Lügen mit langen Beinen. Prodosh Aich

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Название Lügen mit langen Beinen
Автор произведения Prodosh Aich
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783844291223



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Medien und Information, doch nur eine vielfältige Wiederholung der gleichen Desinformation ist? Uns allen würden viele Beispiele der massiven Desinformation durch alle Medien einfallen, wenn unser Erinnerungsvermögen in der „Informations– und Mediengesellschaft“ nicht schon fast verloren gegangen wäre. Wir wollen an dieser Stelle nicht unbedingt fragen, wie oft das Bundesverfassungsgericht in Deutschland jene nie vom Volk unmittelbar gebilligte Finanzierung der politischen Parteien als verfassungswidrig beurteilt hat. Auch nicht wer und wie von den oberen Hundert schon Erinnerungslücken (black-outs) für sich in Anspruch genommen hat, wenn sie glaubten, bei ihren Untaten erwischt worden zu sein.

      Wir fragen beispielsweise auch nicht nach der im Fernsehen übertragener Reaktion von Roman Herzog als Präsident des Bundesverfassungsgerichts, als bekannt wurde, daß der gerade verstorbene herausragende Verfassungsrechtler dieser deutschen Republik, Theodor Maunz, jahrelang wöchentlich den Vorsitzenden der rechtsextremen Deutschen Volksunion (DVU) und Verleger Dr. Gerhard Frey traf und ihn in seinen diversen Verwaltungsgerichtsverfahren außerordentlich effizient beriet. Roman Herzog reagierte, äußerte für den Reporter anscheinend überzeugend, daß er den Bauch voll Wut hatte als er dies erfuhr. Der Reporter fragte in dem gesendeten Fernsehbericht nichts nach. Hatte der Reporter nicht gewußt, daß Roman Herzog als junger Rechtswissenschaftler viele Jahre Vertrauter und enger Mitarbeiter eben jenes Theodor Maunz war? Daß der gebräuchlichste Grundgesetzkommentar den Namen Maunz–Herzog trägt? Daß es in dieser Republik keinen Verfassungsrechtler gibt, der nicht Theodor Maunz immer noch hoch in Ehren hält? Wie viele Medienmacher haben uns informiert, daß Theodor Maunz auch im Dritten Reich ein ebenso herausragender Verfassungsrechtler gewesen ist? Wie hielt es Theodor Maunz mit dem „Führerprinzip“? Ein Bauch voller Wut mag noch akzeptiert werden. Aber ist die Frage nicht unmittelbar fällig, wenn er, Roman Herzog, trotz jahrelanger engster Zusammenarbeit nicht gemerkt hatte, aus welchem Holz Theodor Maunz geschnitzt war, war er dann selbst geeignet als oberster Verfassungshüter der neuen Deutschen Republik? Nein, alle diese Fragen stellen wir nicht. Es ist ja alles schon so lange her.

      Nur, wir kommen nicht umhin, die Frage nach den Zusammenhängen in den Raum zu stellen. Gibt es Zusammenhänge zwischen der Medienvielfalt und dem Verlust von Gedächtnis? Können wir übersehen, daß trotz Medienvielfalt alle Medien dieselben Schlagzeilen unter gleichen Gewändern transportieren, und daß Medienvielfalt keineswegs zur Informationsvielfalt, nicht zu facettenreicheren Einblicken in die Ereignisse geführt hat? Können wir wirklich übersehen, daß die Vielzahl der Zeitungen, Magazine, Rundfunk– und Fernsehsender nur täuschend sein kann, wenn ihre Quellen, die Agenturen, die gleichen sind? Und konkurrieren sie nicht bedingungslos um den Kuchen der Werbebudgets der Waren verkaufenden Unternehmen? Auch die öffentlich–rechtlichen Rundfunk– und Fernsehanstalten? Welche von ihnen könnte den riskanten Versuch unternehmen, mit alternativer Programmpolitik ein größeres Stück vom Werbekuchen zu ergattern? Was ist, wenn es schief geht? Sie konkurrieren also folgerichtig nach dem „Guinness–Prinzip“: schneller, reißerischer, unterhaltsamer und besser nur in technischer Qualität. Auflagenhöhen und Quoten sind Trumpf. Zusammenhänge und Hintergründe sind kopflastig, sind weniger unterhaltsam. Und wir lassen uns gern unterhalten. Unterhaltung braucht kein Gedächtnis. Gedächtnis belastet nur. Haben wir nicht genug Krampf und Kampf um den Alltag zu bewältigen?

      Wir haben sicherlich noch nicht ganz vergessen, mit welcher Gewalt die täglichen Pressekonferenzen aus dem Weißen Haus bei der Terroristenbekämpfung in Afghanistan, aus dem NATO–Hauptquartier während des „unvermeidbaren“, „gerechten“ Kosovo Krieges uns welche unglaublichen Geschichten „glauben machen“ wollten. Hatten nicht die US–Bomber und NATO–Bomber nur intelligente Bomben abgeworfen, die stets zwischen „bin Ladens“ und „Milosevics“ einerseits und afghanischen und jugoslawischen Kindern und Frauen anderseits unterscheiden konnten? Abgesehen von den wenigen „Kollateralschäden“! Kollateralschäden? Hatte nicht die zivilisierte „Staatengemeinschaft“ in diesen Kriegen aus der Luft, nein, in diesen „Luftschlägen“, die einzige Möglichkeit gesehen, in Afghanistan das gegenseitige Abschlachten der afghanischen Stammeskrieger, in Kosovo eine „ethnische Säuberung“ zu verhindern? Was haben die „Luftschläge“ und die gewonnenen Kriege tatsächlich gebracht? In Afghanistan, in Kosovo, in Bosnien–Herzogovina, in Kroatien? Was sind Stammeskriege? Was ist ethnische Säuberung? Was war in Somalia? Und im Libanon?

