Название | Das Vermächtnis aus der Vergangenheit |
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Автор произведения | Sabine von der Wellen |
Жанр | Языкознание |
Серия | Das Vermächtnis aus der Vergangenheit |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738019803 |
„Wir wissen ja jetzt, dass der Sohn von diesem Heinrich 1950 geboren wurde. Wenn ich wüsste, wann Opa Willy oder Onkel Otto …“ Ich sehe in Christianes verständnisloses Gesicht und beschließe meine Gedanken lieber leise weiterzuführen. Aber was ich mir auch zurechtlege, nichts passt zusammen. Dafür hat Christiane eine Idee, die sie sofort umsetzen will, wenn wir wieder bei mir zu Hause sind.
So sitzen wir eine halbe Stunde später in meinem Zimmer und versuchen uns wirklich an einem Familienstammbaum. Christiane setzt mich und Julian an unterster Stelle ein, so wie ich es an dem Nachmittag getan hatte, als Julian mir von der Geschichte zum ersten Mal berichtet hatte. Dann setzt sie meine Eltern und Oma und Opa, die Eltern von Mama darüber. Als ich ihr die Namen von Oma und Opa väterlicherseits sage, pflaumt sie mich an: „Die brauchen wir doch gar nicht, die haben mit der ganzen Sache doch gar nichts zu tun. Nur die, die blutsverwandt mit diesem Kurt sein können, brauchen wir. Und das ist die Seite deiner Mutter.“
Ich bin ehrlich beeindruckt. Sie hat immerhin mehr Durchblick als ich.
„Woher kennst du dich damit so genau aus?“, frage ich sie neugierig und sehe Christiane groß an.
„Das habe ich schon mal mit meinem Vater mit unserer Familie gemacht, um herauszufinden, woher mein Bruder die braunen Augen hat“, antwortet sie leichthin.
Ich bin platt. Ich wusste gar nicht, dass die Augen von ihrem Bruder braun sind und dass das schon einmal zu einem weitgreifenden Thema in Christianes Familie geworden war. Christiane Augen sind blau und sie hat dunkelblondes, schulterlanges Haar. Sie ist auch größer als ich, obwohl sie ein Jahr jünger ist. Ihr Bruder hingegen ist nicht besonders groß, hat aber das gleiche dunkelblonde Haar wie sie. Dass er braune Augen hat, konnte ich noch nicht feststellen, weil ich ihm nie näher als einige Meter gekommen bin.
Christianes Bruder ist nicht nur schüchtern, sondern auch, in meinen Augen, recht unattraktiv. Also nichts, was mich veranlassen würde, ihm sehr dicht kommen zu wollen. Außerdem regt sich in mir immer etwas wie Abwehr gegenüber dem anderen Geschlecht. Deshalb beruhige ich mich und alle anderen auch immer mit der Aussage, dass bei mir halt erst der Richtige kommen muss.
„Ähm…, da fehlt noch was“, raune ich und zeige neben Oma Martha. „Da muss noch Opas Bruder Otto hin, von dem meine Mutter das Haus geerbt hat.“
„Der ist doch völlig egal. Der interessiert doch gar nicht“, knurrt Christiane über meine angebliche Dummheit.
„Aber er ist eigentlich der Vater von meiner Mutter“, sage ich und bin mir im Klaren, dass Christiane jetzt aus allen Wolken fallen wird.
„Was? Ich denke dein Opa ist ihr Vater.“
Ich erzähle ihr kurz und bündig, was bei der Testamentsvorlesung zu Tage trat und dass wir seitdem wissen, dass mein Opa nicht mein Opa ist.
Christiane schreibt fast widerwillig den Namen Otto neben meine Oma und verbindet die beiden mit meiner Mutter. Willy streicht sie kurzerhand durch.
„Otto ist Willys Bruder. Du kannst ihn ruhig stehen lassen. Er muss auch irgendwie mit diesem Kurt verwandt sein.“ Ich tippe mit dem Zeigefinger auf meinen armen durchgestrichenen Opa.
Über Willy und meine Oma Martha setzen wir dann meinen Uropa und meine Uroma, die Johannes und Maja hießen, wie ich einige Tage zuvor von meiner Mutter herausgequetscht hatte. Aber sie ist nicht sehr gesprächig, wenn ich in letzter Zeit mit Fragen über die Vergangenheit zu ihr komme.
„Maja ist schon ein komischer Name für diese Zeit“, raunt Christiane und ich muss ihr recht geben.
