Название | Elena |
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Автор произведения | Eckhard Lange |
Жанр | Языкознание |
Серия | Antike Sagen, für unsere Zeit erzählt |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742709196 |
Insofern war sie das genaue Gegenteil zu Viktor, dem ältesten der drei Geschwister. Dem waren solche Gedankenspiele fremd, er stand, wie man wohl sagen würde, mit beiden Beinen im Leben, nahm die Dinge, wie sie nun einmal waren, und verbreitete eine Aura von Zuverlässigkeit und Hilfsbereitschaft, die Sandra und Patrick ihre ganze Kindheit hindurch genossen hatten und die auch Andrea, seine langjährige Freundin und seit einem Jahr nun auch Ehefrau, für ihn eingenommen hatte.
Viktor hatte Bauingenieurwesen an der Technischen Universität Braunschweig studiert und saß nun im Bauamt des Kreises Ostholstein. „Saß“ ist allerdings ziemlich inkorrekt, denn meist war er im Kreisgebiet unterwegs. Es gab keine einzige Baustelle, auf der nicht seine hochgewachsene, durchtrainierte Gestalt jederzeit auftauchen konnte, nicht immer zur Freude der dort arbeitenden Firmen. Doch stets blieb er freundlich und ruhig, aber eben auch bestimmt und unbestechlich.
Viktor stand noch neben den Eltern, als Patrick den Raum betrat, um sein Blumengebinde zu überreichen. „Ma und Pa haben schon gedacht, du würdest nicht kommen können,“ wandte Viktor sich an den Bruder, „du hast jetzt sicher viel um die Ohren.“
Der junge Pastor nickte: „Das kann man wohl sagen. Aber Ehejubiläen gehören zum pastoralen Aufgabengebiet – auch wenn es heute ja nur eine krumme Zahl ist. In der Gemeinde käme ich frühestens zur Goldenen Hochzeit, bei euch..“ er lächelte die Eltern an, „..habe ich mal eine Ausnahme gemacht. Also – ganz herzliche Glückwünsche, und viele gute Jahre weiterhin, bis zur Goldenen!“
Andrea, Viktors Frau, hatte die ganze Zeit in der Sitzecke gesessen, und es war deutlich zu erkennen, welchen Grund sie dafür hatte, nicht allzu lange herumzustehen. Patrick wandte sich der Schwägerin zu: „Wie lange noch?“ fragte er. „Wenn die Rechnung stimmt, genau sechsundsechzig Tage,“ antwortete sie. „Genaueres weiß nur dein Chef!“ „Keine theologischen Diskussionen jetzt,“ mischte sich Sandra ein, „das Essen wird kalt!“ Und sie half Andrea beim Aufstehen.
„Hättest du nicht auch hier in Eutin eine Stelle bekommen können?“ fragte Patricks Mutter. „Es wäre doch schön gewesen, wenn wir wieder alle an einem Ort zusammenleben würden.“ „Damit du deinen Kleinsten besser überwachen kannst,“ spottete Sandra. Die Mutter verzog das Gesicht, wie immer hatte Sandra etwas gesagt, was zwar nicht ganz unrichtig war, aber was sich überhaupt nicht gehörte.
„Lübeck ist doch nun wirklich nicht aus der Welt,“ antwortete Patrick. „Ich hätte auch an der polnischen Grenze landen können.“ „O Gott – da würdest du schon gar keine Frau finden,“ rutschte es der Mutter heraus, und sie bereute es sofort. „Das ist allein Patricks Sache.“ Es war der Vater, der das sagte, und sein Tonfall bedeutete: Ende der Debatte – obschon sie noch gar nicht angefangen hatte.
Gleich nach dem Essen erhob sich Patrick. „Entschuldigt,“ sagte er in die kleine Runde hinein, „aber ich muß aufbrechen. Den Gefallen will ich den Konfirmanden nicht tun, daß die Stunde ausfällt.“ „Spielverderber,“ spöttelte seine Schwester. „Für euch oder für die Kids?“ fragte Patrick ironisch zurück. Dann umarmte er noch einmal die Eltern, winkte den anderen zu und entschwand.
Der junge Pastor hatte auf das übliche Glas Sekt ebenso verzichtet wie auf den Tafelwein, jederzeit könnte er auf der Heimfahrt in eine polizeiliche Kontrolle geraten, da war es sicherer, selbst hundertprozentig sicher zu sein. Doch am Abend, nach den beiden Konfirmandenstunden und einem langen und leider ziemlich erfolglosen Blättern in allen möglichen Kommentaren zum sonntäglichen Predigttext, gönnte er sich dann doch ein Glas Rotwein, zur Entspannung und auch zu Ehren des Hochzeitstages der Eltern. Er hatte sich eine Kerze entzündet und das Licht des Deckenfluters heruntergedimmt und dachte an das, was die Mutter gesagt hatte.
Ja, es war ihr sehnlichster Wunsch, daß er ebenfalls eine Familie gründen möge, nachdem Sandra den Eltern ziemlich deutlich erklärt hatte, darauf sei bei ihr nicht zu hoffen. Auch Andreas Schwangerschaft hatte daran nichts geändert. Patrick nahm der Mutter solche Anspielungen nicht übel, er wusste, daß in ihrer Generation alle Gedanken stets um Kinder und Enkelkinder kreisten. Aber es tat auch weh, denn er hatte ja im Gegensatz zu seiner Schwester durchaus Sehnsucht nach einem Menschen an seiner Seite, nach Erfüllung in der Liebe und auch nach eigenen Kindern. Doch wo sollte er einer passenden Partnerin begegnen?
