Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen

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Название Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke
Автор произведения Hans Christian Andersen
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783746750194



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ist eine entsetzliche Geschichte!« sagte eine Henne, und zwar in einem Stadtviertel, wo die Geschichte nicht passirt war. »Das ist eine entsetzliche Geschichte im Hühnerhause! Ich kann heute Nacht nicht allein schlafen! Es ist gut, daß unsrer viele auf der Steige zusammen sitzen!« – Und nun erzählte sie so, daß die Federn der andern Hühner sich aufbusterten, und der Hahn den Kamm fallen ließ. Es ist ganz gewiß!

      Aber wir wollen mit dem Anfange beginnen, und der ist in einem Hühnerhause im andern Stadtviertel zu suchen. Die Sonne ging unter, und die Hühner flogen auf ihre Steige; eine Henne, weißgefiedert und mit kurzen Beinen, legte ihre Eier reglementsmäßig, und war als Henne in jeder Art und Weise respectabel; indem sie auf die Steige flog, zupfte sie sich mit dem Schnabel, und eine kleine Feder fiel ihr aus.

      »Da geht sie hin!« sagte sie, »je mehr ich mich zupfe, um so schöner werde ich!« Sie sagte es heiter, denn sie war der Ausbund unter den Hühnern, übrigens, wie gesagt, sehr respectabel; darauf schlief sie ein.

      Dunkel war es rings umher, Henne saß bei Henne, aber die, welche der heiteren am nächsten saß, schlief nicht; sie hörte, und hörte auch nicht, wie es ja in dieser Welt sein soll, um recht ruhig zu leben; aber ihrer anderen Nachbarin mußte sie es doch erzählen: »Hörtest Du, was hier gesagt wurde? Ich nenne Keinen, aber hier ist eine Henne, welche sich rupfen will, um gut auszusehen! Wäre ich ein Hahn, ich würde sie verachten!«

      Gerade über den Hühnern saß die Eule mit dem Eulenvater und ihren Eulenkindern; die Familie hat scharfe Ohren, sie alle hörten jedes Wort, welches die Nachbarhenne sagte; und sie rollten mit den Augen, und die Eulenmutter schlug mit den Flügeln und sprach: »Hört nur nicht darauf! Aber Ihr hörtet es wohl, was dort gesagt wurde? Ich hörte es mit meinen eigenen Ohren, und man muß viel hören, ehe sie Einem abfallen! Da ist eine unter den Hühnern, welche in solchem Grade vergessen hat, was sich für eine Henne schickt, daß sie sich alle Federn ausrupft, und es den Hahn sehen läßt!«

      » Prenez garde aux enfants!« sagte der Eulenvater, »das ist Nichts für die Kinder!«

      »Ich will es doch der Nachbareule erzählen; das ist eine sehr achtbare Eule im Umgange!« und darauf flog sie davon.

      »Hu, hu! uhuh!« heulten sie Beide in den Taubenschlag des Nachbars zu den Tauben hinein. »Habt Ihr's gehört? Habt Ihr's gehört? Uhuh! Eine Henne ist da, welche sich des Hahns wegen alle Federn ausgerupft hat; sie wird erfrieren, wenn sie nicht schon erfroren ist. Uhuh!«

      »Wo? wo?« girrten die Tauben.

      »Im Hofe des Nachbars! ich habe es so gut wie selbst gesehen! Es ist beinahe unpassend, die Geschichte zu erzählen. Es ist ganz gewiß!«

      »Glaubt, glaubt jedes einzelne Wort!« sagten die Tauben, und girrten in ihren Hühnerhof hinunter: »Eine Henne ist da, ja, einige sagen, daß ihrer zwei da sind, welche sich alle Federn ausgerupft haben, um nicht so wie die anderen auszusehen, und um die Aufmerksamkeit des Hahnes zu erwecken. Das ist ein gewagtes Spiel, man kann sich erkälten und am Fieber sterben, und sie sind Beide gestorben!«

      »Wacht auf! wacht auf!« krähte der Hahn, und flog auf die Planke; der Schlaf saß ihm noch in den Augen, aber er krähte dennoch: »Drei Hennen sind vor unglücklicher Liebe zu einem Hahne gestorben! Sie hatten sich alle Federn ausgerupft! Das ist eine häßliche Geschichte; ich will sie nicht für mich behalten, sie mag weiter gehen!«

      »Laßt sie weiter gehen!« pfiffen die Fledermäuse, und die Hühner gluckten und die Hähne krähten: »Laßt sie weiter gehen! Laßt sie weiter gehen!« und so ging die Geschichte von Hühnerhaus zu Hühnerhaus, und kam zuletzt an die Stelle zurück, von welcher sie eigentlich ausgegangen war.

