Spiel des Zufalls. Joseph Conrad

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Название Spiel des Zufalls
Автор произведения Joseph Conrad
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750247857



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hatte knapp zuvor gesagt, daß ›nicht ein einziger‹ da war, mit dem man sich hätte in Verbindung setzen können. Niemand! Und da mir dabei Frau Fynes schnippisches ›Tatsächlich nicht!‹ einfiel, so hefteten sich von da an meine Gedanken an sie, da sie ihnen mehr Anhalt zu bieten schien.

      Ich fragte mich ernstlich -- und der Frage gesellte sich der Zweifel --, ob sie selbst wohl die Theorie verstand, die sie mir an den Kopf geworfen hatte. Man kann alles aussprechen, man sollte es sogar tun, vorausgesetzt, daß man weiß, wie es gesagt werden muß. Das nun wußte sie augenscheinlich nicht. Sie war nicht klug genug dazu, hatte keine Weltkenntnis. Sie hatte ein paar Worte aufgeschnappt, so wie ein Kind vielleicht giftige Pillen findet und nun mit den ›süßen, kleinen Kügelchen‹ spielt. Nein! Die als Haussklavin erzogene Tochter von Carleon Anthony und der kleine Fyne von der Regierung (diese Blüte der Gesittung!) -- sie waren keine klugen Leute. Sie waren guter Durchschnitt, ernsthaft, ohne Lächeln und ohne Arglist. Doch er hatte seine Feierlichkeit, und sie hatte ihre Hirngespinste, heftig, roh, aufrührerisch. Und ich machte mir nicht ohne Trauer klar, daß all der Aufruhr, die Entrüstung, der Widerspruch, die Anfälle von Schmerz und Wut nichts waren als die Lebensäußerung eines sinnenbegabten Wesens, das nach seinem Anteil an der Freude, an Form, Farbe und Eindrücken verlangte, dem einzigen Reichtum in unserer Sinnenwelt. Ein Dichter mag ein einfacher Mensch sein, aber es ist sein Schicksal, veränderlich, launenhaft zu sein, eigenwillig und reizbar. Ich suchte mir die zahllosen Gründe vorzustellen, mit denen der heimgegangene Sänger der Gesittung vor sich selbst die Quälereien gegen seine Angehörigen gerechtfertigt hatte. Da Dichtern gemeinhin die Voraussicht in Fragen des praktischen Lebens fehlt, so hatte ihm die Angst vor den möglichen Folgen wohl gefehlt. Jawohl! Die Fynes waren ausgezeichnete Leute, aber Frau Fyne war nicht umsonst die Tochter eines Haustyrannen; ihre Auflehnung kannte keine Grenzen. Aber sie waren ausgezeichnete Leute. Offenbar hatten sie sich gegen das junge Mädchen sehr gütig erwiesen, dessen Stellung in der Welt etwas schwierig schien, da es das Gesicht eines Opfers mitbrachte, dazu einen offenkundigen Mangel an Ergebung und überdies die sehr merkwürdige Eigenschaft einer Waise ›bis zu einem gewissen Grade‹.

      Das waren meine Gedanken, doch hörte ich sehr bald auf, mir über alle die Leute den Kopf zu zerbrechen. Ich fand, daß meine Lampe ausgegangen war und einen fürchterlichen Geruch hinterlassen hatte. Ich flüchtete davor in den ersten Stock hinauf und ging im Dunkeln zu Bett. Mein Schlaf -- ich glaube, das einzige Gute beim Gehsport, Gott verdamme ihn, ist, daß er unsere natürliche Trägheit steigert -- mein Schlaf also war tief, traumlos und erquickend.

      Auch mein Frühstückshunger wurde durch das Nichtwissen um Tatsachen, Beweggründe, Ereignisse und Schlußfolgerungen nicht berührt. Ich glaube, es ist nicht gut für den Geist, alles zu verstehen. Ein vollbeladener Geist hemmt die Tatkraft, ein überlasteter führt langsam zum Blödsinn. Doch Frau Fynes persönliche Frauenrechtlerei, so erquickend unbekümmert, schoß mir durch den Kopf. Was für einen Salat unbewiesener Lehrsätze füllte sie doch in die Mädchenköpfe! Gutes, unschuldiges Wesen, würdige Gattin, ausgezeichnete Mutter (vom reinen Gouvernantenschlag), kümmerte sie sich so wenig um die Folgen, wie nur je ein überzeugter Philosoph.

      Was nun das Ehrgefühl anbetrifft, so ist dies, wie du ja weißt, ein schönes, mittelalterliches Erbteil, das aber Frauen sich nie zu eigen machen konnten. Es lag ihnen nicht. Und da man ja ganz allgemein den Grundsatz aufstellen kann, daß die Frauen immer bekommen, was sie wollen, so müssen wir in diesem Falle wohl annehmen, daß sie es nicht gewollt haben. Zum Überfluß fehlt ihnen auch das Schicklichkeitsgefühl, ich meine männliches Schicklichkeitsgefühl. Auch Voraussicht ist ihnen fremd, die wägende, schwerfällige Voraussicht, die unser Stolz ist. Und hätten sie sie, dann würden sie sie ins Leidenschaftliche hinüberspielen, so daß ihre eigene Mutter -- ich meine die Mutter der Voraussicht -- sie nicht wiedererkennen würde. Die Klugheit ist ihnen nur ein Kitzel, wie auch der Rest unserer irdischen Leidenschaften. ›Erregung um jeden Preis‹ ist ihr geheimer Wahlspruch; alle Tugenden genügen ihnen nicht, sie müssen auch alle Laster haben. Und warum? Weil in dieser Vielseitigkeit Macht liegt. Der Kitzel, den sie am meisten lieben ...«

      »Erwartest du, daß ich alledem zustimme?« unterbrach ich ihn.

