Название | Im Sturzflug nach Merkwürdistan |
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Автор произведения | Frank Sommer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847673811 |
Fotos zur Geschichte:
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Das Problem mit dem Nachhauseweg
Flugausfälle als höhere Gewalt einfach hinzunehmen, habe ich weitestgehend gelernt und ich ertrage mein Schicksal zumeist mit Fassung. Insbesondere wenn technische Ausfälle oder Naturkatastrophen ursächlich sind und man weder mit Sachlichkeit noch mit cholerischen Anfällen eine Änderung der Situation herbeiführen kann, bleibe ich lieber gelassen und ertrage mein Schicksal. Gerade wenn nach getaner Arbeit der Rückflug zu einem ohnehin schon viel zu kurzen Heimataufenthalt nicht pünktlich stattfinden kann, benötigt man eine gehörige Portion Selbstbeherrschung, um wenigstens äußerlich ruhig zu bleiben. Auch das Pech, welches nur mich traurig am Flughafen zurückbleiben lässt, während alle anderen Gäste an Bord des Flugzeugs glücklich abheben, knabbert zuweilen an meinem Nervenkostüm. Aufgrund negativer Erfahrungen gehe ich beispielsweise schon immer in Deckung, wenn am Gate oder im Flugzeug Passagiernamen ausgerufen werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass im nächsten Moment mein eigener Name zu hören ist, liegt bei gefühlten 50 Prozent. So kam es beispielsweise vor, dass ich an Bord einer abflugbereiten Maschine nach Hause mit 180 Menschen an Bord schon in entspannter Vorfreude eingeschlafen war, als plötzlich laut über die Lautsprecheranlage des Flugzeugs die Aufforderung ertönte, dass ich mich zu erkennen geben soll. Haben die denn nicht meinen Sitzplatz in ihrem Computersystem? Na egal. Unschuldig und regelgetreu meldete ich mich und wurde zum Dank aus dem Flugzeug geworfen. Der Grund war, dass das Check-In System meinen Sitzplatz doppelt vergeben hatte und man es offenbar für wichtiger befand, den anderen Timesharing-Besitzer meines Sitzplatzes zum Ziel zu fliegen. Die Menschheit fliegt zum Mond, baut Fusionsreaktoren und führt Drohnenkriege, aber ein Check-In System an einem der größten Flughäfen der Welt kann einfach mal „aus Versehen“ einen Sitzplatz doppelt vergeben? Oh Mann, na gut, bin ich halt ausgestiegen. Das Tollste daran war, dass ich in der letzten Sitzreihe gesessen und geschlafen hatte und dass ich nun noch an 180 glücklichen abflugbereiten Fluggästen vorbei spazieren durfte. Der wahre Grund, weshalb ich derjenige war, der das Flugzeug verlassen musste, war übrigens, dass ich im Gegensatz zu dem anderen Gast nur mit Handgepäck gereist war. Es hätte viel zu lange gedauert, das aufgegebene Gepäck des anderen Gastes wieder aus dem Frachtraum des Flugzeugs zu puhlen. Statt eine Verspätung des gesamten Fluges zu riskieren, hat man lieber mich über Bord geworfen. Seit diesem Tag fliege ich ausschließlich mit aufgegebenem Gepäck, bevorzugt mit leeren kleinen Reisetaschen. Die Damen und Herren am Check-In sind dann immer ganz belustigt, wenn die Gepäckwaage ein Gewicht anzeigt, dass man auf dem innerdeutschen Postwege mit einer 55 Cent Briefmarke verschicken könnte. Einige Monate später fand ich mich in exakt derselben Situation wieder. Ich saß diesmal in der vorletzten Reihe auf dem Nachhauseflug, die Maschine war voll und abflugbereit und... mein Name wurde ausgerufen. Ich möge mich bitte zu erkennen geben. „Nö“, habe ich mir gedacht. Das letzte Mal war ich so nett, ehrlich zu antworten und wurde deshalb von Bord geworfen, diesmal mache ich es anders. Und weil mir nichts Besseres einfiel, stellte ich mich gleich schlafend. Sogar mit offenem Mund, was mir besonders eindrucksvoll erschien (nur auf den eigentlich obligatorischen Sabberfaden zwischen Mundwinkel und Hemdkragen hatte ich aus Hygienegründen verzichtet). Aber nach fünf Minuten hatten sie mich dann doch gefunden und die Flugbegleiterin „weckte“ mich mit sanften Schlägen auf die Schulter. Diesmal war die Sachlage aber anders, die Dame sagte nur: „Sie haben Ihre Bordkarte liegen lassen, hier ist sie“ – und reichte mir eine. Ich zog meine Bordkarte aus der Tasche und sagte: „Hab ich nicht, hier ist meine.“ Ein kurzer Abgleich der Aufdrucke führte zu der Erkenntnis, dass beide identisch waren, was sowohl bei der Flugbegleiterin als auch bei mir ein ratloses Stirnrunzeln verursachte. Wie auch immer. Den Schock des erneuten Ausrufens meines Namens hatte ich zwar erst eine Woche später überwunden, aber wenigstens durfte ich diesmal an Bord bleiben.
Ein anderes Mal stand ein Rückflug von Fort Myers in Florida nach Deutschland an. Ich hatte bereits meinen Koffer gepackt und aus dem Hotelzimmer ausgecheckt, als ich wegen meiner Sitzplatzreservierung kurz noch einmal das Callcenter der Fluggesellschaft anrief. Nach zehn Minuten in der Warteschleife gab mir die Dame schließlich Auskunft: „Ja, also mit Ihrer Sitzplatzreservierung ist alles in Ordnung, aber dass Ihr Flug komplett gestrichen wurde, wissen Sie schon, oder?“ Wie kann denn bitte mit der Sitzplatzreservierung alles okay sein, wenn es den Flug gar nicht mehr gibt? Das ist ja in etwa so, als würde einen die Werkstatt nach erfolgter Fahrzeuginspektion anrufen und sagen: „Die Inspektion ist erfolgreich abgeschlossen. Leider ist Ihr Fahrzeug ausgebrannt, aber Sie können die Asche jetzt abholen. Und bitte bringen Sie die neun Euro fünfzig für die Inspektion mit.“ Egal. Jedenfalls saß ich jetzt fest. Ich erhielt noch den freundlichen Rat, dass ich „versuchen könne“, mit der morgigen Maschine zu fliegen, wobei dann ca. doppelt so viele Fluggäste mitfliegen wollten, wie das Flugzeug Sitzplätze hätte. Auf die Idee, dass dieselbe Fluggesellschaft noch am gleichen Abend einen Flug vom mehr oder weniger nahen Miami nach Düsseldorf anbot, kam die Dame leider nicht. Zum Glück hatte ich dies aber noch im Hinterkopf und nach einem kurzen Blick in den Flugplan zur Bestätigung sprang ich in den Mietwagen und raste in einem Höllentempo quer von West nach Ost durch Florida. Mit glühenden Reifen kam ich schließlich am Miami International Airport an und habe es gerade noch rechtzeitig genug geschafft, um den Flieger nach Düsseldorf zu erwischen. Eigentlich Glück im Unglück, denn es waren noch Plätze frei und mein Ticket wurde problemlos akzeptiert. Im Nachhinein sollte sich die ganze Aktion allerdings doch eher als Unglück im Glück im Unglück erweisen: Heute benötigt man mit einem deutschen Pass für die Ein- und Ausreise in die USA eine ESTA - Registrierung. Damit entfällt das lästige Ausfüllen dieser grünen Einreisekarten, von denen einem früher bei der Einreise stets