      Und was war im „Golfkrieg“ los? Wann ist er zu Ende gegangen? Hat unser Kopfspeicher noch Platz für den „Golfkrieg“? Der „Golfkrieg“ ist offenbar gelöscht. Heute wissen wir im besten Fall noch, daß die nach 1990 geborenen irakischen Kinder eigentlich selbst daran schuld sein müßten, daß das Regime von Saddam Hussein immer noch im Irak herrscht. Dem „Golfkrieg“ zum Trotz. Wie sonst sind die fortwährenden Raketen– und Bombenangriffe der Briten und der USA auf den Irak zu erklären? Sind diese Angriffe durch Resolutionen der Vereinten Nationen gebilligt?

      Können wir uns noch über die Zusammenhänge mit Falkland erinnern? Oder beim Militärputsch in Chile? Oder an die Entlaubung des Ho-Chi-Mihn-Pfades durch den flächendeckenden Abwurf von Dioxin als die Demokratie und Menschlichkeit schlechthin in Asien verteidigt wurde? Wer steckte hinter dem „Sechs-Tage-Krieg“? Was geschah im Kongo und wie kam der einstige Generalsekretär der Vereinten Nationen, Dag Hammarskjöld, ums Leben? Wer brachte den demokratisch gewählten iranischen Ministerpräsidenten Mohammed Mossadegh um, als er die Ölindustrie in Iran verstaatlichte? Wer war John Foster Dulles und welche Politik betrieb er? Aus welchem Himmel fielen die Flüchtlinge in Palästina, die heute noch in Lagern leben? Was geschah in Hiroshima und Nagasaki? Wer führte den zweiten und den ersten Weltkrieg? Was geschah in den sogenannten Kolonien? Wieso heißt „Amerika“ Amerika? Wie hieß dieser Kontinent früher? Wie hießen die Bewohner dort, bevor die christlich–europäischen Schlächter ganze Arbeit leisteten? Oder in „Australien“, oder in „Neuseeland“? Wissen wir noch, wieviel „Flüchtlinge“ es in den letzten 500 Jahren aus Europa gegeben hat und was sie in der ganzen Welt angerichtet haben? Waren sie Asylsuchende? Wenn wir die Antworten auf alle diese Fragen gegenwärtig hätten, würden wir dann nicht die lautstärksten Vorkämpfer für die Erhaltung der Menschlichkeit mit anderen Augen sehen?

      Wer kennt die Anekdote noch? Ein Journalist fragt den Außenminister der USA John Foster Dulles, wenn er nur einen Wunsch frei hätte, welcher wäre der? „Freier Fluß der Informationen“ war seine Antwort. Der Journalist hat nicht nachgefragt. Wir aber grübeln nach. Was hat John Foster Dulles wirklich gemeint? Fließt nicht jeder Fluß in einer Richtung? Ja, die vielen „John Foster Dulles“! Sie haben uns jene langjährige UNESCO–Diskussion über „Medienmonopole“ fast vergessen gemacht. Jene 1970er und 1980er Jahre.

      Wie gesagt, Fragen ohne Ende fallen uns ein, den Zusammenhang zwischen Medienvielfalt und Gedächtnisverlust gegenwärtig zu machen. Zur großen Politik wie auch zu Problemen des Alltags. Und wir wissen: Wir sind, was wir wissen. Und wir wissen, was uns erzählt worden ist.

      Wir sehen keine Veranlassung, das Erzählte nicht anzunehmen und es zu anderen Bestandteilen unseres Wissens einzuordnen und abzulegen, wenn die Erzählung stimmig ist, wenn die Erzählung in uns kein Unbehagen erzeugt, wenn die Erzählung nicht in Widerspruch zu unserer Erfahrung und unserem bereits gespeicherten Wissen gerät. An diese Vorgänge haben wir uns gewöhnt. Meist haben wir auch keine Zeit zu fragen, wer der Erzähler ist, wie der Erzähler zu seinem Stoff kommt, wie er seinen Lebensunterhalt verdient, was die Erzählung bewirkt, wem sie dient, wem sie schadet, und vieles mehr.

      Dies sind die Gründe, dies sind die Zusammenhänge, die unsere Suche nach Antworten auf unsere an sich harmlos erscheinende Frage so schwer gemacht haben: wer sind die „Indogermanen“, die „Indoeuropäer“ und die „Arier“? Seit wann ist bekannt, daß sie es sind? Wie ist bekannt geworden, daß es sie gibt? Wer hat sie gefunden und wie und warum und wozu? Aber wir sind weiter gekommen. Durch unsere unüblichen Fragen. Und es scheint, wir haben die Büchse der Pandora aufgestoßen.

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