oder grüne Schößlinge im Wasser, der Winter mochte so streng sein wie er wollte. Die Veilchen dufteten, wahrend ich die erwärmten Kupferschillinge gegen die gefrorne Fensterscheibe legte und Gucklöcher machte. Das war eine hübsche Perspective. Draußen im Canale lagen die Schiffe eingefroren und von der ganzen Mannschaft verlassen; eine schreiende Krähe bildete die einzige Bemannung. Wenn dann die Frühlingslüfte wehten, da wurde es lebendig; unter Gesang und Hurrahruf sägte man das Eis entzwei; die Schiffe wurden getheert und getakelt; dann fuhren sie nach fremden Landen. Ich bin hier geblieben und muß immer bleiben, immer auf der Polizei sitzen und Andere Pässe zu Reisen nach dem Auslande nehmen sehen. Das ist mein Loos! O ja!« seufzte er tief. Dann hielt er plötzlich inne. »Mein Gott, wie ist mir denn! So habe ich früher nie gedacht oder gefühlt: das muß die Frühlingsluft sein; das ist ebenso ängstlich, wie angenehm!« Er griff in die Tasche nach seinen Papieren. »Diese geben mir etwas Anderes zu denken!« sagte er und ließ die Augen über das erste Blatt hingleiten. »› Frau Sigbrith, Original-Tragödie in fünf Acten,‹« las er. »Was ist das? Und das ist ja meine eigene Hand. Habe ich diese Tragödie geschrieben? »› Die Intrigue auf der Promenade oder Bußtag, Vaudeville.‹« – Aber wo habe ich das herbekommen? Man muß es mir in die Tasche gesteckt haben! Hier ist ein Brief. Ja, der ist von der Theaterdirection; die Stücke waren verworfen und der Brief war durchaus nicht höflich abgefaßt. »Hm! Hm!« sagte der Copist und setzte sich auf die Bank nieder; seine Gedanken waren elastisch sein Herz weich. Unwillkürlich ergriff er eine der nächsten Blumen; es war eine gewöhnliche kleine Gänseblume. Was uns die Botaniker erst durch manche Vorlesungen sagen, verkündete sie in einer Minute. Sie erzählte die Mythe von ihrer Geburt; sie erzählte von der Kraft des Sonnenlichtes, welches die seinen Blätter ausspannte und sie zum Duften zwang. Da gedachte er der Kämpfe des Lebens, die gleichfalls Gefühle in unserer Brust erwecken. Luft und Licht sind die Liebhaber der Blume, aber das Licht ist der Begünstigte. Nach dem Licht wendete sie sich; verschwand dieses, so rollte sie ihre Blätter zusammen und schlief in der Umarmung der Luft ein. »Das Licht ist es, was mich schmückt!« sagte die Blume. »Aber die Luft läßt Dich athmen!« flüsterte die Dichterstimme.

      Dicht neben ihm stand ein Knabe und schlug mit seinem Stocke in einen morastigen Graben; die Wassertropfen spritzten zwischen den grünen Zweigen hinauf, und der Copist gedachte der Millionen Infusionsthierchen, die in dem Tropfen in die Höhe geschleudert wurden, was nach ihrer Größe für sie ebenso war, als es für uns sein würde, bis hoch über die Wolkenregion emporgewirbelt zu werden. Indem der Copist daran dachte und an die Veränderung, die mit ihm vorgegangen war, lächelte er. »Ich schlafe und träume! Merkwürdig ist es gleichwohl, wie natürlich man träumen und doch wissen kann, daß es nur ein Traum ist. Möchte ich mich doch morgen seiner entsinnen können, wenn ich erwache. Ich komme mir ungewöhnlich aufgeregt vor. Welche klare Anschauung habe ich von Allem und wie frei fühle ich mich! – Aber ich bin sicher, daß wenn ich morgen etwas davon behalten habe, es dummes Zeug ist: das ist mir schon früher begegnet! Es geht mit allem Klugen und Prächtigen, was man im Traume sagt und hört, wie mit dem Gelde der Unterirdischen: indem man es erhält, ist es reich und herrlich, aber bei Tage besehen, sind es nur Steine und vertrocknete Blätter. Ach!«' seufzte er wehmüthig und betrachtete die singenden Vögel, die fröhlich von Zweig zu Zweig sprangen, »die haben es weit besser als ich! Fliegen ist eine herrliche Kunst! Glücklich Der, welcher mit Schwingen geboren wird: Ja, könnte ich mich in Etwas verwandeln, dann sollte es in eine Lerche sein!«

      In demselben Augenblicke flogen Rockschöße und Aermel zu Flügeln zusammen; die Kleider wurden Federn und die Gallochen Krallen; er bemerkte es wohl und lachte innerlich: »So, nun kann ich doch sehen, daß ich träume! Aber so närrisch habe ich es früher nie gethan!« Und er flog in die grünen Zweige hinauf und sang; aber es war keine Poesie im Gesange, denn die Dichternatur war fort. Die Gallochen konnten, wie Jeder, der etwas gründlich thun will, nur Eine Sache auf einmal besorgen. Er wollte Dichter sein: das wurde er. Nun wollte er ein kleiner Vogel sein, und indem er dies wurde, hörte die vorige Eigenthümlichkeit auf.