Aber damit sind unsere Informationen erschöpft und unser Stammbaum weist große Wissenslücken auf. Wir können nur noch ganz oben die Namen von Kurt und seinen Geschwistern einsetzen. Dazu Heinrichs Frau und seinen Sohn, mit dem Vermerk seines Geburtsjahres. Das war’s dann aber auch schon. Mehr haben wir nicht.
„Willy und Otto können eigentlich nichts mit diesem Heinrich, dem Bruder von Kurt, zu tun haben. Zumindest nicht als Söhne“, sinniere ich nachdenklich und Christiane schaut mich groß an.
„Natürlich nicht“, meint sie und schüttelt über mich den Kopf. „Das passt vom Alter her nicht. Höchstens deine Uroma, diese Maja, oder dein Uropa Johannes können von ihm sein.“
Nach langer Zeit des Grübelns und Diskutierens habe ich eine Idee. „Ich glaube, wir sollten mal auf dem Friedhof nachsehen. Vielleicht gibt es noch irgendwo ein Grab von der Frau und dem Kind, die in unserem Haus gestorben sein sollen.“
Christiane sieht mich erst entsetzt an. Doch dann nickt sie. „Da könnten wir etwas finden.“
Aber für heute ist es schon zu spät, um noch mit den Fahrrädern nach Ankum zu fahren. So beschließen wir, es auf den nächsten Tag zu verschieben.
Da Christiane nicht so oft nachmittags nach Ankum fahren darf, kommt uns die glorreiche Idee, gleich nach der fünften Stunde von der Schule aus dem Friedhof einen Besuch abzustatten.
Beinahe platzt das aber, weil ich meine Hausaufgaben in Mathe nicht habe und mir mein Lehrer mit Nachsitzen droht. Ich beknie ihn förmlich, es nicht zu tun und er gibt mir eine letzte Chance, mich zu bessern.
So treffe ich mich wie besprochen mit Christiane am Busbahnhof, wo wir, wie jeden Mittag auch, auf einige der anderen stoßen, die mit uns zur fünften Stunde Schulschluss haben.
Nur mit Mühe können wir die anderen davon abhalten, mit uns ins Dorf zu gehen. Schließlich denken sie, wir wollen einen netten Bummel machen. Erst als Christiane sagt: „Bummeln? Wie langweilig. Wir haben ein Rendezvous mit einigen netten Jungs auf dem Friedhof“, stutzen die anderen erst und lachen dann über den gelungenen Scherz, der eigentlich keiner ist.
Mir bleibt fast das Herz stehen. Es soll doch keiner etwas von unserem wirklichen Plan erfahren.
Als der Bus kommt, gehen Christiane und ich unserer Wege und die anderen fahren nach Hause, enttäuscht, dass wir sie offensichtlich nicht mitnehmen wollen.
Der Friedhof ist noch eine gute Fußstrecke entfernt und wir beeilen uns.
Scherzend und lachend suchen wir nach dem richtigen Weg, um die dunklen Gedanken nicht heraufzubeschwören, die vor allem mich bedrücken. Irgendwie scheint die Aussicht, gleich den Friedhof abzusuchen, ein seltsames Gefühl in mir zu hinterlassen.
Wir betreten ihn durch eine kleine Seitenpforte und teilen uns auf. Jeder bekommt eine Reihe von Grabstellen und sucht die Inschriften ab.
Es ist schrecklich beklemmend, wenn man auf Gräber von Kindern stößt oder von mehreren Familienangehörigen, die an ein und demselben Tag gestorben sind. Ich bin überrascht, mit wie viel Sorgfalt die Gräber gepflegt werden und wie sauber und ordentlich alles ist. Es gibt nur wenige Grabstellen, die verwahrlost wirken. Ich ertappte mich dabei, mich für die Geschichte der Toten zu interessieren. Was ist wohl dem Kind passiert, was hatte ein Ehepaar so jung und innerhalb weniger aufeinander folgender Tage sterben lassen?
Das beklemmende Gefühl steigt und ich fühle mich in einer seltsamen Stimmung gefangen, die mich irgendwie aber auch anspricht. Ich wundere mich, warum ich noch nie vorher diesen Ort betreten habe. Ich glaube fast schon, mich mit den Toten verständigen zu können, wenn ich nur wollte.
„Da ist nichts“, höre ich Christiane plötzlich hinter mir sagen und schrecke heftig zusammen.
„Hier auch nicht“, raune ich verlegen. Mir ist peinlich, dass ich wie ein verängstigtes Kaninchen auf sie reagierte.
„Ist schon ein komischer Ort“, sagt sie aber nur und wir begeben uns zu den nächsten Reihen.
Wir finden nichts, außer dem Grab von meinem Opaonkel Otto, der Mama das Haus vererbt hatte