Название | Die Mitternachtsuniversität |
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Автор произведения | Saskia Burmeister |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783741862007 |
»Das war ich!«, quakte das dunkelhäutige Mädchen mit den Zöpfen dazwischen. »Und ich kann mich inzwischen super gut verwandeln! Das geht richtig fix!«
Dafür bekam sie sogar Beifall. Sogar der Lehrer lobte die Kleine, »Wirklich gut, Lulu. Ja, unser neuer Freund hat wirklich keine Ahnung und dennoch hat er die wichtigsten Arten der Verwandlung soeben genannt.«
Schwer erleichtert, auch aus dieser Situation heil herausgekommen zu sein, atmete Spike durch. Denn wenn hier schon zu spät kommen mit der Folterkammer bestraft wurde, dann wollte sich der Junge nicht ausmalen, welche Strafe auf ausbleibende oder falsche Antworten gegeben wurde. Vielleicht die Streckbank? Die Daumenschrauben oder eine Woche im Verließ bei Wasser und Brot?
Während sich Spike nun die schauerlichsten Dinge ausmalte, hörte der Rest der Klasse eher mäßig interessiert den Ausschweifungen der Lehrkraft zu. Schließlich kannten sich die Meisten bereits mit dem Thema aus. In den letzten Wochen waren aber ein paar neue Schüler dazu gekommen, daher sah sich der Lehrer bemüßigt, zu wiederholen und ins Detail zu gehen.
»Wie die meisten von euch wissen sollten, gibt es eine ganz bestimmte Regel, die für alle gilt, sowohl für Nachtgestalten, Dämonen, Fabeltiere, wie auch für Magier, die Völker des Lichts wie Elfen und Feen oder auch Geister und Untote: Den Menschen dürfen wir unter keinen Umständen unser wahres Wesen offenbaren.«
Dabei wanderte der gestrenge Blick des Lehrers zu den vier Zombies, die verstohlen grinsten.
»Manchen von euch mag es ein großes Vergnügen sein, die Normalsterblichen zu erschrecken, indem ihr euch ihnen zeigt. Doch damit bringt ihr uns alle in Gefahr! Zwar würden die meisten Menschen ihren eigenen Augen nicht trauen und alles was sie sehen der Folge von Alkoholgenuss, Drogen oder geistiger Umnachtung zuschreiben - aber was ist, wenn ein Jäger davon etwas spitz kriegt? Was, wenn die Jäger eines Tages wegen solchem Unfug auf unsere Universität aufmerksam werden?«
Nun zogen die vier Angesprochenen die Köpfe ein und allein am Unterton des Lehrers begriff Spike sofort, dass dies der Supergau für alle Anwesenden sein dürfte. Ihr sicherer Untergang und das definitive Ende. Während nun manch einer verhalten schlotterte, fing sich der Lehrer wieder und kehrte zum eigentlichen Thema zurück.
»Ich möchte es abermals betonen, wie streng verboten es ist, sich als mystisches Wesen offen Menschen zu zeigen. Unerkannt darf ein jeder hingegen unter ihnen wandeln. Wir sollten die Gabe preisen, der wir es zu verdanken haben, dass uns dies möglich ist und sie heißt: Verwandlung.«
Nun hatte der Direktor es tatsächlich geschafft, Spikes Interesse zu wecken. Der Junge vergaß ganz und gar die Schreckgestalten um sich herum und vor allem den Lupo neben sich und lauschte ergriffen.
»Doch kommen wir nun zum Kern des Ganzen. Denn Verwandlungen folgen nicht immer dem gleichen Schema. Präzise gesagt, gibt es zwei sehr unterschiedliche Arten der Verwandlung. Als da wären zum ersten die so genannte ,Optische Verwandlung‘. Bei dieser ist natürlich genau wie bei der anderen Art eine gewisse Magie im Spiel, die uns Mystischen Kreaturen innewohnt. Jedoch verwandelt sich ein Wesen, das die optische Verwandlung nutzt nicht wirklich, sondern es hüllt sich in eine Aura, die seine wahre Natur verbirgt. Genau wie der Neue es beschrieben hat, sehen Menschen dank dieses magischen Tarnschleiers eine Bisamratte anstelle des Brückentrolls oder eine harmlose Krähe, die doch in Wahrheit eine Sirene ist.«
Langsam aber sicher dämmerte es Spike, dass er wahrlich seine bisherige Weltansicht verwerfen konnte. Seine Katzenfreundin war eine Hexe gewesen und wer wusste es schon, vielleicht waren auch andere tierische Kameraden, denen er im Laufe der Jahre begegnet war, etwas ganz anderes, als das, was er in ihnen gesehen hatte.
