Название | Die sieben Masken des Teufels |
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Автор произведения | Eva Siebenherz |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742796578 |
War das wirklich geschehen? Einerseits habe ich es gespürt, andererseits war es nicht greifbar. Oder hatten mich meine Dämonen wieder eingeholt? Ich wusste es nicht. Wirklich nicht. Ich schlug die Augen auf. Schwarz. Nicht greifbare Leere.
Nur das gleichmäßige Atmen eines Menschen neben mir. Panik ergriff mich. Ich versuchte die Bettdecke wegzuschieben. Doch sie fühlte sich wie Beton an.
Ich streckte meine Arme in alle Richtungen aus, um zu lokalisieren, was um mich herum war. Plötzlich blendete Licht auf.
»Was ist denn los? Warum zappelst du denn wie eine Wilde im Bett herum?
Hast du wieder einen Restless-Legs Anfall?« fragte mich Max mit schlaftrunkener Stimme.
Ich brauchte eine ganze Weile für den Weg aus der Kaserne bis in unser Schlafzimmer nach Österreich.
Den Eindruck hatte Max auch, denn er schnippte ein paar Mal mit seinen Fingern vor meinem Gesicht.
»Huhu, ich bin’s, Max«. Die nächsten Tage rief ich mir diese Szenen immer wieder ins Gedächtnis, so schwer mir das auch fiel. Einfach, um eventuell auf Details zu stoßen, die mir vielleicht eine Standortbestimmung ermöglichten. Wenn man eine Sprache nicht
kontinuierlich spricht, verlernt man sie innerhalb kürzester Zeit. Irgendwann hörte ich ein paar Wörter, die ich kannte: Leninstraße – Artillerieregiment. Der Rest war Google-Suche. 841. SFL-Artillerieregiment in KMST (früher Planitzstraße – zu DDR-Zeiten: Leninstraße – heute: H.- Schütz-Straße). Nur, was brachte mir das Wissen, in welcher Kaserne das Ganze passiert war? Nichts. Noch nicht.
KOPFKINO
Für manche ist Kopfkino etwas Schönes. Zumeist auch relativ real, denn man ist Initiator und real existierende Person zugleich. Für mich ist dieses Kopfkino, Angst einflößend. Grausam. Körperlich anstrengend. Und doch fördert es manchmal ein Licht aus der sonst so schwarzen Dunkelheit zu Tage. Und manchmal hilft so ein kleines Licht den Weg zur sicheren Wahrheit etwas sichtbarer zu machen.
Aber eben nur manchmal. Oft wird das schwarze Loch nur in ein graues Licht getaucht und man meint, der Wahrheit ein Stück näher gekommen zu sein.
Letztendlich erweist sich das Ganze jedoch wieder als ein Faden aus dem großen Wollknäuel mit einem kurzen Ende und genau das führt (wieder einmal) ins Leere. Und im Prinzip bleibt das Große und Ganze einfach nur rabenschwarz. Ein Trugschluss. Ein vermeintliches Rettungsseil, an das man sich immer wieder klammert wie ein Ertrinkender.
Um nicht immer wieder oder endgültig in einem Meer aus Depressionen, Albträumen, Flashbacks,
Misstrauen und Angst zu ertrinken, lässt man dieses Rettungsseil los und sucht nach dem nächsten Rettungsring.
Und eigentlich ist man sich seiner Hoffnungslosigkeit bewusst, weiß oder vermutet innerlich, dass diese Spurensuche niemals mit dem erhofften Ergebnis enden wird.
Wenn sie denn jemals enden wird. Wahrscheinlich nie. Aber man wird nie aufhören, sich selbst zu suchen, solange man nicht genau weiß, wer man wirklich ist. Wie man ist. Was man getan hat.
Oder was man besser nicht getan hätte.
Es ist müßig und eigentlich sinnlos, denn man kann die Zeit ohnehin nicht zurückdrehen, gemachte Fehler nicht aufheben. Leider.
EXPLOSIVE WÄNDE IN WEISS
Hektische Stimmen. Das Klappern von Besteck. Und ein Blubbern. Eine weiche Masse, durchsetzt mit kleinen Bläschen, umgab mich. Ich versuchte das eklige weiche Zeug von mir wegzuschieben. Es gab nach und kam wie ein gummiartiges Geschoss zurück. Ich machte den Mund auf und fuhr mit der Zunge an die Masse. Hahaha, ich war in einem Wackelpudding gefangen. In einem weißen riesengroßen Wackelpudding. Wieso träumte ich so einen Blödsinn? Ich schloss meine Augen und sie gingen wieder auf Wanderschaft. Ein Raum und viele kleine Strichmännchen in weißen Kleidern. Jedes hatte eine Flasche in der Hand, die sie nebeneinander an eine Leine hängten und öffneten. Die gallertartige Masse der Flaschen floss in einen Tunnel, der sich am Ende teilte. An jedem Ende hing ein Arm. Große Arme. Meine Arme. Irgendetwas versperrte mir die Sicht und ein schwacher Ton kam auf, der sich rasch in ein gewaltiges Dröhnen verwandelte. Wie durch ein halbtransparentes Tuch konnte ich die Umrisse eines Kopfes erkennen. Das Dröhnen verwandelte sich urplötzlich in eine dunkle hohle Stimme: »Wir sind noch nicht fertig mit dir.«
Der Spuk war urplötzlich vorbei und ich erwachte in einem Krankenhaus.
