Abrechnung am Meer. Biljana Fenzl

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Название Abrechnung am Meer
Автор произведения Biljana Fenzl
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847695622



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      „Ich denke darüber nach“, presste sie mit einem Kloß im Hals noch heraus und legte auf. Stille Tränen rannen ihr übers Gesicht. Ihr Magen krampfte sich zusammen. So konnte sie keinen klaren Gedanken fassen. Sie begann, Sachen in ihrer Wohnung aufzuräumen, umzuräumen und wegzuräumen. Sie schnappte sich den Staubsauger. Aggressiv schrubbte sie damit über den Boden. Seine Lautstärke betäubte jede Geistestätigkeit. Nach einer Weile schaltete sie das Gerät aus. Ihr rechtes Ohrläppchen schmerzte. Sie hatte zu heftig daran gerieben, ohne es zu merken. Hätte sie eine gute Stelle bei der Zeitung, wäre Oma beruhigt. Würde ein Chefredakteur sie gleich einen Leitartikel schreiben lassen? Eher nicht. Sie arbeitete zu lange beim Fernsehen. Bei den Printmedien startete sie wieder ganz unten. Würde Oma ihren glorreichen Aufstieg noch erleben? Sie wollte nur sicher sein, dass Nika auf dem richtigen Weg war. Was, wenn es nicht nach Plan lief? Dann wäre sie nicht einmal Großmutters Wunsch nachgekommen. Oma hatte für ihre Bedürfnisse stets ein offenes Ohr. Was konnte sie ihr vorwerfen? Sie wollte Nika helfen. Bis jetzt habe ich es ohne Hilfe geschafft, dachte Nika. Oma sorgte sich. Sie liebte Nika. Und Nika liebte sie. Was, wenn Omas Befürchtungen berechtigt waren und sie plötzlich allein wäre. Ihr Leben fühlte sich nicht wie ihres an. Woran es lag, wusste sie nicht. Vielleicht hatte Oma recht und Nika musste das erst herausfinden, bevor sie etwas Neues begann. Schadete es, ein paar Monate auf einer Insel zu verbringen und dort vorübergehend ihr Geld zu verdienen? Viel unbefriedigender als die Arbeit, die sie jetzt ausübte, konnte es auch nicht sein.

      2. Kapitel

      Drei Monate später saß Nika auf einer Bank an Bord einer weißen Fähre. Neben sich einen Rollkoffer und einen großen Wanderrucksack. Unter Deck war die Luft so stickig, dass sie nach draußen geflohen war. Nun ließ sie den Fahrtwind an ihren zusammengebundenen Haaren zerren. Die Sonne stand hoch. Ohne den Wind wäre es schon angenehm warm. Hier oben fröstelte Nika. Sie zog ihre mit rosa Blümchen verzierte Strickjacke vor der Brust zusammen. Das tiefe, dunkle Blau des Meeres breitete sich vor ihr aus. Auf der Oberfläche tanzten funkelnde Sterne über die Wellen. Nika blinzelte und sah auf ihre Schuhe. Es war zu grell, um den Blick lange auf das Glitzern zu richten. Sie hatte ihre Sonnenbrille unter der Kleidung im Koffer verstaut. Hätte sie sie bloß aufgesetzt. Dann hätte sie in Ruhe auf die See starren können. So musste sie sich von Touristen anstarren lassen, die sich an ihr vorbeidrückten, um das Schiff zu erkunden. Nikas pinke Augenbrauen erregten Aufmerksamkeit. Kleine Kinder zeigten mit Fingern auf sie und äußerten Vermutungen über eine schlimme Krankheit. Nika grinste. Als ihr Magen zu knurren begann, stand sie auf und griff nach ihrem Gepäck. Es war sowieso nicht ihr Ding, lange ruhig herumzusitzen. Sie hatte nicht zu Mittag gegessen und beschloss, sich einen Kaffee und ein Croissant an der winzigen Bar im Innenraum zu holen. Auf dem Weg dorthin hörte man lediglich die Rollen ihres Trolleys auf dem Metallboden, die mit dem Motorengeräusch der Fähre wetteiferten. Drinnen roch es muffig. Nika verging der Appetit. Der Hunger blieb. Sie sprach schnell und wiederholte ihre Bestellung noch zweimal. Dann hielt sie endlich das Gewünschte in der Hand. Sie balancierte Gepäck, Kaffee und Hörnchen zügig nach draußen. In einer Nische stellte sie ihren Koffer ab und setzte sich darauf. Gierig schlang sie das Croissant herunter. Für den flüssigen Wachmacher ließ sie sich mehr Zeit. Notgedrungen. Beim ersten Schluck verbrannte sie sich Zunge und Gaumen. Sie fluchte leise vor sich hin. Der Beginn ihres neuen Lebens lief nicht gerade perfekt. Aber sie bereute es nicht, gekündigt zu haben. Es war, als löste sich ein festsitzender Knoten in ihrem Inneren. Ihr letzter Tag in der Redaktion war eine Erleichterung. Endlich atmete sie wieder durch. Nicht einer ihrer Kollegen verstand ihren Entschluss. Gekannt hatte sie keiner richtig. Es war nicht deren Schuld. Nika baute einen Schutzwall um sich auf. Umgekehrt hatte sie auch nicht großes Interesse an den Arbeitskollegen gezeigt. Der Abschied von ihnen und von Deutschland fiel ihr nicht schwer. Es war in Ordnung, auf der Fähre zu sein. Sie ließ die Dinge auf sich zukommen.