»Durch die optische Verwandlung können Einhörner friedlich in der Steppe grasen, unauffällig zwischen Mustangpferden, weil die Menschen in ihnen gewöhnliche Stuten oder Hengste sehen. Schauderhafte Bestien wie der Mantichora werden nicht selten als Löwen eingefangen und landen in Tierparks oder dem Zirkus und Wesen wie Elfen oder Vampire erscheinen als ganz normale Menschen. Viele arbeiten sogar mitten unter den Normalos in der Bank, am Tresen der Fastfood-Kette oder an der Theaterkasse. Wenn die Menschen wüssten, wer so alles unerkannt unter ihnen lebt, dann würden die meisten auf der Stelle vor Schreck tot umfallen...«
»Oder sie erklären einen für verrückt«, tuschelte der Lupo, »so wie mich, als ich in der ersten Klasse war und meine Lehrerin für kein menschliches Wesen hielt. Als mich dann später dieser räudige Köter biss und ich mich verwandelte, da konnte ich sehen, was sie wirklich war: eine hässliche, griesgrämige, Jahrhunderte alte Moorhexe. Wenn der Jäger sie nicht inzwischen erwischt hat, dann quält sie noch immer kleine Kinder mit Vokabeln und Rechenaufgaben.«
Bei dem Gesagten fühlte sich Spike arg an seine eigene Schullaufbahn erinnert. Da hatte es auch nur so gewimmelt vor eigentümlichen Mathelehrern, unheimlichen Englischlehrerinnen und grantigen Hausmeistern. Er mochte sich gar nicht ausmalen, wie wohl deren wahres Wesen aussah. Natürlich dachte er dennoch daran und bekam eine Gänsehaut.
»Im Gegensatz zu den meisten Tieren, die durch unseren magischen Tarnschleider hindurch blicken können, lassen sich weit über neunundneunzig Prozent der Menschheit davon blenden. Es ist ein Wesenszug von ihnen, immer das zu sehen, was sie sehen wollen. Nur einige wenige von ihnen besitzen die Gabe, den wahren Kern der Sache zu erfassen. Man nennt diese Fähigkeit die ,Elfensicht‘, mit der sie aber nicht nur Elfen und Feen erkennen, sondern auch alle anderen mystischen Wesen. Manch einem von ihnen wurde diese Gabe im Laufe ihres Lebens geschenkt, beispielsweise von einem dankbaren Elfenvolk, wenn eine menschliche Botschafterin verhinderte, dass eine Schnellstraße durch den Elfenhügel gebaut wurde. Viele, die nun die Wahrheit erkennen, verkraften sie jedoch nicht und verfallen in Wahnsinn und andere wiederum nutzen ihre Gabe, um sich als Jäger auf unsere Fährte zu begeben. Daher wurde es vor mehr als hundert Jahren offiziell verboten, einem Menschen die Elfensicht zu schenken. Leider gibt es aber immer wieder Tore, die dies dennoch tun. Meist ist die Liebe da mit im Spiel. Wenn eine Vampiress meint, der Liebe ihres Lebens ihre wahre Natur zu offenbaren, dann kann sie nicht einmal der Teufel davon abhalten.«
»Pff«, kam es geschlossen von der Dreierformation an schwarzhaarigen Mädchen, die etwas von dummen Hühnern zu tuscheln begannen. Derweil fragte sich Spike allen Ernstes, was wohl hinter der Fassade seiner gestrengen Stiefmutter steckte. Vielleicht ein Sumpfungeheuer? Ein Kellergespenst oder doch eher eine mit Warzen übersäte, schlangenhaarige Gorgone?
»Die zweite Art der Metamorphose, die eine tatsächliche Umformung des Körpers mit sich bringt, nennt man die ,Reelle Verwandlung‘. Bei ihr strukturieren sich alle Körperteile neu. Berüchtigt dafür sind allen voran natürlich die Wertiere, wie Werwölfe oder Werkatzen.«
»So wie ich!«, erwies die kleine Lulu wieder ihre vorlaute Ader und hast du nicht gesehen, schon saß da auf dem Schemel kein süßes unschuldiges afrikanisches Mädchen mit Rastazöpfen, sondern eine Zähne fletschende Löwin. Respektvoll zollten einige wenige Anwesende ihr den nötigen Respekt, indem sie Beifall klatschten.
»Wirklich ausgesprochen gut«, lobte der Direktor, während sich die Kleine zurück verwandelte, »neben Werlöwen nutzen aber selbstverständlich auch Vampire wie meine Wenigkeit diese Gabe, um Fledermäuse zu werden oder Hexen, die sich beispielsweise als Stubentiger ausgeben. In diesem Falle der Wandlung werden mit dem neuen Erscheinungsbild aber nicht nur Menschen getäuscht, sondern selbst andere mystische Kreaturen. Einen Werluchs aus einer Gruppe von normalen Luchsen herauszusuchen, ist ein sehr kompliziertes Unterfangen. Bisweilen verraten sie sich aber durch ein abweichendes Verhalten oder durch einen Riesenwuchs von den wirklichen Tieren.«
Der Direktor senkte seine Stimme, so als wäre er am Ende seines Vortrages angelangt, doch nun meldete sich eine etwa zwölfjährige Asiatin zu Wort, das gleich neben dem Geistermädchen saß. Ihr dunkles Haar trug sie hochgesteckt und dazu einen bunt bestickten Kimono aus feinster Seide. Spike träumte derweil wieder vor sich hin und fragte sich, ob beispielsweise im Zoo an Stelle von echten Raubkatzen verwandelte Leute hockten oder ob die Hunde und Katzen im Tierheim