Drei Tage später und nach mehreren Bluttransfusionen. Im Wismut-Krankenhaus in KMST-Rabenstein. In diesem Krankenhaus hatte ich 1978 Fabian und 1979 Benjamin entbunden. Schwestern und Ärzte kamen und gingen. Verabreichten mir Medikamente und Spritzen. Wortlos. Irgendwann hörte ich auf zu fragen, ich bekam sowieso keine Antworten. Die Tür öffnete sich, doch statt der erwarteten Schwester betraten zwei Uniformierte und zwei Herren in Zivil das Krankenzimmer. Ich wurde aus dem Bett gezerrt und verhaftet. Wegen Prostitution. Sie warfen mir einen Slip und einen Kittel zu. Zitternd wie Espenlaub zog ich mir das über. Meine Handgelenke wurden mit einer Knebelkette vor meinem Bauch gefesselt. Ein Volkspolizist griff danach und zerrte mich wie einen Hund hinter sich her, den Gang entlang. Ich nahm nur am Rande wahr, wie Krankenschwestern und Patienten uns entsetzt auswichen. Vollkommen geschwächt taumelte ich weiter. Konnte mit dem Volkspolizisten nicht mithalten.
Immer wieder strauchelte ich und fiel hin. Jedes Mal riss er mich mit brutaler Gewalt wieder hoch. Wir betraten einen Hof, am anderen Ende stand eine grüne Minna. Ich hatte keine Schuhe an und der Hof war mit grobem, spitzem Kies ausgelegt, über den man mich darüber jagte.
Meine Fußsohlen rissen auf und ich hinterließ eine blutige Spur, die niemanden interessierte.
»Los rein, du Schlampe!« Mit diesen Worten stieß mich der Volkspolizist mit voller Wucht in den Wagen, so dass ich an das Gitter prallte und liegen blieb. Die Tür schloss sich und der Wagen fuhr los. Ein Milchglasfenster versperrte die Sicht nach draußen, aber es ertönten laute Stimmen, Musik und das fröhliche Lachen vieler Menschen. Ich hörte genauer hin.
Es war der 1. Mai, die DDR feierte den Tag der Arbeit. Ich dachte an den 1. Mai ein Jahr zuvor. Es war ein wunderschöner Tag. Christoph war von der Arbeit freigestellt, aber zur Mai-Demonstration verpflichtet worden. Das war üblich. Wir fuhren mit Fabian und Benjamin in die Stadt zur Straße der Nationen. Schon in der Straßenbahn hatten wir Spaß. Alle Leute hatten gute Laune. Die Sonne strahlte von einem blitzblauen Himmel, von überall her hörte man Musik und der Duft von Frühling lag in der Luft.
Ich schob den Sportwagen mit Benjamin, und Christoph hatte sich Fabian auf die Schulter gesetzt. Wir reihten uns in die Menschenmenge ein und marschierten einige Stunden mit. Christoph und ich hatten schon länger Probleme miteinander. Harmlos ausgedrückt. An diesem 1. Mai war er wie ausgewechselt. Fröhlich. Großzügig.
Wir kamen beim Konsum-Warenhaus am Fritz-Heckert-Platz vorbei.
Vor dem Kaufhaus hatte sich eine lange Menschenschlange gebildet.
Das bedeutete, dass etwas angeboten wurde, das es sonst nicht oder nur selten zu kaufen gab. Man wusste zwar nicht, was, aber es hieß auch, dass man die Gelegenheit nutzen sollte. Wir stellten uns mit an und hatten Glück. Es wurden schöne dick gefütterte Winteranoraks für Kinder in allen möglichen Farben verkauft. Sie waren zwar recht teuer, wir kauften trotzdem zwei für Benjamin und Fabian. Anschließend ging Christoph noch mit uns in die Milchbar und spendierte uns ein Eis. Abrupt wurde ich aus meinen schönen Erinnerungen gerissen.
»Raus!« Da ich der Aufforderung nicht sofort nachkam, griff der Volkspolizist wieder nach der Knebelkette und warf mich aus dem Auto auf den Boden eines Innenhofes.
»Aufstehen!