Название | Ströme meines Ozeans |
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Автор произведения | Ole R. Börgdahl |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847621058 |
Paris, 15. Januar 1891
Madame Bernier scheint über irgendetwas verstimmt zu sein. Sie ist besonders zu Victor sehr reserviert. Es sieht fast danach aus, als sei es ihr unangenehm, dass ein junger Mann im Hause ist. Schon bei unserer Rückkehr aus Deauville vor zehn Tagen hat sie sich gleich zurückgezogen, nur Jeanette war ständig um uns herum, hat sich um das Gepäck gekümmert und wollte Victor alles recht machen.
Paris, 22. Januar 1891
Noch vor zwei Wochen haben Victor und ich uns über die Kolonien unterhalten und dieses Thema lässt ihn wohl nicht los. Einige Offiziere aus seiner Kaserne gehen in den Senegal, mit dem Ziel, die Lage im Sudan zu festigen. Ich frage mich nur, was es bedeutet, die Lage zu festigen. Mir ist es schon bewusst, ein Soldat wird nicht nur für friedliche Missionen eingesetzt. Victor hat mir aber versichert, es sei durchaus friedlich in Kayes, gerade deshalb, weil Frankreich dort jetzt ein Protektorat errichtet hat und gerade, weil die Armee dort Einfluss nimmt. Ich kenne Victor und seinen Wunsch, endlich weiter zu kommen, endlich ein Kommando zu erhalten oder als Stabsoffizier bessere Möglichkeiten zu haben. Vielleicht werden ja in Paris einige Posten frei, wenn ein Teil der Offiziere Kolonialdienst verrichtet. Dies könnte ein Weg sein, meint Victor, aber es wäre natürlich besser, sich selbst in den Kolonien zu beweisen, sich zu bewähren. Ich weiß, wo dies hinführt, ich weiß, welche Frage für Victor im Raume steht, aber ich werde es nicht aussprechen.
Paris, 15. Februar 1891
Seit ich denken kann, hat Madame Bernier immer bei uns im Hause gewohnt, in einem der Zimmer im Dachgeschoß. Ich war auch der Meinung, dass es ihr dort gefallen hat und sie sich nicht extra ein eigenes Zimmer oder gar eine Wohnung nehmen müsste. Dies ist jetzt anders. Madame Bernier ist gestern ausgezogen. Sie hat mir ihre neue Adresse gegeben, es ist ein paar Straßen weiter, keine zehn Minuten zu Fuß zur Rue Marcadet. Wenn Madame Bernier meint, wir würden ihr deswegen jetzt kündigen, dann hat sie sich geirrt. Solange sie jeden Morgen um halb acht zur Stelle ist, können wir mit der neuen Situation leben. Wir werden ihr aber auf keinen Fall mehr bezahlen, weil sie ja schließlich jederzeit wieder bei uns einziehen kann. Ich hoffe nur, es wird Jeanette dort oben unter dem Dach jetzt nicht zu einsam.
Paris, 26. Februar 1891
Ich kenne ja die Quelle der Sprichworte, mit denen Victor mich und andere so manches Mal überrascht. Es erstaunt mich nur, dass er die Sprüche in seinem Büchlein wohl auswendig kennt und dass ihm zur richtigen Gelegenheit auch immer das passende Wort einfällt. Es war keine besondere Situation. Ein Händler wollte mit seinem Handkarren in einen Hinterhof. Wir kamen gerade vorbei, als er versuchte das schwere Tor zu öffnen und dabei gleichzeitig darauf achten musste, dass der Karren nicht umkippte. Victor ist sofort hingegangen und hat ihm das Tor geöffnet. Es war wirklich nichts Besonderes, und als der Mann sich bedankte, hat Victor zu ihm gesagt: »Man muss sich gegenseitig helfen, das ist ein Naturgesetz.« Ich weiß nicht, ob der Mann es gleich verstanden hat, aber ich fand es witzig und passend zugleich. Später habe ich in Victors Büchlein nach diesem Spruch gesucht. Er stammt einmal mehr von dem Fabeldichter Lafontaine. Victor hat es sich schon vor gut fünf Jahren notiert.
