Название | 100 Tage |
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Автор произведения | Team epubli |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742733603 |
Wenn er sich einen neuen Vater aussuchen könnte, würde er sich für ihn entscheiden.
2
Sie verhielten sich wie wilde, unbändige Tiere.
Sie machten vor nichts halt, ihre Wut war rasend. Sie metzelten jeden Mann, jede Frau und jedes noch so kleine Kind nieder, ohne einen einzigen Funken Mitleid in ihren unkontrollierten Körpern zu spüren. Sie hatten völlig die Kontrolle verloren. Das Böse war mit ihnen durchgegangen. In ihren Augen war nichts Menschliches zu erkennen, nur ein unheimliches Glühen. Dieses Glühen ließ sich nicht löschen. Es würde erst verlöschen, wenn sie ihre Wut gestillt hatten und alles Leben, das sie fanden, ausgelöscht hatten.
Was waren das für Wesen?
Aus den Menschen waren Bestien geworden.
„Was geht in ihren Seelen vor?“, fragte Caspar.
Er wandte seinen Kopf von den furchtbaren Bildern ab, die ihm der steinerne Torbogen zeigte und sogleich wich ihnen ein wolkenverhangener, blauer Himmel.
Sie sind schwarz und nackt, antwortete Daya.
Ihre Augen waren noch immer auf das Tor gerichtet. Ausdruckslos blickte sie hinein, als sähe sie mehr, als die vorbei ziehenden Wolken vor dem blassen Blau.
Ihre Gefühle sind eingefroren. Nichts regt sich. Ihre Seelen sterben.
Daya sah traurig aus. Sie legte die Hände auf den Bauch und verzog das Gesicht, als habe sie schmerzhafte Krämpfe.
Goldblonde Locken fielen ihr über den Rücken und reichten ihr bis zur Hüfte. Sie trug ein bodenlanges Kleid von der Farbe einer zarten rosa Rose. Sie war so feinfühlig und fragil, dass Caspar Angst hatte, sie könnte innerlich wie äußerlich zerbrechen.
Ihre Gedanken verdeckte sie vor ihm. Was immer sie bewegte, und er wusste, es war eine ganze Menge, wollte sie nicht mit ihm teilen. Sie schwieg, wie sie es so oft tat. Gesprächig war sie nicht. Es machte ihr nichts aus, keine Stimme zu haben, hatte sie ihm einmal erzählt und auch, warum sie nicht gern ihre Gedanken in Worten teilte. Worte waren leere Hüllen. Die wahre Bedeutung lag in der Seele. Sie konnte sie lesen. Das war ihre Gabe.
In diesem Moment hätte er sich für sie gewünscht, dass sie es nicht konnte, denn es setzte ihr mächtig zu. Er konnte es kaum ertragen sie so leiden zu sehen.
„Mein Kind.“, murmelte er.
Er wollte ihr beistehen, doch direkt, nachdem er die Worte ausgesprochen hatte, wurde ihm klar, dass er ihr am wenigsten mit Worten helfen konnte. Sie schätze sie nicht.
Also stellte er sich vor seine junge, schöne Tochter und nahm ihre Hände in seine. Sie waren kalt und seine waren warm. Sie sah ihn aus traurigen, hellgrünen Augen an.
Sie verletzen sie, dachte er, die Menschen richten bei ihr tiefe Wunden an.
Er konnte das nicht länger zulassen. Er konnte nicht mit ansehen, wie sein geliebtes Kind mit jedem Tag stiller und trauriger wurde.
Er führte sie ins Schloss.
Sie gingen in sein Wohnzimmer, ein großer, aber gemütlicher Raum, und setzten sich gemeinsam auf das Sofa.
„Was kann ich tun, um dich glücklicher zu machen?“
Er sah sie an, doch sie erwiderte seinen Blick nicht und schüttelte den Kopf.
Du kannst nichts tun.
„Ich sehe, was es dir antut. Ich mache mir schon um Dilara große Sorgen, nun habe ich ebenfalls Bedenken um dich. Sag mir, was ich tun kann. Bitte. Mein Kind.“
Sie blieb still und er dachte, sie würde nicht mehr antworten. Dann sah sie auf und lächelte. Es war ein leichtes, schwaches Lächeln, doch ihm wurde sofort leichter ums Herz. Sie lächelte so selten.
Es ehrt mich und ich weiß deine Sorgen zu schätzen. Doch sie sind unbegründet. Mir geht es gut.
