Название | Schlaflose Nächte |
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Автор произведения | Carl Hilty |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783746704791 |
1 1 Erste Zeile aus dem Gedicht »Das hat die Sommernacht getan« von Anna Ritter (1865-1921)] ↩
III.
Die Gesundheit eines so komplizierten Wesens, wie es der Mensch ist, ist hauptsächlich Widerstandsfähigkeit, körperliche und geistige Reaktion gegen böse Einflüsse, die nicht ganz vermieden werden können, durch keinerlei Vorsichtsmaßregeln. Viel leichter und viel erfolgreicher ist es, den Geist und Körper so zu schulen und zu kräftigen, dass er allem widersteht, ja aus diesem Kampf nicht nur ohne Schaden, sondern sogar mit mehr Stärke und erhöhter Widerstandskraft hervorgeht.
Die allerbeste und einfachste Gesundheitslehre ist ein Leben nach Gottes Geboten; dies verheißt nach den ältesten Überlieferungen der Menschheit gesundes Leben und Kraft bis ins hohe Alter. Das Allerschlimmste für die Gesundheit ist die Neigung des Lebens, oder auch nur der Gedankenwelt, nach dem bloßen Genuss hin, ganz besonders in einer bestimmten Richtung. Darauf ruht ein unfehlbar eintretender Fluch für Geist und Körper. Die heutige Welt ist von dieser Ansicht weit abgekommen und wird das noch schmerzlich an ihrem eigenen Leib und Geist erfahren müssen. Dagegen gibt es — mit Fug und Recht — keine ärztliche Abhilfe.
Verbinden sich mit einer solchen Neigung noch unglückliche äußere Lebensverhältnisse (wie dies gewöhnlich der Fall sein wird) oder auch nur ein Hang zu Grübelei oder zu wenig äußere Beschäftigung, so ist gerade bei den begabtesten Menschen — Dichtern, Künstlern, Philosophen — die Vorbereitung zum Trübsinn oder selbst Wahnsinn gegeben. Ohne eine solche moralische Ursache tritt der Wahnsinn Überhaupt selten ein, während mit einer sittlich guten Lebensart und einem festen Glauben an eine moralische Weltordnung selbst einer erblichen Anlage dazu widerstanden werden kann. Die Furcht vor einer solchen angeblich zwingenden »Belastung«, die heute manches Leben zu einem unglücklichen gestaltet, ist die Folge und Strafe einer materialistischen Geistesrichtung, bei der kein bloß ärztliches Mittel hinreichende Wirkung hat.
Eine ganz besondere, zu wenig beachtete Frage ist die nach der richtigen Gesellschaft für Kranke oder Angegriffene, die Ruhe und Stärkung bedürfen. Schlechte Gesellschaft irgendeiner Art ist für den Geist und Körper Angegriffener ebenso schädlich wie schlechte Luft, selbst wenn diese Gesellschaft nur in dem gewöhnlichen gehaltlosen Gerede besteht, wie es in Kuranstalten eigentlich stets an der Tagesordnung ist. Umgekehrt gehört gute, namentlich aber friedvolle Gesellschaft zu den Bedingungen ihrer Genesung.
Der »Friede« ist etwas ganz Reelles, eine wirkliche Eigenschaft oder Kraft, die manche Menschen haben und überall hin mit sich bringen wie eine wohltuende Atmosphäre. Dagegen tragen andere Leute, die sonst hochbegabt und keinesfalls unmoralisch, oft sogar fromm sein mögen, Unruhe und Unbehaglichkeit in jedes Zimmer, in das sie eintreten. Es dauert meist nicht lange, bis man das spürt; kleine Kinder und Tiere haben dafür sogar einen augenblicklichen Instinkt, der den Erwachsenen durch Nachdenken und Gewöhnung verloren gehen kann, sich bei Krankheit aber oft wieder einfindet. Darauf wird nicht bloß bei den zur Krankenpflege bestimmten Personen zu achten sein, sondern auch bei Angehörigen und Besuchern.
Die bloße äußere Frömmigkeit (etwa bei den Diakonen und Diakonissen) genügt keinesfalls, sondern es muss ein wirklich mitleidiges, hilfreiches, zartfühlendes Herz dazu kommen, das ganz in seinem Beruf lebt, und eine fröhliche Gemütsart, welche die Wirkung eines wahren Glaubens ist. Die geringste Spur von Selbstgerechtigkeit, Dienstunwilligkeit oder Härte des Urteils bei einer solchen dienenden Person — wenn sie sich auch bloß in der Manier, dem Auftreten oder dem Klang der Stimme ausdrückt — kann auf den Kranken einen deprimierenden Eindruck haben, der ihm die Heilung erschwert und ihn von den Quellen seines Trostes abwendet. Es ist eigentlich traurig, dass man diese Bemerkung machen muss; der bloße Materialismus bei einem Teil der Ärzte und der Mangel an wirklichem innerem Beruf und innerer Tauglichkeit bei einem Teil des Pflegepersonals bildet aber ein großes Gegengewicht gegen die technischen Fortschritte der heutigen Arzneikunde.