Paris, 5. März 1891
Victor ist ja nicht mit sehr viel Hausstand in die Rue Marcadet gezogen. Er hatte auch schon alle seine Sachen beisammen, nur eines hatte noch gefehlt und genau dieses Stück hat mich entsetzt. Er bringt tatsächlich ein Schießgewehr in unseren Haushalt. Er nennt es sein Chassepot, ein Gewehr aus dem 1871-iger-Krieg. Das Grausige daran ist die Kugel, die im Schaft feststeckt. Victor behauptet, die Kugel hätte den Soldaten erst durchbohrt und wäre dann in den Schaft gefahren. Ich glaube ihm nicht so ganz, aber dennoch mag ich dieses Gewehr nicht. Victor behauptet dazu, dass man mit dem Gewehr noch schießen könnte. Er wollte es im Salon aufhängen, zur Dekoration. Ich habe es verboten. Er soll einen anderen Raum damit dekorieren, einen Raum, den ich nur selten oder gar nicht betrete. Er hat das Gewehr daraufhin erst einmal in eine Kiste auf den Dachboden gelegt. Dort kann es auch bleiben, wenn es nach mir geht.
Paris, 18. März 1891
Ostern ist dieses Jahr recht früh, schon in der nächsten Woche. Mutter hat geschrieben. In England gab es fürchterliches Wetter. Selbst die Zeitungen in Paris haben darüber berichtet, aber es schien so fern zu sein. Vater hat keine Verluste erlitten, obwohl sehr viele Schiffe auf See gesunken sind. Über die Anzahl der menschlichen Opfer schreibt Mutter nichts, sie berichtet nur von sehr schlechtem Wetter in Liverpool, von starken Regenfällen. In Gayton, war es genauso schlimm und Mutter hatte Angst, ihr Garten würde fortschwimmen. Der Brief war drei Tage unterwegs. Ich gäbe viel darum, mit Mutter telefonieren zu können, so wie es jetzt zwischen Paris und London möglich sein soll. Vielleicht gibt es in den nächsten Jahren auch solche Verbindungen zwischen Paris und Liverpool oder zwischen anderen Städten im Ausland.
Paris, 7. April 1891
Kayes sucht Offiziere. Sobald ein Offizier angefordert wird, klingt es für mich nach Krieg, nach Gefahr. Wir haben heute über die Möglichkeit gesprochen, dass Victor in den Sudan geht, dass wir nach Afrika gehen, oder dass nur er geht, für ein paar Monate und ich hier in Paris bleibe. Wenn ich mit nach Afrika käme, dann könnte ich in Dakar bleiben, solange Victor in Kayes zu tun hat. Er würde immer nach Dakar kommen, um mich zu sehen. Es ist noch lange nichts entschieden. Victor hat mit mir gesprochen, damit ich vorbereitet bin. Er will sich selbst nicht anbieten, das hat er mir versprochen, aber er will die richtige Antwort geben können, wenn sie ihm einen Posten im Sudan anbieten, wenn sie ihm dort Möglichkeiten in Aussicht stellen. Ich habe Victor angehört, ihm aber nichts versprochen, denn ich weiß selbst noch nicht, worauf ich mich einlassen würde, wenn aus den Plänen, aus den Gedanken, Realität wird.
Paris, 15. April 1891
Seit zwei Monaten wohnt Madame Bernier jetzt nicht mehr bei uns. Sie kommt jeden Morgen pünktlich und geht auch am Nachmittag ebenso pünktlich wieder. Sie verrichtet ihre Arbeit, aber das ist auch schon alles. Victor lässt dies gleichgültig. Ich weiß nicht, wie lange es noch so weitergehen soll, vielleicht sollte ich einmal mit Madame Bernier sprechen und vielleicht sollte auch Victor dabei sein.
Paris, 22. April 1891
Das Haus in der Rue Marcadet gehört uns. Wir wollen es umbauen. Ich plane bereits. Der Architekt war gestern bei uns und wir sind durchs Haus gegangen. Im unteren Stockwerk werden wir alles so belassen, wie es ist. Die Eingangshalle, der Salon und Vaters ehemaliges Arbeitszimmer können so bleiben, wie sie sind. Vielleicht ist Victor eines Tages Colonel oder noch etwas Höheres, dann können wir im Salon unsere Gäste empfangen und bewirten. Oben wollen wir eine kleine Wohnung einrichten, mit separatem Wohnzimmer und einem Schlafzimmer für Victor und mich. Die anderen Zimmer lassen wir auch noch umbauen, sodass Mutter und Vater ihre eigenen Räume haben, wenn sie uns in Paris besuchen. Die Zimmer für die Angestellten unter dem Dach werden wir auch so belassen. Es wohnt ohnehin nur noch Jeanette dort oben.
Paris, 27. April 1891
Victor