Название | Mr. Blettsworthy auf der Insel Rampole (Roman) |
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Автор произведения | H. G. Wells |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783746747682 |
Sie war eine würdige Dame, die entweder eine blonde Perücke trug oder ihr Haar auf so kunstvolle Weise ordnete, daß es einer solchen glich; ihre Gesellschafterin ähnelte ihr, war jedoch größer, umfangreicher, war überhaupt eine außerordentlich umfangreiche Person, deren Büste auf mein kindliches Gemüt großen Eindruck machte. Ich erinnere mich, daß die beiden mich hoch überragten, während ich auf einer Matte vor dem Feuer saß, und daß das Gespräch mit dem jungen Geistlichen bedeutsam genug war, um einen starken Eindruck in mir zu hinterlassen. Die beiden Damen waren offenbar der Meinung, daß er schlecht beraten worden sei, mich nach Cheltenham zu bringen, und legten ihm nahe, noch etwa eine Stunde Bahnfahrt auf sich zu nehmen, um mich im Hause meines Onkels, des Rektors von Harrow Hoeward, abzuliefern.
Meine Tante bemerkte wiederholt, sie sei durch das Vertrauen meines Vaters gerührt, ihr Gesundheitszustand mache jedoch meine Aufnahme unmöglich. Sie und ihre Gesellschafterin unterrichteten den jungen Geistlichen über ihren Gesundheitszustand, soweit das schicklich war, ja, sie ließen sich, wie ich glaube, sogar auf die Schilderung heikler Einzelheiten ein. Sie mochten wohl fühlen, daß die Lage der Dinge ein so entschlossenes Vorgehen erfordere. Trotz des Mitleids, das der Geistliche von Berufs wegen empfinden mußte, war er offenkundig bemüht, diesen Geständnissen auszuweichen, zumindest insoweit, als sie die betreffende Angelegenheit beeinflussen konnten. Mein Vater habe ihm über diesen Bruder in Harrow Hoeward nichts gesagt, habe vielmehr nur von meiner Tante Constance gesprochen, seiner älteren Schwester, die ihm als ein Fels in der Brandung in Erinnerung sei. Er fühle sich, so erklärte der junge Geistliche, nicht berechtigt, von seinen Instruktionen abzuweichen. Seine Aufgabe sei erfüllt, behauptete er, da er mich in die Obhut meiner Tante gebracht habe; und er wünsche nur noch die Regelung gewisser kleinerer Ausgaben während der Reise, für die mein Vater nicht vorgesehen habe.
Ich für meinen Teil saß gleichmütig auf meiner Matte und betrachtete mit vorgetäuschter Aufmerksamkeit den Kamin, der von anderer Art war als die mir bekannten von Madeira, hörte dabei aber dem Gespräch aufmerksam zu. Ich war nicht sehr begierig, bei meiner Tante zu bleiben, doch wünschte ich sehnlichst, den jungen Geistlichen loszuwerden, so daß ich seinen Bemühungen, mich nunmehr verlassen zu können, guten Erfolg wünschte, und erfreut war, als er sein Ziel schließlich erreichte.
Er war ein dicker junger Geistlicher mit einem weißen runden Gesicht und einer gepreßten hohen Tenorstimme, die besser zu lautem Beten als zu Alltagsgesprächen taugte. Unsere Bekanntschaft hatte mit warmen und sehr gewinnenden Versicherungen der Zuneigung seinerseits begonnen, und ich hatte auf seinen Vorschlag hin an Bord des Dampfers eine Kabine mit ihm geteilt; als ich dann aber nicht imstande war, die Bewegungen des Schiffes mit Zurückhaltung zu ertragen und betreffs des Ergebnisses meines Verhaltens wenig Einsicht an den Tag legte, verschlimmerte sich unsere Beziehung zueinander, die eine so schöne zu werden versprochen hatte. Als wir Southampton erreichten, hatten wir eine gegenseitige Abneigung gefaßt, die nur durch die Aussicht auf eine baldige und dauernde Trennung gemildert wurde.
Kurz, er wollte nichts mehr mit mir zu tun haben …
Ich blieb bei meiner Tante.
Cheltenham war kein sehr glücklicher Zufluchtsort für mich. Ein kleiner Junge von fünf Jahren sucht emsig nach Beschäftigung, ist taktlos in der Wahl seiner Unterhaltungen und destruktiv, wenn er versucht, die gebrechlicheren unter den vielen interessanten Gegenständen rings um ihn zu erforschen und kennenzulernen. Meine Tante sammelte mit Begeisterung Figürchen aus Chelsea und anderes altenglisches Porzellan. Sie liebte diese sonderbaren alten Dinge. Trotzdem vermochte sie eine verwandte Leidenschaft in mir nicht zu begreifen, als ich mit reger junger Einbildungskraft Kämpfe und Dramen unter ihren Schätzen in Szene zu setzen begann. Auch meine Versuche, mit zwei großen, blauschwarzen Perserkatzen, die das Haus schmückten, zu spielen und ihr Leben etwas bewegter zu gestalten, mißfielen ihrer reiferen Einsicht. Ich konnte nicht begreifen, daß eine Katze, mit der man spielen möchte, nicht allzu heftig verfolgt werden darf und auch durch die bestgezielten Schläge nur selten fröhlich gestimmt wird. Meine Heldentaten im Garten, wo ich die Dahlien und Astern als wohlbewaffnete feindliche Scharen auffaßte und behandelte, trugen mir auch nicht einen Funken Beifall seitens meiner Tante ein.