      Kaum hatte Nika diesen Gedanken zu Ende gedacht, sah sie einen Schatten näher rücken. Es mutete wie die Insel an, die für die nächsten Monate ihr Zuhause sein würde. Neugierig sah sie es sich genauer an. Nika schoss so schnell von ihrem Koffer hoch, dass der heiße Kaffee ihr über die Finger schwappte. Sie presste die Kiefer aufeinander. Ein Fluch zischte zwischen ihren Zähnen hervor. Sie musste sich angewöhnen, ruhiger zu werden. Mit ihren Schnellschussaktionen verletzte sie sich nur selbst. Sie schüttelte die nasse Hand aus und stellte den Pappbecher auf den Boden. Mit der anderen Hand wischte sie noch einige Male über die feuchte, brennende Stelle und beließ es dabei. Sie blickte in Fahrtrichtung. Vor ihr türmte sich Karstgestein auf. Der grau-weiße Berg wurde immer größer, je näher sie kamen. Er strahlte in der Sonne. Die Insel sah kahl und verlassen aus. Nika fröstelte.

      Um sie herum begann ein geschäftiges Treiben. Touristen begaben sich zurück zu ihren Autos und Bussen. Nika würde zu Fuß von Bord gehen. Sie hievte ihren Rucksack auf den Rücken und nahm den Griff des Rollkoffers in die Hand. Die Knöchel ihrer Finger traten weiß hervor. Ihre Zähne knirschten aufeinander. Sie wuchtete ihr Gepäck die Metalltreppe hinunter zum Autodeck. Unten presste sie ihren dünnen Körper dicht an die Wand. Die Fahrzeuge standen so nah beieinander, dass die Menschen beim Besteigen gezwungen waren, eine artistische Schlangennummer zu vollführen. Wenn die Blechlawine losrollte, wollte Nika nicht mitgerissen werden. Mit Blicken suchte sie nach einem sicheren Weg aus dem Schiffsbauch. Sie sah wie die Landungsklappe sich langsam senkte und dahinter der Fährhafen zum Vorschein kam. Es hatte zum Übersetzen keine andere Möglichkeit gegeben, sie hatte die Autofähre nehmen müssen. Ein leichter Ruck durchzuckte das Schiff, als es an der Landungsstelle andockte. Nika wartete, bis alle Fahrzeuge das Deck verlassen hatten. Dann ging sie sicher von Bord. Die Rollen ihres Trolleys kratzen über den Asphalt. Das Geräusch war so laut, dass sie die Schritte hinter sich nicht hörte. Erst als ein Pulk Touristen Nika überholte, wurde ihr klar, dass es sich um Tagesausflügler handelte. Keiner hatte Gepäck dabei, viele trugen Kameras um den Hals. Sie waren ihr auf der Fähre nicht aufgefallen. Vermutlich hatten sie es sich im Gastraum gemütlich gemacht. Bei dem Gestank? Na, vielleicht waren ihre Nasen nicht so empfindlich wie Nikas. Sie folgte der kleinen Gruppe zum Tickethäuschen des Fährhafens. Dort parkte ein Insel-Bus. Nika lockerte ihren Griff und entspannte die Kiefermuskulatur. Der Bus würde sie und die Touristen über das Land verteilen. Das Transportproblem löste sich somit von selbst. Nika hob ihren Koffer in den Bus und stieg ein. Sie suchte sich einen Platz, legte den Trolley unter den Sitz und stopfte den Rucksack zwischen ihre Beine und die Lehne des Vordersitzes. Der Fahrer lief durch den Bus, verteilte und kassierte die Fahrscheine. Nika zog ihren Brustbeutel heraus. Das war zwar nicht die modernste, aber immer noch die sicherste Methode Ausweis und Geld sicher zu verwahren. Der Busfahrer erkundigte sich nach Nikas Ziel. Sie nannte den Ort und bezahlte in Kuna, der Landeswährung. Der Chauffeur nahm hinter dem Lenkrad Platz und der Bus fuhr an.

      Die ersten Kilometer sah man nichts, außer karstigem Gestein links und rechts. Kaum Vegetation. Dazwischen schlängelte sich die Straße. Es sah bizarr aus. Nika hatte vergessen, wie karg die kroatischen Inseln wirkten. Nun staunte sie über die Landschaft, als wäre sie noch nie hier gewesen.

      In ihrer Kindheit war Nika oft mit ihrer Familie auf die großen kroatischen Inseln gefahren. Sie hatten wunderschöne Urlaube dort verlebt. Nun war sie auf der Insel Maun angekommen, die sie bisher nicht kannte und die ihr trotzdem vertraut vorkam. Geologisch bauten die Inseln sich alle ähnlich auf. In Nika glomm Vorfreude auf. Sie wollte das Gefühl abschütteln. Was sollte das? Sie war nicht ganz freiwillig nach Maun gereist. Dieses kindliche Glücksgefühl war lästig und unpassend. Zwischen ihre pinken Brauen grub sich eine Falte. Die dunklen Augen richtete sie starr aus dem Fenster. Sie sah nicht, wohin sie fuhren und sie freute sich auf nichts. Sie tat es für ihre Großmutter, sie tat deren Freundin einen Gefallen. Hier ging es nicht um ihr eigenes Leben. Noch nicht. Noch ließ sie keinen Gedanken über sich selbst zu.

      Der Bus hielt im Hafen von Maun-Stadt. Nika zerrte ihr Gepäck hinaus. Ihr Blick flitzte durch die Luft. Sie hatte keine Ahnung, wo sie hin musste. Da fiel ihr der zusammengeknüllte Zettel in ihre Hosentasche ein. Sie fischte ihn heraus und glättete ihn mit dem rechten Daumen. Wieder sah sie hilflos um sich. Der Busfahrer beobachtete sie eine Weile. Dann kam er auf sie zu.

      „Wo wollen Sie hin?“

      Nika zuckte