      »Fünf Hühner,« hieß es, »haben sich alle Federn ausgerupft, um zu zeigen, welche von ihnen aus Liebesgram für den Hahn am magersten geworden sei, – und dann hackten sie sich gegenseitig blutig und stürzten todt nieder, zum Spott und zur Schande für ihre Familie, und zum großen Verluste des Besitzers!«

Illustration: Hutschenreuter/Petersen

      Die Henne, welche die lose, kleine Feder verloren hatte, kannte natürlich ihre eigene Geschichte nicht wieder, und da sie eine respectable Henne war, so sagte sie: »Ich verachte jene Hühner; aber es giebt mehrere der Art! So etwas soll man nicht verschweigen, und ich werde das Meinige dazu thun, daß die Geschichte in die Zeitung kommt, dann verbreitet sie sich durch das ganze Land; das haben die Hühner verdient, und ihre Familie auch.«

      Es kam in die Zeitung, es wurde gedruckt, und es ist ganz gewiß: eine kleine Feder kann wohl zu fünf Hühnern werden!

      Nun höre einmal! –

      Draußen auf dem Lande, dicht am Wege lag ein Landhaus; Du hast es gewiß selbst einmal gesehen. Vor demselben ist ein kleiner Garten mit Blumen und einem Stackete, welches angestrichen ist; dicht dabei am Graben, mitten in dem schönsten, grünen Grase, wuchs eine kleine Gänseblume; die Sonne beschien sie eben so warm und schön, wie die großen, schönen Prachtblumen im Garten, und deshalb wuchs sie von Stunde zu Stunde. Eines Morgens stand sie, mit ihren kleinen, blendend weißen Blättern, die wie Strahlen um die gelbe Sonne in der Mitte ringsherum sitzen, ganz entfaltet da. Sie dachte nicht daran, daß kein Mensch sie dort im Grase sähe, und daß sie eine arme, verachtete Blume sei; nein, sie war sehr vergnügt, sie wendete sich nach der warmen Sonne hin, sah zu ihr auf und horchte auf die Lerche, die in der Luft sang.

      Die kleine Gänseblume war so glücklich, als ob es ein großer Festtag wäre, und es war doch nur ein Montag. Alle Kinder waren in der Schule; während die auf ihren Bänken saßen und lernten, saß sie auf ihrem kleinen, grünen Stengel und lernte auch von der warmen Sonne und Allem rings umher, wie gut Gott ist; und es gefiel ihr recht, daß die kleine Lerche Alles, was sie in der Stille fühlte, so deutlich und schön sang. Und die Gänseblume blickte mit einer Art Ehrfurcht zu dem glücklichen Vogel, der singen und fliegen konnte, empor, war aber nicht betrübt, daß sie es selbst nicht konnte. »Ich sehe und höre ja!« dachte sie; »die Sonne bescheint mich und der Wald küßt mich! O, wie reich bin ich doch begabt!«

      Innerhalb des Stacketes standen viele steife, vornehme Blumen; je weniger Duft sie hatten, um so mehr prunkten sie. Die Päonien bliesen sich auf, um größer als eine Rose zu sein; aber die Größe macht es nicht! Die Tulpen hatten die allerschönsten Farben, und das wußten sie wohl und hielten sich kerzengerade, damit man sie besser sehen möchte. Sie beachteten die kleine Gänseblume da draußen nicht, aber diese sah desto mehr nach ihnen und dachte: »Wie sind die reich und schön! Ja, zu ihnen fliegt sicher der prächtige Vogel hernieder und besucht sie! Gott sei dank, daß ich so nahe dabeistehe, da kann ich doch die Pracht zu sehen bekommen!« Und so wie sie das dachte: »Quivit!« da kam die Lerche geflogen; aber nicht zu den Päonien und Tulpen herunter – nein, nieder ins Gras zu der armen Gänseblume. Die erschrack vor Freude so, daß sie nicht wußte, was sie denken sollte.

      Der kleine Vogel tanzte rings um sie her und sang: »Nein, wie ist doch das Gras so weich. Und sieh, welch eine liebliche, kleine Blume mit Gold im Herzen und Silber auf dem Kleide!« Der gelbe Punkt in der Gänseblume sah ja auch aus wie Gold, und die kleinen Blätter rings herum erglänzten silberweiß.

      Wie glücklich die kleine Gänseblume war – nein, das kann Niemand begreifen! Der Vogel küßte sie mit seinem Schnabel, sang ihr vor und flog dann wieder in die blaue Luft hinauf. Es währte sicher eine Viertelstunde, bevor das Gänseblümchen sich erholen konnte. Halb verschämt und doch innerlich erfreut, sah es nach den andern Blumen im Garten; sie hatten ja die Ehre und das Glück, das ihm widerfahren war, gesehen; sie mußten ja begreifen, welche Freude es war. Aber die Tulpen standen noch einmal so steif, wie früher; und dann waren sie spitz im Gesichte und roth, denn sie hatten sich geärgert. Die Päonien waren dickköpfig; es war gut, daß sie nicht sprechen konnten, sonst hätte die Gänseblume eine ordentliche Zurechtweisung bekommen. Die arme, kleine Blume konnte wohl sehen, daß sie nicht bei guter Laune waren, und das that ihr recht herzlich wehe. Zur selben Zeit kam ein Mädchen mit einem großen, scharfen und glänzenden Messer in den Garten; es ging durch die Tulpen hin und schnitt eine nach der andern