Seemannsschicksale aus Emden und Ostfriesland – erlebte Geschichten rund um die Seefahrt. Jürgen Ruszkowski

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Название Seemannsschicksale aus Emden und Ostfriesland – erlebte Geschichten rund um die Seefahrt
Автор произведения Jürgen Ruszkowski
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783847605492



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mittschiffs, dann noch zwei Luken achtern und ganz achtern nochmals Aufbauten mit Mannschafts-Kammern, allgemein „berüchtigt“ als „Hotel zur Schraube“. Die Besatzung zählte ca. 40 Mann.

      Wir fuhren seinerzeit in Charter für die große niederländische Reederei „KNSM“ in der Fahrt „Ostküste/USA – Kanada / Große Seen – Karibik / Mittel- u. Südamerika / Westküste Südamerika“; ein absoluter „Wahnsinns-Trip“, von dem in anderen Geschichten noch zu berichten sein wird!

      Das Schiff war ein richtig ehrlicher „Arbeits-Dampfer“ mit ca. 11 Knoten (etwas unter 20 km/h) Durchschnittsgeschwindigkeit und – bedingt durch die „Kisten-und-Kasten-Ladung“ – immer ziemlich ausgedehnten Liegezeiten in den einzelnen Häfen, aber auch – wetter- und geschwindigkeitsbedingt – recht langen Seetörns.

      Wir hatten gerade eine mehrtägige wilde Liegezeit im Hafen von Buena-Ventura an der Westküste (Pazifik-Seite) von Kolumbien hinter uns und fuhren nun weiter in südlicher Richtung nach Callao/Peru (Hafen von Lima). In ca. drei Tagen würden wir an der ecuadorianischen Küste also den Äquator passieren.

      Der „Alte“ (Kapitän) hatte für die Taufe „grünes Licht“ gegeben; auf unserem Dampfer machten die haarsträubendsten Gerüchte über die zu erwartende Zahl der Schwerverletzten die Runde, und es begann ein reges geschäftiges Treiben.

      Die Besatzung war nun natürlich in zwei Lager gespalten: Auf der einen Seite die bereits getauften Seeleute mit „Taufschein“, also u. a die aktiven Täufer, auf der anderen Seite der ungetaufte Rest, die armen Täuflinge ohne schriftlichen Nachweis über eine überstandene Äquatortaufe.

      Es war ein ungeschriebenes Gesetz bei der Seefahrt, dass jeder seinen Äquator-Taufschein bei sich zu führen hatte, bzw. dass die Vorlage des Zettels evtl. im Seefahrtbuch amtlich dokumentiert war. Wer also irgendwann bereits mal getauft worden war (oder es behauptete), und es nicht beweisen konnte, hatte eben Pech gehabt und galt als ungetauft!

      Außerdem wurde dieser Brauch längst nicht auf allen Schiffen der damals noch sehr großen deutschen Handelsmarine praktiziert; (1966 ca. 50.000 Mann) so dass auch bei uns an Bord noch etliche langjährig „befahrene“ alte Hasen ganz schön „ins Frieren“ kamen. Das Verhältnis „getauft / ungetauft“ auf der BARBARA betrug damals etwa „fifty / fifty“!

      Die ganzen mehrtägigen Vorbereitungen auf das große Fest (wobei dem Bier natürlich seitens der „Aktiven“ schon reichlich zugesprochen wurde) liefen also schon auf unsere Kosten; wir schmutzigen „Nordhalbkugler“ wussten es bloß noch nicht!

      Um eine solche Taufe „zünftig“ durchzuführen, war wirklich auch eine Menge Arbeit erforderlich. Erstmal mussten die Rollen der Akteure verteilt und besprochen werden; dann waren die Kostüme und Utensilien anzufertigen, die einzelnen Stationen aufzubauen und und und...!

      Unser 1. Offizier wurde vom Kapitän außerdem dazu vergattert, für die Sicherheit vor und während der Taufe zu sorgen, d.h., unter anderem aufzupassen, dass die Schikanen nicht ausarteten bzw. dass die Akteure sich nicht schon „vor und während“ zu sehr beschluckten!

      Um im Folgenden alles einigermaßen zu verstehen, muss ich jetzt die Akteure der einzelnen Stationen aufzählen:

      Chef und „Herrscher aller Meere, Flüsse und Seen“ NEPTUN und seine liebe Frau THETIS, der DOKTOR mit „Kranken-Pfleger“, der STERNGUCKER, der SCHMIED, der FRISEUR, die TÄUFER, der PASTOR und die als Wächter eingesetzten diversen POLIZISTEN und NEGER!

      Der Tag des großen Ereignisses war also nun angebrochen; die BARBARA dampfte mit ca. 11 Knoten gen Süden, das Wetter war gut, zwar war der Himmel durchgehend grau bewölkt, aber es war niederschlagsfrei, ca. 25 Grad warm und fast windstill.

      Nach dem Frühstück, so gegen 08:30 Uhr, ging's dann so ganz langsam zur Sache! Die Polizisten und Neger, martialisch kostümiert bzw. schön schwarz angemalt und im Baströckchen, bewaffnet mit Holzknüppeln und Hanfseil-Peitschen, holten so nach und nach die einzelnen Täuflinge aus ihren Kammern bzw. von ihren Arbeitsplätzen ab und brachten sie mit mehr oder weniger „sanfter Gewalt“ in ein kleines „Deckshaus“ zum Vorschiff, das normalerweise als „Werkzeug-Schuppen“ benutzt wurde und mit allerlei Gerümpel - alte Farbeimer, gebrauchtes Tauwerk etc. - vollgestopft war.