Viele seiner Kumpel vom Eutiner Gymnasium hatten ihre Partnerinnen im Beruf kennengelernt, waren ihnen in der Disko oder auf irgendeiner Party begegnet – alles Möglichkeiten, die ihm nicht offenstanden, wie er sich eingestehen mußte. Die jungen Frauen, denen er beruflich begegnete, waren zumeist die jungen Mütter aus dem Kindergarten, und am Wochenende in irgendeiner Location abzuhängen, wie die Freunde das nannten, schien ihm auch unmöglich – ganz abgesehen davon, daß die Mädels dort wohl kaum davon träumten, als Pfarrfrau zu enden. Er seufzte. Da hatten die katholischen Kollegen es irgendwie leichter, dachte er. Die waren auf Enthaltsamkeit programmiert. Aber er – er hatte Wünsche, hatte Sehnsüchte, hatte Verlangen.
Als er kurz nach Mitternacht aufwachte, konnte er sich zwar wie üblich nicht mehr gut an das Geträumte erinnern, aber er wusste doch, daß er dabei einer Frau begegnet war, ja, daß er Sex mit ihr hatte. Aber wer sie war, wie sie aussah, woher sie kam und wohin sie wieder gegangen war, das alles war schon wieder ins Vergessen getaucht. Ihm blieb nur, weiterzuschlafen und auf einen neuen Traum zu hoffen, um wenigstens so ans Ziel seiner Wünsche zu gelangen.
Und es geschah. Ein zweiter Traum erfüllte seinen Schlaf, und schon während er träumte, wusste er, daß er dies alles schon öfter gesehen haben mußte: Wieder waren es drei schöne Frauen, und wieder sollte er eine Entscheidung treffen. Aber dann war da die eine, dunkelhaarig, schlank, mit ausdrucksvollen traurigen Augen, und sie war es, für die er sich entschied. Die beiden anderen schienen böse zu sein, doch das kümmerte ihn nicht, er streckte der Dunkelhaarigen die Hand entgegen, und grade in dem Augenblick, wo sie danach griff, erwachte er. Doch diesmal blieb dieses letzte Bild eine ganze Weile in seinem Gedächtnis haften, auch wenn ihre Gesichtszüge immer unschärfer wurden.
Patrick stand auf, lief eine Weile im Schlafzimmer auf und ab, ohne Licht zu machen – die hellen Vorhänge ließen den Schein der Straßenlaternen draußen durchschimmern und zeigten ihm den Weg. Und diesmal wusste er, daß jener Traum eine Wiederholung war, ja, daß er ihn vielleicht schon unzählige Male geträumt hatte. Aber war das nur nächtlicher Ausdruck seiner ja gar nicht so geheimen Wünsche, oder lag ein anderer Sinn darin, so wie in manchen biblischen Träumen? Er vermochte es nicht zu entscheiden, nur eines schien sicher: Im Traum hatte er sich entschieden – für eine ganz bestimmte Frau entschieden. Aber er ahnte auch, daß er sich damit Feindschaft zugezogen hatte, daß ihm irgendwie eine unbekannte Gefahr drohte, von wem auch immer.
Der junge Mann blieb stehen, zog die Vorhänge ein wenig zur Seite und starrte hinunter auf die nächtlich leere Straße. Doch war sie wirklich leer? Stand dort im gegenüberliegenden Hauseingang nicht eine dunkle Gestalt, oder täuschte ihn nur ein scharfer Schatten? Plötzlich hatte er das Gefühl einer ungewissen Bedrohung. Ärgerlich zog er den Stoff wieder zusammen. Nachtgedanken! Leg dich wieder schlafen, Patrick Troy, befahl er sich halblaut. Und er gehorchte.
Der Morgen wusste nichts mehr von den Gespenstern der Nacht.
3.
Als der Pastor am Montag früh ins Büro trat, fand er dort einen Zettel und einen kleinen Karton mit dem bekannten Marzipan dieser Stadt, hübsch verpackt als Geschenk. Frau Grabert hatte montags frei, das Büro blieb an diesem Tage unbesetzt, so war es im Kirchengemeinderat beschlossen worden. Schließlich sollten auch die Pastoren am Tag nach dem sonntäglichen Dienst einmal von allen Pflichten befreit bleiben. Sollten! dachte Patrick, als er den Zettel gelesen hatte:
„Freitag waren Sie ja nicht zu erreichen. Montag hat Frau Margarete Elias Geburtstag, es wäre schön, wenn Sie sie nicht enttäuschen würden. ME ist gehbehindert, war lange treue Besucherin unserer Angebote, kommt jetzt kaum noch aus dem Haus. 85. Geburtstag; Witwe, Ehemann vor 15 Jahren verstorben, Kinder irgendwo im Süden. Konnte Ihnen so viel vorher keine Blumen besorgen, aber ME freut sich sehr über das Marzipan. Friederikenstr. 17“