      »Nein, das ist nicht nötig«, sagte Marlow, ohne Freude an der Unterbrechung, doch angestrengt liebenswürdig. »Du brauchst es nicht einmal zu verstehen. Ich fahre fort: Was nun, da sie so beschaffen sind, die Frauen abhält -- um einen Ausdruck zu gebrauchen, den ein alter Bootsmann meiner Bekanntschaft auf seinen Kapitän anwandte -- was sie also abhält, ›auf Deck zu kommen und die Hölle auf dem Schiff loszulassen‹, das ist dies eigenartig Ausgeprägte und Geheimnisvolle in ihnen, das sowohl als Hemmung wie als Antrieb wirkt; ihre Weiblichkeit kurzum, die sie mit Gewalt loswerden zu können glauben, die sie aber nie loswerden können und auch nicht ernsthaft loswerden wollen. Darum können wir abschließend sagen, daß gegen alle ihre Unternehmungen die Welt jetzt und in Zukunft hinlänglich gesichert ist. Und da ich mich als friedliebender Mensch durch diesen Schluß besänftigt fühlte, so bereitete ich mich vor, einen schönen Tag zu genießen.

      Und es war ein schöner Tag, ein köstlicher Tag, wo herrliches Blau den Schimmer der Unendlichkeit verschleierte. Ein Tag, strahlend unschuldig wie ein frischgewaschenes Kind, fröhlich wie ein junges Mädchen, ein Tag, der einen mild grüßte, wie ein römischer Prälat. Ich liebe solche Tage. Sie sind wie geschaffen, um sie im Zimmer zu verbringen. Ich genoß ihn wollüstig in meinem Armstuhl, die Füße auf das Sims des offenen Fensters gestützt, ein Buch in der Hand; und der leise Einklang von Wind und Sonne schuf in meinem Herzen die Begleitung zu den Versen meines Autors. Als ich einmal vom Buch aufsah, bemerkte ich vor dem Fenster zwei graue Augen, von zottigen gelbweißen Brauen beschattet, die mich feierlich über die Spitzen meiner Morgenschuhe weg anblickten. Über dem gewichtigen Blicke zeigte sich eine blaue Sportmütze, weit aus der perlenden Stirn zurückgeschoben.

      ›Kommen Sie herein!‹ rief ich so herzlich, wie meine sinkenden Lebensgeister es erlaubten.

      Nach einer kurzen, aber strengen Auseinandersetzung mit seinem Hund an der Außentüre trat Fyne ein. Ich behandelte ihn ohne Förmlichkeit und wies nur mit der Hand nach einem Stuhl. Noch bevor er sich niedersetzte, stieß er hervor:

      ›Wir haben Nachricht -- mit der Mittagspost.‹

      Das stieß er hervor; der ernste, unerschütterliche Fyne von der Regierung keuchte! Das genügte, wie du dir wohl vorstellen kannst, um mich zu bestimmen, daß ich meine Füße schnell auf den Boden setzte. Der Bursche brachte es immer fertig, mich zu Handlungen zu verleiten, die meiner nachdenklichen Gemütsart zuwiderliefen. Kein Wunder, daß sich meine Zuneigung zu ihm in bescheidenen Grenzen hielt. Ich sagte mit einem recht kläglichen Anlauf zum Scherz: ›Natürlich! Ich sagte Ihnen ja gestern Nacht schon, auf der Straße, daß wir in einer Posse mitspielten.‹

      Im Grabeston seiner Antwort klang Ärger mit, daß mein kleines Wohnzimmer in den Grundfesten davon erzitterte: ›Zum Teufel mit der Posse! Sie ist mit dem Bruder meiner Frau, Kapitän Anthony, durchgebrannt!‹ Diesem Ausspruch folgte ein völliges Zusammenklappen. Es klang jämmerlich, als er aus reiner Gewohnheit hinzufügte: ›Dem Sohn des Dichters, Sie wissen ja.‹

      Es trat ein Schweigen ein. Fyne zeigte sich mir immer wieder von einer neuen Seite. Diesmal also hatte er alle Feierlichkeit beiseite gelassen. Sofort meldete sich natürlich meine Neugierde wieder.

      ›Aber halt!‹ sagte ich. ›Sie sind doch nicht zusammen abgereist ...? Ist es nur eine Vermutung, oder gibt sie wirklich zu ...‹

      ›Sie ist ihm nachgefahren‹, stellte Fyne düster fest. ›Nach vorheriger Verabredung. Das gibt sie selbst zu.‹

      Er fügte hinzu, daß es sehr anstößig sei. Ich fragte ihn, ob er es vorgezogen hätte, wenn sie zusammen abgefahren wären; und wenn ja, welche Gründe er für diese Vorliebe anführen könne. Das tat ich einfach zum Spaß, denn die Ehe der Fynes war ja auch nach einer Flucht geschlossen und hatte seinerzeit sogar die Zeitungen beschäftigt, weil der heimgegangene Dichter sich in seiner Entrüstung keine Schranken auferlegt und versucht hatte, die Schmach öffentlich vor einem Richter in Allongeperücke zur Sühne zu bringen. Eine trostlose Handbewegung des kleinen Fyne nahm mir augenblicklich die Lust zu weiteren Scherzen. Doch konnte ich es nicht unterlassen,