      »Das ist allerliebst!« sagte er. »Bei Tage sitze ich auf der Polizei unter den solidesten Actenstücken; Nachts kann ich träumen und als Lerche im Friedrichsburger Garten umher fliegen. Es könnte wahrlich eine ganze Volkskomödie darüber geschrieben werden!«

      Nun flog er in das Gras nieder, drehte den Kopf nach allen Seiten hin und schlug mit dem Schnabel auf die geschmeidigen Grashalme, die, im Verhältnisse zu seiner gegenwärtigen Größe, ihm so lang wie die Palmzweige Nordafrika's erschienen.

      Es war nur einen Augenblick so, dann wurde es schwarze Nacht um ihn her. Ein, wie es schien, ungeheurer Gegenstand wurde über ihn hingeworfen: es war eine große Mütze, welche ein Matrosenknabe über den Vogel warf. Eine Hand kam herein und ergriff den Kopisten um Rücken und Flügel, sodaß er pfiff. Im ersten Schrecken rief er laut: »Du unverschämter Balg! Ich bin Copist auf der Polizei!« Aber das klang dem Knaben wie ein Piep-piep! Er schlug den Vogel auf den Schnabel und wanderte davon.

      In der Allee begegnete er zweien Schulknaben der gebildeten Classe, das heißt, gesellschaftlich betrachtet; als Geister waren sie in der niedrigsten Classe der Schule; diese kauften den Vogel für wenige Schillinge, und so kam der Kopist nach Kopenhagen zurück.

      »Es ist gut, daß ich träume,« sagte der Copist, »sonst würde ich wahrlich böse! Zuerst war ich Poet, nun bin ich eine Lerche! Ja, das war sicher die Poetennatur, die mich in das kleine Thier verwandelte! Es ist doch eine jämmerliche Geschichte, besonders wenn man Knaben in die Hände fällt. Ich möchte wohl wissen, wie das abläuft!«

      Die Knaben brachten ihn in eine höchst elegante Stube; eine dicke, lächelnde Dame empfing sie. Aber sie war durchaus nicht darüber erfreut, daß der gemeine Feldvogel, wie sie die Lerche nannte, mit herein kam. Nur für heute wollte sie es sich gefallen lassen, doch mußten sie den Vogel in den leeren Käfig setzen, her am Fenster stand. »Das wird vielleicht dem Papchen Freude machen!« fügte sie hinzu und lachte einem großen, grünen Papagei zu, der sich vornehm in seinem Ringe in dem prächtigen Messingkäsige schaukelte. »Es ist Papchens Geburtstag!« sagte sie einfältig; »deshalb will der kleine Feldvogel gratuliren!«

      Papchen erwiderte nicht ein einziges Wort, sondern schaukelte sich vornehm hin und her; dagegen begann ein hübscher Kanarienvogel, der im letzten Sommer aus seinem warmen, duftenden Vaterlande hierher gebracht war, laut zu schlagen.

      »Schreihals!« sagte die Dame und warf ein weißes Taschentuch über den Käfig.

      »Piep-piep!« seufzte er. »Das ist ein schreckliches Schneewetter!« Und mit diesen Seufzer schwieg er.

      Der Copist, oder wie die Dame sagte, der Feldvogel kam in einen kleinen Käsig, dicht neben den Kanarienvogel, nicht weit vom Papagei. Die einzige menschliche Tirade, welche Papchen plaudern konnte und die oft recht komisch klang, war die: »Nein, laßt uns nun Menschen sein!« Alles Uebrige, was er schrie, war eben so unverständlich, wie das Schlagen des Kanarienvogels, nur nicht für den Copisten, der nun selbst ein Vogel war; er verstand seine Kameraden sehr gut.

      »Ich flog unter der grünen Palme und dem blühenden Mandelbaume!« sang der Kanarienvogel. »Ich flog mit meinen Brüdern und Schwestern über die prächtigen Blumen und über den spiegelklaren See, wo die Pflanzen sich auf dem Boden wiegten. Ich erblickte auch viel schöne Papageien, welche die lustigsten Geschichten erzählten!«

      »Das waren wilde Vögel,« erwiderte der Papagei; »die besaßen keine Bildung.