Название | Stirb endlich Alter |
---|---|
Автор произведения | Georg Christian Braun |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742790453 |
»Du wirst morgen die Koffer wieder hochbringen, wetten?«, frohlockte Roland. »Du bist immer schwach geworden, wenn es hart auf hart gekommen war. Wohin willst du überhaupt?«, setzte er eins drauf.
»Warts ab. Morgen sieht deine Welt anders aus, das schwöre ich.«
»Und was ist mit Annika und Lars? Nimmst du sie mit?«, stach der in die Wunde.
»Fürs Erste wirst du dich um sie kümmern. Wenn ich eine Bleibe gefunden habe, wo wir zu dritt wohnen können, hole ich sie nach.«
Nur, wenn die Kids es wollten, würde sie über eine zeitlich befristete und klar geregelte Rückkehr nachdenken. Ohne Zwang würde Roland nichts ändern. Wenn sie bliebe ..., ein Gedanke, den sie rasch runterschluckte ...
»Du weißt, dass ich im Gegensatz zu dir einer Beschäftigung nachgehe. Die Kinder sind deine Angelegenheit, darauf hatten wir uns verständigt.«
Renate hörte nicht mehr zu. Sie ertrug das Geschwätz Rolands, dem es ihrer Meinung nach ausschließlich um sich ginge, nicht mehr aus, Sie wollte stark bleiben, ein Zeichen setzen, dass es so nicht mehr weiterging.
Welche Herausforderung wartete auf sie nach dem Tod von Franz? Ein Leben mit Roland? Die Ungewissheit grub tiefe Furchen in die Seele. Sie erlebte nur eine lange Zeit mit Franz und einem Ehemann, der sie mit der Last in Gestalt eines alten Sterbenden alleine ließ. Sie packte der Mut. Die Phantasien, die Hassvorstellungen, Enttäuschungen, führten zu nichts. Sie musste ins Handeln kommen.
Sie dachte endlich mal an sich. Und ihre Gedanken fühlten sich warm und wohlig an. Sie ging mit einem entschlossenen Lächeln ins Bett.
Kapitel 2
Renate hatte es eilig. Sie wollte gegangen sein, wenn Annika und Lars aufstanden. Ihr Gesicht verriet Spuren eines schlechten Gewissens. Das bekam sie nicht wegen ihres Todeswunsches für Franz. Sie spürte, dass sie ihre Kinder für etwas leiden ließ, wofür die beiden am wenigsten etwas konnten.
Ich weiß, dass ich möglicherweise Mist baue, ja. Aber verdammt nochmal, einmal im beschissenen Leben möchte ich wichtig sein, einfach nur genießen, nicht das, was Roland und der alte Knacker mir abverlangen. Ich habe lange eine Rolle gespielt. Sie passt mir jetzt nicht mehr. Bei genauem Hinsehen lehnte ich sie schon seit geraumer Weile ab. Nachgeben, dachte ich, wäre eine verständliche Sache, die mal er, mal ich praktizierte. Roland meinte, ich als Weib hätte toujours das zu machen, was der Alte oder er wünschten. So nicht, meine Herren.
Roland lag noch im Bett und schnarchte. Üblicherweise stand er um 5.30 Uhr auf, das bedeutete für sie, spätestens um fünf Uhr das Haus zu verlassen.
Die Horrorvorstellung, wenn sie hierbliebe, den lästig gewordenen und übergriffigen Schwiegervater weitere ungewisse Tage pflegen zu müssen, trieb sie in ihr Auto.
»Nicht eine Sekunde länger mache ich den Unsinn mit. »
Sie wollte weg, nicht weit, aber weg. Sie hatte keine Zukunftspläne. Vom Ort der jahrelangen Aufopferung für einen todgeweihten und anstrengend gewordenen Franz einige Kilometer entfernt zu sein - das reichte ihr zunächst. Noch so nahe, dass sie Annika und Lars an Weihnachten zu sich holen konnte, falls sie die Krise nicht mehr bewältigten und getröstet werden mussten. So weit wirkte dann ihr mütterlicher Instinkt dann doch noch. Ihre Wehrlosigkeit verstanden ihre Mitmenschen als fiese Retourkutsche, vielleicht als Rache für entgangene Lebensfreude. Dass man nach jahrelanger, pausenloser und aufopferungsvoller Pflege eines schwerkranken und schwierigen Menschen am Limit der Kräfte angekommen sein könnte, dämmerte weder Roland noch seinen Angehörigen. Es hatte bislang bestens geklappt. Und für die Geschwister kam die Hausübergabe wie ein Affront vor. Roland musste sich seine Bevorzugung durch harte Arbeit verdienen. Nachträglich. Die Geschwister ließen ihren Bruder alleine mit den Sorgen um Franz. Sie halfen ihm nicht. Sie dachten nicht daran. Im Gegenteil: Mit Argusaugen verfolgten sie in ihrer Verbitterung, wie der väterliche Kronensohn mit Franz umging. Von jenem hatten sie Abstand genommen und besuchten ihn kein einziges Mal. So enttäuscht waren sie.