Die Erleichterung fiel von ihm ab, als er merkte, dass ihr Lächeln nicht echt war, sondern nur dazu diente, ihm seine Bedenken zu nehmen. Er mochte es nicht, wenn man ihm etwas vor spielte.
Er stand impulsiv auf und Daya erschrak.
Schnellen Schrittes verließ er den Raum, durchquerte den langen Flur und trat in ein anderes Zimmer ein. Es war beleuchtet durch abertausende Kerzen, deren Flammen flackerten und Schatten auf den Boden warfen. Er schloss die Türflügel leise hinter sich.
„Mord, grausamer Mord.“, murmelte Caspar.
Er dachte an das Tor, das ihm die Erde gezeigt hatte. Es artete aus. Die Menschen hatten sich verändert. Was war aus ihnen geworden? Er erkannte die einst guten Seelen nicht wieder.
Es musste aufhören, das gegenseitige rücksichtslose Niedermetzeln durfte nicht weiter gehen. So viele Leben wurden schon gelassen. Er hatte traurig mitansehen müssen, wie sich die Erde entwickelt hatte. Wie einzelne die Macht ergriffen hatten und sich die Menschen zu Untertanen machten. Wie die große Kluft zwischen Reichtum und Armut entstand und die Menschen immer rücksichtsloser und egoistischer wurden. Eigennützige Werte überwogen, Gier und Verführbarkeit machte sie schwach. Ihre Seelen verkümmerten, wurden immer schwärzer und kälter.
Es war etwas geschehen, das er niemals in Erwägung gezogen hatte, ein Szenario war entstanden, das er sich nie ausgemalt hatte. Lange hatte er tatenlos zugesehen, in dem Glauben, es würde nicht noch schlimmer kommen und sich wieder zum Guten wenden.
Er hatte gedacht, dass die Krankheit, die seine Tochter befiel, nur vorübergehend wäre. Dilara wurde schwächer, je grausamer die Menschen wurden. Die Liebe, die aus ihren Herzen entschwand, war die Lebensenergie, die ihrem Körper entwich. Ihre Tage waren gezählt.
Caspar würde sie nicht gehen lassen. Nicht, weil die Menschen das Lieben verlernten. Dilara sagte, das wäre unmöglich, doch er glaubte, dass nun auch sie die Hoffnung aufgegeben hatte. Ihr Leben hing am seidenen Faden.
Er betrachtete die Flammen, manche waren groß und hell, andere klein und am Verglühen. Ein Licht erlosch. Die Spitze des Dochts wurde schwarz und krümmte sich.
Caspar fuhr mit der Hand über den brennenden Kerzen her. Durch den leichten Windhauch, den er durch seine Bewegung erzeugte, beugten sich die Flammen alle in eine Richtung.
Er kontrollierte sie. Holte er einmal kräftig Luft und blies, konnte er sie mit einem Mal löschen.
Alle.
Er konnte seine Tochter und die Menschenseelen vor dem Tod schützen. Er hatte es in der Hand, musste nur einmal Luft holen...
Er wandte sich ab und verließ den Raum, ohne sich noch einmal zu den brennenden Kerzen umzudrehen.
Im Gemeinschaftsraum trafen sich Caspar und seine Kinder, wenn sie nicht mit ihren Aufgaben beschäftigt waren. Caspar trat ein und setzte sich zu einem schwarzhaarigen Mann, der schweigend da saß und ein Schachspiel zwischen seinen Brüdern verfolgte. Er schenkte sich Saft in ein Glas und setzte es an die Lippen.
Deine Gedanken machen mir Kopfschmerzen., dachte Farouk.
Er warf seinem Vater einen kurzen Blick zu, dann sah er wieder zum Schachbrett, auf dem Arwan seinen Springer versetzt hatte.
Entschuldige mich., erwiderte Caspar.
Er verschloss sich vor Farouks Gabe, die er selbst auch besaß, denn er wusste, wie anstrengend es war, nicht nur das Ausgesprochene hören zu müssen. Er machte ihm seine Gedanken unzugänglich.
Dann beobachtete er auch die Schachpartie und schloss schnell, dass Arwan gerade einen Zug gemacht hatte, der ihn ins Matt setzte.
Asher lachte freudig auf.
„Verloren, Bruder.“, sagte er triumphierend.
Arwan sah ihn verwirrt an, kontrollierte seinen Zug und seufzte