Название | Hüte dich vor den wilden Tieren |
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Автор произведения | Valérian Vandyke |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783844285666 |
Nach einer Minute der Verwirrung, in der ich zwischen Bewusstlosigkeit und Schwindelgefühl hin und her pendelte, normalisierte sich mein Zustand wieder und kurze Zeit später hatte ich den Anfall vollständig überwunden. Ich erhob mich wieder, rückte meine Kleidung kurz zurecht und verließ das Haus. Meine Gedanken waren schnell wieder bei Patrick und Daria; das plötzliche Verschwinden der beiden konnte nichts Gutes bedeuten, die Anwesenheit des niedergeschlagenen Mannes ließ mir jedoch die Hoffnung, dass ihnen nichts zugestoßen war. Ich würde morgen wieder versuchen Kontakt mit ihnen aufzunehmen, um heraus zu finden was sich hier zugetragen hatte. Nach den verwirrenden Ereignissen des Tages wollte ich mich jetzt aber nur noch zu Hause verkriechen, um alles was passiert war, überhaupt verarbeiten zu können. Zwei Straßen weiter fand ich eine Bushaltestelle und dem Fahrplan war zu entnehmen, dass es nur noch wenige Minuten dauern sollte, bis mich der nächste Bus zum Bahnhof bringen würde, von dem ich meine Wohnung leicht zu Fuß erreichen konnte. Während ich wartete, musste ich noch einmal an Carl Kramer mit seinem Buchladen denken. Verrückter Typ mit seinen abstrusen Ideen. Aber vielleicht war ja auch was dran an seinen Theorien. Selbstorganisation als Erklärung für Koinzidenzen? Warum nicht, vielleicht steuern wir die so genannten Zufälle ja ganz unbewusst selbst. Der Bus kam mit zischender Handbremse zum stehen. Eine leuchtende Zuflucht in der Dunkelheit. Die Türen öffneten sich hydraulisch. »Einmal Bahnhof bitte.«
Der Busfahrer gab mir die Fahrkarte, ich setzte mich auf eine der freien Bänke ans Fenster und schaute hinaus. Die Stadt zog in einem monotonen Rhythmus an mir vorbei. Der Takt wurde von den roten Ampeln dirigiert. Fahren, Kurve, Fahren, Stehen, Handbremse und immer so weiter. Der Dieselmotor lieferte den Bass. Ich war schon fast eingeschlafen. Doch dann war ich wieder hell wach. Die Frau, die heute auf mich geschossen hatte stand am Straßenrand, als wir gerade an einer Ampel hielten. Sie schaute zu mir herüber und plötzlich erkannte sie mich wieder. Ihr trauriger Gesichtsausdruck wich langsam einer zaghaften Freude. Sie nahm überrascht die Hand vor den Mund, aber Ihre Augen strahlten mich an, als ob sie mir etwas sagen wollen. Dann schaltete die Ampel auf Grün und der Bus nahm Fahrt auf. Wir schauten uns noch einen Moment an, dann wurden unsere Blicke getrennt. Seltsam.
In diesem Moment fiel mir wieder der merkwürdige Zylinder ein und ich griff in meine Manteltasche. Er war noch da und lag kalt und glatt in meiner Hand. Ich fuhr nach Hause, wo ich mich endgültig dem Schlaf ergeben konnte.
