Название | Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten |
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Автор произведения | Ernst Tegethoff |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742762917 |
Mahrtenehe zurückgeht, vielleicht auch die
Siegfriedsage, welche mit Erinnerungen aus der fränkischen
Geschichte die Umrisse des Bärensohnmärchens
verband. Auf fränkische Entstehung weist das
berühmte Märchen vom Machandelboom, das, einer
Episode der Wielandsage nahe verwandt, jene blutige
Zeit am besten widerspiegelt. Auch der Verschlingungsmythos
von Rotkäppchen hat in Frankreich
Züge bewahrt, die in ihrem Kannibalismus weit über
tausend Jahre über die klassische Erzählung Perraults
zurückgehen; vielleicht darf man auch das Märchen
vom singenden Knochen der fränkischen Völkerwanderungszeit
zurechnen.
Aus den Knabenjahren der Völkerwanderung traten
die Bewohner Frankreichs, umhüllt vom schützenden
Mantel der Mutter Kirche, in das Mittelalter, die
Jünglingszeit unserer Kulturepoche. Gewiß, das Mittelalter
hatte seine dunkeln Schatten, aber heute, da
wir auf diese Zeit mit der Wehmut des Todgeweihten
zurückblicken, haben wir das Recht, nur noch das
Licht zu sehen, und wir trinken es mit vollen Zügen,
ehe wir den Becher ins Meer werfen. Es war die Zeit
der ersten Liebe. Wie Nachtigallenruf in Sommernächten
dringt das Lied der Troubadours in unsere
Maschinenzeit herüber, auch das Gebiet des Religiösen
nahm der Minnesang in Anspruch, die Mystik redete
die Sprache der weltlichen Liebe: irdische und
himmlische Liebe wurden eins. Es war die Zeit der
hohen und stolzen Frauen, die mit großen blauen
Augen von den Zinnen ihrer Burgen nach ihren fernen
Geliebten Ausschau hielten, die mit langen, wehenden
Schleiern winkten, und, wenn sie durch die Felder
gingen, beugten sich die Margueriten und Schlüsselblumen
vor ihnen. Es war die Zeit, da das ferne
Wunderland des Ostens lockte und da hinter Arabiens
Wüstensand das irdische Paradies, das reiche Indien,
auftauchte. Das Märchen wurde zum Leben und das
Leben zum Märchen. Das Märchen nimmt die Farben
der Zeit an: das weitaus beliebteste Märchen des Mittelalters
war das vom Goldener, jenem Helden, der in
Verachtung und Niedrigkeit aufwächst und dann als
Ritter auf weißem Roß in strahlender Rüstung in dreitägigem
Turnier die Hand der Königstochter erringt.
Die Dichtungen von Aiol, von Elie de St. Gilles,
Beuve de Hamtoune, Gautier d'Aupais, Mainet, Jourdain
de Blaivies und Robert dem Teufel reden von der
Beliebtheit dieses Stoffes, dessen Ursprung uns noch
unbekannt ist. Daneben finden wir im a l t f r a n z ö -
s i s c h e n H e l d e n e p o s jene Stoffe wieder, die
wir für germanisch hielten. Das Märchen von der unschuldig
leidenden Königin fand in England noch
während der Völkerwanderungszeit einen literarischen
Niederschlag in den Sagen von Offa und Aella.
Die Normannen, die so vielfach als Vermittler germanischer
und romanischer Kultur eine Rolle gespielt
haben, verpflanzten das Märchen nach Frankreich: es
begegnet zuerst in der Chronik des Anglonormannen
Trivet, später in der »Manekine« des Philipp von Beaumanoir
und im Volksbuch von der schönen Helene.
Nahe verwandt sind ihm die Crescentialegende und
die Erzählung von der Gattin Karls des Großen. Ein
anderer Zweig des gleichen Märchenstammes war berufen,
nach Aufnahme eines keltischen Reises die
Vorgeschichte des Lohengrinepos zu bilden. Die untergeschobene
Braut begegnet in der Berthasage, welche,
vielleicht deutscher Herkunft, von einem Spielmann
Adenet le roi mannigfach umgebildet, in französische
Verse gebracht wurde. Das Bärensohnmärchen
scheint die Grundlage der Chanson de geste von
Huon von Bordeaux zu sein, und der Drosselbarttypus
erscheint in der verlorenen französischen Quelle
der skandinavischen Clarussaga. Wenn germanische
Märchen in der Hauptsache Verwendung in den
Chanson de geste fanden, so beruht die um ein Jahrhundert
später einsetzende h ö f i s c h e E p i k im
wesentlichen auf keltisch-bretonischer Grundlage.
Doch steht der ritterliche Dichter dem Märchen schon
nicht mehr so naiv gegenüber wie der jougleor. Chrétien
von Troyes, der bedeutendste Vertreter höfischer
Dichtungsart, bietet in der Hauptsache Gedankendichtung,
ihm schwebte zuerst der Leitgedanke vor, zu
dessen Illustration er seinen Stoff zurechtmachte. Zusammenhängende
Märchen bieten diese Epen nicht,
nur Motive und Formeln, und diese stammen weniger
aus dem Volksmärchen, als vielmehr aus der keltischen
Heldensage. Besonders die Cuchullinsage ist
es, die, wie besonders Brown und Ehrismann nachgewiesen
haben, auf die Romane aus dem Kreis der
»matière de Bretagne« eingewirkt hat. Zwei Hauptmotive
sind den meisten Artusepen gemeinsam: eine
Fee lockt den Helden zu sich, entweder um seine
Liebe zu genießen oder um seine Unterstützung gegen
äußere Feinde zu erlangen: das eine ist der reine Stoff
der gestörten Mahrtenehe, das andere dessen heldensagenmäßige
Umformung. Hierher gehört Laudine im
Iwein. Das zweite Motiv zeigt den Helden auf seinem
Weg in die Unterwelt, wo er im Kampf mit einem dämonischen
Wächter eine Jungfrau befreit: das ist der
Stoff des Bärensohnmärchens. So befreit Lanzelot die
Ginover, Gawain die gefangenen Frauen aus dem
Chastel marveil. Im Tristan begegnet der Märchenzug
von der goldhaarigen Jungfrau, der Parcival zeigt
Anklänge an Märchen von der Unterweltsfahrt eines
Dummlings, während die Graalsage wahrscheinlich
auf das