Hinter den sogenannten »Naturgesetzen«, die übrigens eine bloße Hypothese sind und ohne einen »Gesetzgeber« überhaupt nicht möglich wären, stehen eben immer die Gesetze einer sittlichen Weltordnung, die deren Grundlage bilden. Die heutigen Naturkundigen werden wieder lernen müssen, dies anzuerkennen. Aus einer sittlich ungehörigen Lebensführung kann keine Gesundheit resultieren; ohne sittliche Heilkräfte, bloß mit äußerlichen Mitteln, lässt sich keine Gesundheit erhalten oder wiederherstellen. »Erblich belastet« sind wir alle, aber auch alle der Heilung zugänglich, wenn man die rechten Mittel anwendet; es gibt in diesem Fall vielleicht sogar keine völlig unheilbaren Kranken, denen nicht wenigstens eine sehr große Erleichterung verschafft werden könnte.
Übrigens sind viele Leiden einzelner Organe bloß Folgen einer allgemeinen Schwäche, die man gegenwärtig mit dem Ausdruck Nervosität oder Neurasthenie1 zu bezeichnen pflegt. Mit dieser Schwäche verschwinden auch die Leiden ganz von selber. Sie lässt aber nicht mit bloß körperlichen Mitteln beseitigen; dazu gehört stets die Mitwirkung seelischer Faktoren.
1 1 Neurasthenie bezeichnet ein Nervenleiden, das im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert zu den Modekrankheiten einer gehobenen Gesellschaftsschicht gehörte.↩
IV.
Ob es schließlich Menschen gibt, die in diesem Sinne eine besondere Heilgabe besitzen, das ist eine andere Frage. Die Heilige Schrift spricht nicht dagegen, sondern dafür. Unzweifelhaft ist es aber nicht die größte Gabe und auch keine alleinstehende, für sich allein denkbare und vorhandene. Die Heilung kommt dabei wahrscheinlich auf keine andere Weise zustande als mittels der kräftigen Anregung eines kranken Geistes durch einen ganz gesunden und die Herstellung einer Verbindung zwischen beiden, die nicht erklärt, jedoch wohl gespürt werden kann. Jedenfalls wendet sich diese Art von Heilung ganz an den inneren Menschen des Kranken. Er wird zu neuem Leben erweckt und kräftig gemacht oder von den vorhandenen Hindernissen dieses inneren Lebens befreit. Zu lernen ist sie nicht, wie eine neue amerikanische Schule es annimmt, sondern es ist eine Gabe und als solche kann sie auch verlorengehen, wenn sie nicht mit Weisheit und mit völliger Treue verwaltet wird. Es gehört wohl vor allen Dingen ein eigener sehr fester Glaube dazu, der auf den Kranken einwirken, teilweise sogar in ihn übergehen muss, und eine gänzliche Freiheit von Ehrsucht oder Eitelkeit, wie sie bei solchen unzünftigen Krankenheilern nicht immer anzutreffen ist. Jede auch noch so geringe Spur dieser Eigenschaften bildet jedenfalls einen triftigen Grund, diesen Menschen zu misstrauen; denn sie heilen ja niemals aus eigener, sondern aus einer fremden Kraft, die sich nicht täuschen lässt — ganz im Gegensatz zu den meist sehr leichtgläubigen Kranken, die auf allen Wegen und allzu eifrig Hilfe suchen.
Am allerwenigsten aber lässt sich eine solche Heilgabe durch ein Amt übertragen oder in besonderen Familien vererben. Es ist eine ganz individuelle Gnadengabe Gottes, die sich auch nicht an bestimmte Heilstätten oder sogenannte »Reichs-Gottes-Orte« bindet. Das gehört vielmehr schon in den Bereich des Aberglaubens, der auf diesem Gebiet stets bereit ist, die Stelle des Glaubens einzunehmen, sobald es ihm an völliger Reinheit und Freiheit von allem »Menschlichen« zu fehlen beginnt. Dann geht es gewöhnlich mit raschen Schritten abwärts, selbst bei guten Anfängen. Solche Beispiele sind zu allen Zeiten vorhanden gewesen und werden in unserer nächsten Zukunft wieder häufiger werden, da wir uns in einer großen Übergangs- und Entwicklungszeit sowohl der Theologie als auch der Medizin, und darin ganz besonders der Psychiatrie und der Nervenheilkunde, befinden.
Von