Renate startete den Motor ihres Fiat Punto und schlich leise vom Hof. Tränen schossen ihr ins Gesicht, sie kam sich als Rabenmutter vor. Sie liebte ihre beiden »Goldschätze«, musste aber ab dem Zeitpunkt ihrer Entscheidung in erster Linie an sich denken. Ihr Selbstbewusstsein sank in all den Ehejahren auf Erbsengröße. Roland und die Kinder nahmen ihre Wünsche entweder nicht wahr oder ignorierten sie. Sie erlebten Renate als energiegeladene und vor allen Dingen liebevolle Ehefrau und Mutter, der die Wünsche und Sehnsüchte der Familie äußerst wichtig waren. Bis sie selbst im Familienchaos untergegangen war. Die emotionalen Hilfeschreie verpufften in der Pflege von Franz und den Diensten an der Familie. Sie erlitt einen Nervenzusammenbruch, den Roland ignorierte. Stattdessen forderte er Renate auf, »ihre Schauspielereien« sein zu lassen. Es gäbe schließlich wichtigere Dinge, als ihre Hirngespinste auszuleben. Solche Äußerungen verletzten sie tief. Sie wehrte sich nicht, bis sie am vorigen Tag die Kraft aufbrachte, auf den Tisch zu hauen und mit ihrem Wegzug zu drohen. Was sie in diesem Moment in die Tat umgesetzt hatte. Und trotzdem waberten im Hinterkopf Gewissensbisse, die sie, um sich selbst die vielleicht letzte Lebenschance zu ermöglichen, verdrängte.
Marianne Haberer, 38, 1,80m groß, schwarze Haare und schlank, die jüngere Schwester von Renate, wusste um ihre Situation. Sie kannte die Pläne Renates und war ihrer älteren Schwester in der Trennungserfahrung voraus: Vor drei Jahren ließ sie sich von ihrem Mann Holger scheiden. Als Renate ihr Leid klagte, riet Marianne zur baldigen Trennung, bevor sie dazu die Kraft nicht mehr aufbrachte.
»Seit ich Holger los bin, habe ich Luft zum Atmen und Kraft für neue Erfahrungen«, gab sie Renate zur Antwort, als diese an dem Trennungsratschlag zweifelte. Denn Marianne hatte keine Kinder, Annika und Lars brauchten Renate dringender denn je. Das zwölfjährige Mädchen kam in die Pubertät und suchte oft den mütterlichen Halt, während Lars die Hilfsdienste Renates in Sachen Hausaufgaben und Schule gerne beanspruchte.
»Was haben die beiden von mir, wenn ich kraftlos bin, und ihnen die Hilfe verweigere?«, sprach sie zu sich. Dies Mantra artige Bekenntnis sollte die argumentative Grundlage sein für den Fall, dass irgendjemand eine Rechtfertigung für den mutigen Entschluss erfragte. Und jener Gedanke befähigte sie zu dem schmerzhaften Affront ihren Kindern gegenüber, die an diesem zwanzigsten Dezember aufwachten und erstmals ihre Mutter vermissen mussten. In Hebelbach wurde man wie eine mittelalterliche Hexe behandelt, wenn man die Familie im Stich ließ. Um die Härte ihres Entschlusses abzumildern, schrieb die verzweifelte Mutti ihren Kindern einen Brief:
»Liebe Annika, lieber Lars,
wenn ihr diesen Brief lest, bin ich nicht mehr zu Hause bei euch. Ich weiß, dass ihr sehr darunter leidet. Das tut mir sehr Leid. Ihr habt bestimmt bemerkt, wie verzweifelt ich unter Opas Pflege gelitten habe. Wie mich alles angekotzt und nur noch geekelt hat. Ich will und kann das nicht mehr und da Papa mich nicht unterstützt, bleibt mir nur übrig wegzugehen. Ich muss erst zu mir finden. Wenn ihr wollt, können wir gemeinsam Weihnachten feiern, aber nicht zu Hause, sondern an einem anderen Ort. Schreibt mir eine Nachricht, ich melde mich dann. Ich habe euch immer lieb. Auch wenn ihr meinen Weggang nicht verstehen werdet.
In Liebe
Mama.«
Den Brief las zuerst Annika. Er lag auf dem Küchentisch. In einem Umschlag ohne Sichtfenster, dennoch auffällig in der Tischmitte. Dort fand ihn die Zwölfjährige, als sie kurz nach dem Aufstehen etwas zu trinken suchte. Sie brach in Tränen aus und informierte ihren Bruder. Roland bemerkte das Fehlen Renates, nachdem er aufgewacht war:
»Verdammt, jetzt ist Renate doch tatsächlich abgehauen und lässt mich mit den beiden und Vater im Stich.« Diesen Husarenritt trauter er Renate wirklich nicht