Название | Frühling im Oktober |
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Автор произведения | Sophie Lamé |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783737506243 |
„Oh nein“, sagte Viviane laut und stieß ein kurzes, hartes Lachen aus. Es gab ja doch Männer, die sich für sie interessierten. Die Falschen. Die Falschen – das war eine Horde gesichtsloser Personen, die sich allesamt dadurch auszeichneten, dass Viviane sich nicht für sie begeistern konnte. Sie zog an ihrer Zigarette und stützte ihre Ellenbogen auf die Fensterbank. Plötzlich merkte sie, dass sie wieder weinte. Dicke Tränen tropften aus ihren dunkelgrünen Augen und rannen über ihr Gesicht und dann den Hals hinab, bis sie im Kragen ihres Poloshirts versickerten und ein unangenehm feuchtkaltes Gefühl auslösten. Ihr wurde schlagartig klar, dass die Tränen nur deshalb so unaufhaltsam flossen, weil sie Angst hatte. Eine Angst, die sich wie ein dicker Ölteppich über ihre Seele wälzte und drohte, darauf haften zu bleiben. Angst, in diesem Leben niemanden mehr zu finden, der sie liebte und von ihr geliebt wurde. Gegenseitig, gleichermaßen, zur selben Zeit. Utopisch, unmöglich, hoffnungslos – ein weiterer Beweis dafür war heute Abend ganz frisch erbracht worden.
Konnte sie jetzt noch Helen anrufen? Nein, dazu war es nun doch schon ein bisschen zu spät. Und außerdem – sie würde doch nur wieder von einem gescheiterten Abend berichten können. Von ihrem Versagen und ihrer Unfähigkeit, ein männliches Lebewesen unter 75 von sich zu begeistern. Helen war da ganz anders. Sie hatte zwar auch noch nicht den Mann für´s Leben gefunden, aber immerhin sorgte sie selbst für die nötige Auswahl. Die Männer liefen ihr hinterher, als würde sie eine Duftmarke verströmen. Sie hatte eben einfach etwas Besonderes an sich. Viviane konnte sich nicht genau erklären, was es war, aber eines wusste sie genau: Sie selbst besaß es nicht! Sie schien viel eher etwas auszusenden, das die Herren der Schöpfung spätestens beim zweiten Date in die Flucht schlug. Und dabei war sie doch nicht einmal hässlich. Zumindest sagten das ihre Freundinnen. Mit ihren knapp ein Meter achtzig, den langen, dunkelbraunen Haaren und ihren schlanken Beinen hatte sie schon oft Komplimente für ihr Aussehen bekommen. Aber offensichtlich nützte all das nichts. Mit einem Seitenblick auf ihren Kühlschrank sagte sie in die Dämmerung hinein: „Warum ewig auf die Figur achten? Wenn mich die Männer mit 62 Kilo nicht attraktiv finden, kann ich diese Zahl getrost um 10 erhöhen.“ Viviane kicherte leise, als sie ihre Gauloise in der Spüle ausdrückte. Sie beschloss, Helen heute nicht mehr zu stören und stattdessen Tante Beas Lieblingsspruch zu beherzigen: Immer schön optimistisch bleiben und den Humor nicht verlieren.
Sie schälte sich aus ihrem beigen Regenmantel und lief über die alten Holzplanken in ihr weiß gefliestes Badezimmer. Mit immer noch etwas zittrigen Fingern pulte sie sich die Kontaktlinsen aus den Augen und putzte sich schnell die Zähne. Zum Abschminken hatte sie keine Lust mehr, sollten die Pickel nur kommen – egal. Das war so ähnlich wie mit den Kilos. Als Viviane sich ein paar Minuten später in ihr Bett kuschelte, wollte sich der Schlaf jedoch nicht einstellen. Die trüben Gedanken ließen sie einfach nicht los. Wann hat das eigentlich begonnen, das Problem mit den Männern, fragte sie sich und schob die Arme hinter ihren Kopf. Als Jugendliche hatte sie sich wohl gefühlt in ihrer Haut, und nicht im Traum wäre sie auf die Idee gekommen, dass die Jungs sie nicht attraktiv finden könnten. Sie hatte eine ganze Menge Verehrer gehabt und selbst Kati, das Nachbarsmädchen, mit dem sie ab und an durch die Straßen des verschlafenen Dorfes spazierte, in dem sie damals gewohnt hatte, war überzeugt, dass die Jungs der gesamten Klasse in sie, Viviane, verliebt waren. Sie lächelte, als sie sich selbst wieder als junges Mädchen sah. Es war so eine unbeschwerte Zeit gewesen, damals. Sie und ihre Freundinnen hatten einfach in den Tag hinein gelebt und sich keine Gedanken gemacht. Außer vielleicht über die nächste Mathearbeit oder die Puma-Turnschuhe, die ihre Eltern ganz sicher nicht kaufen würden. Auch die erste Liebe hatte Viviane, abgesehen von ein paar kleinen Kratzern auf der Seele, gut überstanden. Und dann waren aus den Jungs Männer geworden und die Abstände zwischen den Flirts wurden länger. Sicher, hin und wieder hatte es Lichtblicke gegeben und sie war eine Weile glücklich gewesen. Aber das Glück hatte sich jedes Mal schnell abgenutzt, war matt und glanzlos geworden und schließlich ganz verschwunden. Dann war sie ein paar Tage mit verheulten Augen und dem Herz voll Selbstmitleid durchs Leben gelaufen. Aber wenn sie es recht bedachte, hatte sie noch keinem ihrer Flirts oder einer ihrer Beziehungen richtig nachgetrauert. Der Schmerz war jedes Mal heftig, dauerte aber nur kurz. Und genauso würde es ihr mit Chris auch gehen. Vielleicht würde sie morgen noch etwas traurig sein, aber dann – vorbei. Schließlich hatten sie sich noch gar nicht richtig kennengelernt. Und was fand sie eigentlich an ihm? Sie musste zugeben, dass es ihr überhaupt nicht um Chris ging. Sie wollte einfach nur wieder einmal von einem attraktiven