Privilegiert in engen Grenzen. Berndt Strobach

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Название Privilegiert in engen Grenzen
Автор произведения Berndt Strobach
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844270938



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Jahren im amerikanischen Exil unter ungünstigen Arbeitsbedingungen verfasst,42 ist Berend Lehmann naturgemäß einer der Protagonisten ihrer Betrachtung. Allerdings hat sie, abgesehen von dem früher gesammelten Halberstadt-Material, keine ausführliche Untersuchung zu dem Residenten vornehmen können.43

      Sie sieht, weitsichtiger und weiträumiger denkend als ihr (hier später zu behandelnder) Zeitgenosse Schnee, die Institution des Hofjuden im Zusammenhang der herrschenden Staatsidee, und sie stellt die Tätigkeit der Faktoren nicht nur (wie Schnee) chronologisch und topographisch registrierend, sondern vor allem systematisch ordnend dar.

      Wie steht es hier mit dem schon bei Emil Lehmann befragten Objektivitäts-Test?

      Peter Deeg (1908–2005)

      „Da sitzt in dem zu Brandenburg gehörigen Halberstadt der Jude Jisachar Berman Halevi. Ein Gezeichneter von Natur und Rasse aus, hat er die lockernden Gesetze des Großen Kurfürsten für die dortige Judenschaft sofort dazu ausgenutzt, um sich durch Betrug und Wucher in kürzester Zeit ein gewaltiges Vermögen zusammenzuraffen. Er tarnt sich und heißt sich von nun an Berndt oder Behrend Lehmann“. Diese Anfangssätze genügen, um zu erkennen, dass der Autor trotz umfangreicher archivalischer Belege nicht an Geschichte, sondern ausschließlich an Meinungsmanipulation interessiert ist.

      Der Vorfall ereignete sich 1749, also 19 Jahre nach dem Tod Berend Lehmanns, den Deeg für den angeblichen Betrug verantwortlich macht. In den Akten der sächsischen Finanzdirektion findet sich in der Tat die Anzeige eines königlichen Riemers (verantwortlich für Riemen und Zaumzeug) Gottlieb Schmidt, der den „Hofjuden Lehmann“, also den Residenten-Sohn Lehmann Behrend, beschuldigt, sich den Schuldschein haben zeigen zu lassen und ihn dann an sich genommen und später zerrissen zu haben. Ein Sohn des Hofjuden, also ein Enkel Behrend Lehmanns, fungiert dabei lediglich als Überbringer einer Nachricht.

      Der Vorwurf des Betruges ist übrigens nach Lage der Akten von den Dresdner Behörden niemals untersucht, geschweige denn nachgewiesen worden.

      Berend Lehmanns und Jonas Meyers Bemühungen, während der Hungersnot 1719/20 Brotgetreide nach Sachsen zu holen, werden bei Deeg zu „gewaltige[n] Getreideschiebungen“, Lehmanns Hilfsaktionen für die in Konkurs geratenen und eingekerkerten Hannoverschen Verwandten erklärt er zum „gerissenen jüdischen Schachzug“.

      Es ist klar, dass es sich bei diesem Zerrbild nicht um den Versuch eines Porträts des wirklichen Berend Lehmann handelt, sondern um die Ausmalung des von der nationalsozialistischen Rassetheorie vorgegebenen Propagandastereotyps „Wucherjude“.

      Heinrich Schnee (1895−1968)