8
Sarah war auf dem Weg zu Roman Dalberg. Die Treppe zum Haupteingang war steil und sehr schmal. An einigen Stufen aus rotem Sandstein hatten sich bereits Bruchstücke gelöst, während das schmiedeeiserne Geländer schon stark verrostet und morsch war. Sie nahm sich vor, Roman diesen bedauernswerten Zustand gleich vorzuwerfen, denn die Sicherheit ging schließlich vor. Am Ende ihres Aufstieges lag das massive, reich verzierte Eichentor mit dem Drachenkopf als Türklopfer. Sie nahm die schwere gusseiserne Plastik in beide Hände und schlug dreimal gegen das Wiederlager und ließ damit den gewaltigen Resonanzkörper des Tores dumpf erklingen. Während sie wartete, bemerkte sie, dass die Bäume und Büsche des Parks das Gebäude schon stark bedrängten, als ob sie im Begriff seien es zu verschlingen. Plötzlich hörte sie ein lautes Knurren vom Fuß der Treppe und schaute verwundert zurück. Einer der Dobermänner musste sich wohl losgerissen haben und schritt langsam aber zielstrebig die Treppe hinauf, die Zähne gebleckt und offensichtlich bereit sich auf sie zu stürzen. Hinter ihr öffnete sich nun das Tor mit einem lauten Quietschen und sie konnte sich gerade noch rechtzeitig in das Gebäude retten, bevor das Tier sie erreicht hatte. Ein Pfleger hatte ihr geöffnet und ging nun mit einer Öllampe in der Hand voraus durch die dunklen Gänge. Er trug eine ziemlich ramponierte Livree und hinkte mit dem linken Fuß. »Ich muss Roman dringend darauf ansprechen, dass er den Pflegern frische Dienstkleidung besorgt. Das ist doch kein Zustand für eine renommierte Klinik.« Sie gingen an zahlreichen Zellen vorbei und Sarah konnte Patienten hinter den verriegelten Holztüren hören, wie sie riefen und randalierten. Der Flur schien endlos. An den grob gemauerten Steinwänden hingen zahlreiche gelbe Zettel, auf denen Parolen standen wie: »Gestern ist das Gegenteil von heute und morgen wird es umgekehrt sein«, oder, »Die Summe der Gedanken ist proportional zur Farbe der Erinnerungen.« Am Ende des endlosen Flurs war die Tür geöffnet. Es war das Labor des Fürsten von Dalberg und hier hing ebenfalls ein gelber Zettel, der mit einem Dolch auf das Türblatt geheftet war.
»Hüte dich vor den wilden Tieren«, stand darauf. Der Pfleger war wie vom Erdboden verschwunden und Sarah trat durch die Tür in das Labor, das nur durch ein paar spärliche Kerzen beleuchtet war. Sie bahnte sich ihren Weg durch Tische mit Glaskolben und gewundenen Kühlrohren darauf, in denen bunte, exotische Flüssigkeiten brodelten. In einer Ecke fand sie Roman Dalberg und Antonio Shira, die um einen kleineren Holztisch herumstanden auf dem ein zylindrischer Glasbehälter stand. Roman sah kurz auf und winkte sie heran, um seinen Blick gleich darauf wieder auf den Behälter zu konzentrieren. »Es ist mir gelungen, die Wahrnehmungen des menschlichen Gehirns sichtbar zu machen«, sagte er triumphierend. »Schau dir das an Sarah.«
Sie trat zwischen die beiden und blickte in den Glasbehälter. In einer durchsichtigen Flüssigkeit schwamm der geöffnete Kopf eines Menschen. Der Schädel war oberhalb der Augenbrauen kreisförmig geöffnet. Das Gehirn lag frei und war mit zahlreichen bunten Drähten verbunden, die nach oben zum Deckel des Behälters führten. Der vordere Schläfenlappen war sorgfältig aufgeschnitten und aufgefaltet worden. Zwischen den Gehirnwindungen konnte man kleine blaue Blitze herumwandern sehen. »Du musst durch das Mikroskop schauen«, sagte Dalberg, »sonst erkennst du nichts.« Sarah trat einen Schritt näher heran, und blickte durch das Mikroskop, das direkt auf das Zentrum des geöffneten Gehirns ausgerichtet war. Sie erkannte Takeda, der in wilder Panik in seinem Zimmer herumlief und nach einem Ausgang suchte, aber es schien, als ob er in einem unsichtbaren Labyrinth gefangen war, mitten in der Bewegung prallte er gegen eine Wand, die nicht vorhanden war und fiel zu Boden. Er rappelte sich wieder auf und versuchte an einer anderen Stelle einen Ausgang zu finden. In der Zwischenzeit