      Normal gearbeitet wurde heute natürlich nicht, der Wachbetrieb musste aber weiterlaufen; d.h., ein Ing. und ein Assi waren ständig unten im Maschinen-Fahrstand und ein Steuermann und Ausgucks-Mann auf der Brücke. Ich persönlich hatte insofern einigermaßen Glück, dass ich meine von morgens bis abends immer zwei-um-zwei-stündigen international vorgeschriebenen Sicherheits-Hörwachen in der Funkstation wahrnehmen musste und nicht (da alleiniger Funk-Offz.) ersetzt werden konnte. So wurde ich im Laufe des Tages etwa alle 1 ½ Stunden für gut 2 ½ Stunden aus dem Deckshaus freigelassen und konnte mich in der Funkbude wieder erholen.

      Das Deckshaus hatte es schon „in sich“, wir Täuflinge wurden dort für die kommenden Strapazen so richtig schön weichgekocht! Wir waren dort mit ca. 20 Mann (alle in Shorts / Badehose) wie die Ölsardinen in der Dose eingepfercht, es war stockdunkel und stank infernalisch nach Farbverdünner, Dreck und Altöl; außerdem herrschte ein Höllenkrach, die Neger und Polizisten lösten sich ständig ab und bearbeiteten das Dach mit zwei „Rostmaschinen“! Zu essen und trinken gab's natürlich nichts, ab und zu wurde das Schott zwecks Frischluft mal geöffnet; es gab höhnische Kommentare und wir durften kurz zur Kenntnis nehmen, dass dem „Wachpersonal“ das kalte Bier schmeckte.

      Meine Leidensgenossen beneideten mich selbstverständlich um mein Privileg der regelmäßigen „Pausen“ und wollten während meiner kurzen Aufenthalte im „Loch“ immer über alle draußen stattfindenden Ereignisse informiert werden. Während meiner Funkwachen bekam ich die Vorbereitungen, geplanten Schikanen usw. natürlich einigermaßen mit; von meinen Bewachern wurde ich allerdings unter Androhung der furchtbarsten Folgen für meine Gesundheit zu strengstem Stillschweigen verdonnert!

      Demzufolge „knallte“ ich mir in der Funkbude jedes mal etliche (in weiser Voraussicht vorher gebunkerten) Schotten-Wässerchen in den Kopf und sah deswegen den kommenden Dingen immer gelassener entgegen!

      Um ca. 15:30 Uhr wurden wir nach gut siebenstündiger „Dunkelhaft“ dann endlich aus dem „Deckshaus-Knast“ gelassen und mit Stricken aneinandergefesselt in langer Reihe zum Achterschiff geführt. Meine Leidensgenossen waren inzwischen schon ziemlich „fertig“; die voreiligen Kommentare von morgens („Die schaffen mich nie!“, „Ich zahl' für diesen Scheiß doch nix!“, „Dat is' doch Kinnerkrom und Geldschneiderei!“ etc. pp) waren inzwischen längst verstummt! Wir wurden nun unter mehr oder weniger derben „Püffen und Schlägen“ auf Luke 3 (Achterkante Aufbauten) verbracht und mussten uns dort - Gesicht Richtung Aufbauten - auf die Knie werfen. Um unter „Neptuns“ Blicken würdig bestehen zu können, wurden wir in dieser Lage von unseren „Wächtern“ - die sämtlich schon gut „angeschickert“ waren - erstmal richtig „gesalbt“; d.h., mittels Farbrollen mit einer Mischung aus Altöl, Farbe, Bilgendreck, Graphit usw. „wunderschön“ eingeschmiert! Es war bestimmt ein herrliches Bild; Proteste gab es kaum noch, wir hatten uns ziemlich alle mit unserem Schicksal abgefunden und warteten auf das Ende der Quälerei... aber... nun ging's ja erst los!

      Es war ca. 16:00 Uhr, als die Schiffs-Sirene mit einem langen etwa einminütigen Dauerton aufheulte. Wir bekamen noch jeder ein paar lockere „Peitschenhiebe“ von den Negern und wurden mit lautem Gebrüll' belehrt, dass wir nun just den Äquator passierten und seine Majestät Neptun samt Gefolge sich die Ehre gäbe, unser (noch) dreckiges Schiff zwecks Inspektion zu betreten!

      Vorne auf der Luke waren eine Art großer und kleiner Thron sowie ein imposantes Stehpult aufgebaut. Das Schiff war auch sonst prima dekoriert; überall bunte Fahnen und Wimpel, bemalte Planen etc., natürlich ebenfalls „über die Toppen“ geflaggt usw.!

      Von der Steuerbord-Seite erschien nun zuerst unser Kapitän in voller „blau-goldener“ Uniform (mit Mütze und Schlips) und begab sich gemessenen Schrittes und mit „würdigem“ Gesichtsausdruck über eine angelegte breite Holztreppe auf die Luke. Ein Neger in seinem Schlepptau trug ein kleines hölzernes Schiffs-Steuer und baute