Название | Was zu beweisen wäre |
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Автор произведения | Jürgen Heller |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847679462 |
Jürgen Heller
Was zu beweisen wäre
Hallsteins erster Fall
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Neustift, Dienstag, 16.03.2010
Neustift, Mittwoch, 17.03.2010
Neustift, Donnerstag, 18.03.2010
Neustift, Sonnabend, 20.03.2010
Neustift, Dienstag, 23.03.2010
Neustift, Mittwoch, 24.03.2010
Berlin, Freitag, 12.03.2010
1
Bruno Hallstein liegt auf der Seite, mit dem schweren Kopf auf seinem linken Oberarm. Der ist dadurch abgestorben, ist so taub, dass er schmerzt und Bruno davon aufwacht. Er hebt den Kopf etwas an, kann aber den toten Arm mit eigener Kraft nicht bewegen, eben tot. Er muss tatsächlich den anderen Arm zu Hilfe nehmen und schafft es dann endlich, sich auf den Rücken zu drehen. Nach einigen Augenblicken fließt das Blut wieder in seine Bahnen, und der Arm fängt an, wie wild zu kribbeln, zu stechen, tausend Nadeln. Er flucht leise und massiert das taube Etwas mit der rechten Hand. Es dauert endlose Minuten bis das unangenehme Gefühl nachlässt. Bruno bleibt noch einige Momente liegen und versucht, seine Gedanken zu sortieren. Es ist wieder spät geworden. Nicht dass er betrunken war, aber das Auto hätte er doch stehen lassen sollen. Er ärgert sich darüber, dass er sich das immer wieder vornimmt, um dann doch das Risiko einzugehen.
Eines Tages erwischen sie dich noch.
Jedes Mal denkt er das, hinterher. Es ist schon nach 11 Uhr und er fühlt sich unwohl im Bett. Außerdem hat er das dringende Bedürfnis nach einer Dusche und frischer Wäsche. Quasi das Gestern abwaschen und das frische Heute anziehen. Das Bett gibt bedenkliche Geräusche von sich, als er sich aufrichtet. Er hat das Gefühl, dass es ihn von Tag zu Tag mehr anstrengt seine rund 100 Kilo hochzuwuchten. Dann sitzt er zumindest mal auf der Bettkante. Das aggressive Klingeln des Telefons kommt unverhofft und so laut, dass er erschrickt. Aber irgendwie werden dadurch die Kräfte frei, die er braucht, um endgültig aufzustehen. Er läuft ins Wohnzimmer, findet das Telefon auf dem Sofa zwischen zwei Kissen, drückt die grüne Taste und stellt fest, dass er zu langsam war. Auf dem Display blinkt ein kleines Telefon und dort, wo sonst immer der Name des Anrufers zu lesen ist, steht jetzt UNBEKANNT.
Dann eben nicht, leck mich...
Er stellt das Telefon in die Ladestation auf dem kleinen Ecktisch zwischen Couch und Sessel. Sein Blick streift dabei den Wohnzimmertisch, der mit Zeitungen vollgepackt ist. Mindestens drei Tagesspiegel, eine Berliner Zeitung, eine Programmzeitschrift und ein Spiegel Spezial zum Schwerpunktthema Industrierevolution. Irgendwo in dem Haufen findet er die Fernbedienung für den Fernseher. Dabei stößt er eine leere Bierflasche um, die dort halb auf dem Tisch, halb auf einer aufgeschlagenen Zeitschrift etwas wackelig gestanden hat. Sie malt nun eine kleine Pfütze Bier auf dem Tisch, kullert Richtung Tischkante und fällt dann auf den Boden. Allein dieses Geräusch nervt ihn, aber mehr noch, dass er sich wird bücken müssen, um diese dämliche Flasche aufzuheben.
Es ist zu einer Gewohnheit geworden als erstes den Fernseher einzuschalten, wenn er morgens das Wohnzimmer betritt. Meist läuft dann sogenanntes Frühstücksfernsehen. Ein berufsjugendliches Moderatorenpärchen mit zwanghafter Guter Laune taumelt zwischen Bürgerkriegen, Erdbeben, Massenentlassungen, Highlights der Fußballbundesliga, diätischen Kochrezepten und dem DAX hin und her. Und das drei Stunden lang in ewigen Wiederholungsschleifen, echt hart. Wer dabei frühstücken kann, muss völlig schmerzfrei sein. Der Fernseher gibt ein kurzes Blubb von sich, dann ein leises Knistern und endlich zeigt die Bildröhre bewegte Bilder. Aber kein Frühstücksfernsehen, sondern Werbung. Er schaltet die Kiste sofort wieder aus und wirft die Fernbedienung zurück auf den Tisch, genau zwischen die Zeitungsstapel. Eigentlich wollte er sich schon längst einen von diesen modernen flachen Fernsehern gekauft haben. Er resigniert aber jedes Mal, wenn ihm bewusst wird, dass sich dadurch nur die Qualität des Bildes, nicht die des Programms wird verbessern lassen. So schaut er immer noch mit seinem alten Telefunken-Röhrengerät.
Er geht ins Bad, um endlich zu duschen und öffnet das Fenster, um frische Luft in das völlig überheizte Bad zu lassen, schließt es aber sofort wieder, als ihm der kalte Luftzug von draußen entgegenweht. Seine Sachen vom Vortag liegen noch da, wo er sie gestern Nacht hingeworfen hat, schön verteilt.
Toll, schon wieder bücken!
Ihm fällt die Bierflasche im Wohnzimmer ein. Anstatt die Sachen aufzuheben, sucht er sich erst mal frische Wäsche aus dem kleinen Schränkchen neben dem Fenster. Er findet keine passende Garnitur, also wählt er eine schwarze Unterhose und ein weißes T-Shirt. Aus dem unteren Fach schnappt er sich ein paar schwarze Socken. Er zieht beide Strümpfe über die rechte Hand, sind in Ordnung, keine Löcher! Nachdem er einmal als Kind die peinliche Situation in einem Schuhgeschäft erlebt hat, wo sein Vater mit einem kleinen Loch im Strumpf einen Schuh nach dem anderen ausprobiert hat, sind Löcher im Strumpf für ihn eine real existierende Bedrohung. Er hat schon unzählige Socken weggeworfen, selbst wenn sie nur erste dünne Stellen an den Zehen oder an der Ferse zeigten.
Seine Mutter hat früher kaputte Socken noch gestopft. Dabei wurde der Strumpf über ein Holzteil gezogen, dass wie ein Pilz aussah und deshalb, dreimal darfst du raten, auch Stopfpilz hieß. Es war in dieser Zeit das normalste der Welt, gestopfte Strümpfe zu tragen, niemand dachte sich etwas dabei. Sie kannten auch keinen, der es sich finanziell hätte leisten können immer neue zu kaufen. Umso peinlicher war für ihn das Loch im Strumpf seines Vaters, damals im Schuhgeschäft.
Ob es heute auch noch Frauen gibt, die Strümpfe stopfen? Ich kenne keine. Oder Laufmaschen. Lassen Frauen heute noch Laufmaschen an ihren Strümpfen reparieren? Da hat uns wohl der Wohlstand erreicht. Gibt es überhaupt noch Laufmaschen? Ich erinnere mich, dass es in Berlin ganz viele Geschäfte gab, wohin die Frauen ihre kostbaren Nylons oder Perlonstrümpfe zur Reparatur brachten. Mutter auch. Pro Masche 6 Pfennig. Meist waren es so kleine Holzbuden, gerade so groß, dass eine Person darin sitzen