Die beiden ältlichen Dienstmädchen und der bucklige Gärtner, die Behaglichkeit und Würde meiner Tante und deren stattlicher Gesellschafterin förderten, teilten die Ansicht ihrer Arbeitgeberin, daß die Kindererziehung vollkommen repressiv gestaltet werden müsse. So blieb mir nichts anderes übrig, als ein möglichst wenig aufdringliches Dasein zu fristen. Wenn ich mich recht entsinne, wurde ein junger Erzieher aufgenommen, der möglichst lange Spaziergänge mit mir unternahm und mir möglichst unhörbare Unterweisungen erteilte. Mein Gedächtnis bewahrt kein klares Bild von ihm, ich weiß eigentlich nur, daß er abnehmbare Manschetten trug, die ich bis dahin noch an niemandem gesehen hatte. Cheltenham erschien mir als ein Wirrsal endloser, ziemlich breiter Straßen mit blaßgrauen Häusern unter einem blaßblauen Himmel. Den größten Eindruck machten auf mich die Trinkhalle, die zahlreichen Liegestühle und das Fehlen jedweden lebhaften Farbtons, sowie jedweden erheiternden Vorfalls, wodurch sich der Ort von Madeira stark unterschied.
Ich verzeichne diese Monate in Cheltenham – vielleicht waren es nur Wochen, in meiner Erinnerung aber sind es endlose Monate – als eine Art Interregnum in der Leere vor dem Beginn meines wirklichen Lebens. Ober- und außerhalb des Bereiches meiner Aufmerksamkeit müssen meine Tante und ihre Gesellschafterin sehr angestrengt bemüht gewesen sein, mich in eine andere Umgebung zu versetzen, denn von dem trüben Hintergrund meiner Cheltenhamer Erinnerungen hebt sich eine Anzahl noch verschwommenerer Gestalten ab, lauter Blettsworthys, die kamen, mich weder liebevoll noch feindselig betrachteten, wobei sich aber sehr rasch der Entschluß in ihnen auszubilden schien, daß sie nichts weiter mit mir zu tun haben wollten, und wieder verschwanden. Ihre Bemerkungen lassen sich, glaube ich, in drei Hauptgruppen einteilen: Erstens wurde gesagt, daß ich meiner Tante gut tue, weil sie durch mich aus sich selbst herausgerissen werde – aber sie wollte offenkundig nicht aus sich selbst herausgerissen werden. Wer will das schon? Zweitens, daß man mich meinem Vater zurückschicken solle, was aber unmöglich war, da er Madeira mit unbekannter Adresse in Rhodesien verlassen hatte und die englische Post kleine Buben, die man postlagernd nach entfernten Kolonien schicken will, nicht annimmt; und drittens, daß die ganze Angelegenheit meinem Onkel unterbreitet werden solle, dem Reverend Rupert Blettsworthy, Rektor von Harrow Hoeward. Alle stimmten darin überein, daß ich für einen Blettsworthy von sehr kleiner Statur sein würde.
Mein Onkel war damals gerade in Rußland, wo er im Verein mit etlichen anglikanischen Bischöfen eine mögliche Wiedervereinigung der anglikanischen und der orthodoxen Kirche diskutierte – es war lange vor dem Weltkrieg und dem Aufkommen des Bolschewismus. Briefe, die meine Tante ihm schrieb, erreichten ihn nicht. Da, mit einem Male, als ich mich eben in ein rein negatives Leben im Hause meiner Tante zu Cheltenham unter der Leitung eines Erziehers mit abnehmbaren Manschetten zu ergeben begann, erschien mein Onkel.
Im allgemeinen ähnelte er meinem Vater, war aber kleiner, rosiger und runder, auch kleidete er sich, wie es einem wohlhabenden und glücklichen Rektor ziemt, während ich meinen Vater stets in zu weitem und verwaschenem Flanell gesehen hatte. Auch an ihm gab es vieles, was der Erklärung bedurfte, doch trat diese Notwendigkeit in seinem Fall nicht so deutlich zutage. Sein Haar war silbergrau. Er trat mit einem Mal und in vertrauenerweckender und angenehmer Weise aus dem verschwommenen Hintergrunde hervor. Er setzte seine randlose Brille auf die Nase und betrachtete mich mit einem sanften Lächeln, das mir außerordentlich anziehend dünkte.
»Nun, mein Junge«, sagte er mit einer Stimme, die mir fast die meines Vaters schien, »sie wissen offenbar nicht recht, was sie mit dir anfangen sollen. Würdest du denn gerne zu mir kommen?«