Название | Die Freistaaten |
---|---|
Автор произведения | Jens Zielke |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738089738 |
„Gut ich werde abwarten.“
„Mehr verlange ich auch nicht. Und Sie haben mein Wort, dass es nicht Ihr Schaden sein wird. Doch jetzt verzeihen Sie uns, wir wollen tanzen.“
Von Carstheim ergriff Evas Hand und ungerührt von der Aufregung des Oberbürgermeisters schritt er auf die Tanzfläche. Eva ließ es geschehen. Sie legte ihren schlanken Körper in seine Arme. Ihre blonde Kurzhaarfrisur passte zu ihr und das schwarze Cocktailkleid, das sie trug, hatte Marc Anton Moden nur für sie angefertigt. Es war ein Geburtstagsgeschenk seines Bruders.
„Die Geheimhaltung ist dir offenbar gelungen“, sagte Sie.
„Ja. Keiner hat bemerkt, dass ein koordiniertes Vorgehen stattfand. Und der heftige Wahlkampf war ein Geschenk Gottes. In seinem Schatten sind die enormen Vorbereitungen untergegangen.“ Von Carstheim legte seine Hand fest um Evas Taille.
„Ich habe Angst, dass es schiefgehen könnte.“
„Ich bin Fechter, kein Tänzer“, antwortete von Carstheim durch die Zähne. Eva hatte sich angeschmiegt und das hatte ihn aus dem Takt gebracht.
„Hab ich gemerkt.“ Eva machte einen Zwischenschritt und bei den nächsten drei Schritten übernahm sie die Führung, und bis das Orchester eine Pause machte, tanzten sie schweigend.
Von Carstheim verbeugte sich formvollendet als die letzten Töne verklungen waren. Eva mochte diese klassische Höflichkeit. Daneben benehmen konnte sich jeder. Wertschätzung war jedoch ein Privileg, das nicht viele Menschen beherrschten. Ein lautes Rufen, das teilweise in Kreischen überging, drang jetzt vom Brunnen in den Saal und ein Blitzlichtgewitter bewegte sich von dort auf sie zu.
„Schreiber ist eingetroffen und hat die Presse mitgebracht“, sagte von Carstheim. Vom Rande der Tanzfläche aus konnten er und Eva sehen, wie der Baden-Württembergische Ministerpräsident und Kanzlerkandidat der CDU unter journalistischen Beschuss genommen wurde.
„Herr Schreiber, 26,8 Prozent bedeuten fünf Prozent weniger als bei der vorangegangenen Bundestagswahl. Wie erklären Sie sich das schlechteste Wahlergebnis aller Zeiten. Glauben Sie, dass Ihre Partei ein Opfer der Großen Koalition geworden ist?“, sagte der Reporter, der sich an der Spitze der Meute befand.
„An diesem Tag gab es lediglich ein Opfer und das war die Bundesrepublik Deutschland.“ Schreiber gab seinen Fluchtversuch auf und blieb stehen. Die Kameras fingen sein zerfurchtes faltenreiches Gesicht ein. Die tiefen Falten vermittelten einen weisen, erfahrenen Eindruck. Sein Erscheinungsbild galt seit jeher als sympathisch und selbst in dieser prekären Lage vermittelte er nicht den Eindruck, dass er verantwortlich für ein historisches Wahldebakel der CDU war.
„Bevor Sie jetzt denken, dass dies das Geschwätz eines schlechten Verlierers ist, muss ich in aller Deutlichkeit sagen, dass dies nur die Stimme eines besorgten Mannes ist. Schindling und seine Partei sind nicht in der Lage, die durch die wirtschaftliche Situation entstandenen Probleme des Landes zu lösen. Von seinen etwaigen Koalitionspartnern ganz abgesehen.“
„War Ihr Wahlkampf vielleicht zu ehrlich?“ Der Reporter drückte Schreiber das Mikro fast ins Gesicht.
„Beim besten Willen kann ich mir nicht vorstellen, dass Deutschland Schwierigkeiten mit der Wahrheit hat. Vielmehr befürchte ich, dass die Bürger auf die Wahlversprechungen der linksgerichteten Parteien reingefallen sind. Aber selbstverständlich übernehme ich die volle Verantwortung für die Wahlniederlage.“ Schreiber schob das Mikro aus seinem Gesicht und souverän lächelnd begab er sich in den Saal, dort war keine Presse erlaubt.
Der verhaltene Applaus, der ihn im Saal empfing, war eine Mischung aus Mitleid und guter Erziehung. Für die meisten Anwesenden war er seit einer Stunde politisch tot.
Äußerlich gab er sich deswegen zerknirscht. In seinem Inneren brannte aber ein Feuerwerk. Sie hatten es geschafft. Schindling, die Regierung und Deutschland waren in ihre Falle getappt.
4.
22. SEPTEMBER | Kanzleramt Berlin | 16 Uhr
Kanzleramtsminister Alfred Jonas hielt den Bericht des militärischen Abschirmdienstes fest umklammert. Der Bericht beschrieb bis ins kleinste Detail das, was sich gestern in Afghanistan ereignet hatte. Zwei Selbstmordattentäter hatten sich bei einer Hausdurchsuchung vor eine Bundeswehrpatrouille geworfen und sich mitsamt der Patrouille in die Luft gesprengt. Und auch auf die Gefahr, dass der Bericht Schindlings gute Stimmung trüben würde, duldete das Thema keinen Aufschub. Deutschland konnte sich einfach nicht an die in Zinksärgen heimkommenden Bundeswehrsoldaten gewöhnen. Zusätzlich litten immer mehr Soldaten an den posttraumatischen Auswirkungen ihres Einsatzes. Keiner im Land sprach mehr von einem humanitären Einsatz und die gesamte Bundesrepublik bereute die Rückkehr in das Land am Hindukusch. Von Beginn an hatte Jonas zu den Kritikern der neuerlichen Besetzung gehört. Nach dem endgültigen Abzug der ISAF-Truppen war das Land erneut im Chaos versunken. Die Taliban hatten sich unterstützt vom Islamischen Staat in Afghanistan ausgebreitet. Und der um seine Wiederwahl ringende republikanische Präsident der USA hatte die UNO aufgefordert, Afghanistan ein zweites Mal zu besetzen.
„Der Westen muss die religiösen Fanatiker aufhalten, damit die Revolution nicht auf die Atommacht Pakistan überspringen kann“, hatte der amerikanische Präsident betont. Und unter dem Druck der wirtschaftlich sterbenden Weltmacht, die unbedingt ein Einsatzgebiet für ihre gigantische Armee suchte, hatte die UNO ein neuerliches Mandat über Afghanistan verhängt. Ohne dieses Zugeständnis wäre ein Krieg gegen den Iran unvermeidlich geworden. Deren wiederbelebtes Atomprogramm und die andauernden Drohungen gegen Israel hätten ansonsten zu einem unberechenbaren Krieg in der Golfregion geführt.
Im Gegensatz zum ersten Einsatz wurden die ISAF-Soldaten diesmal aber, von der vom Westen enttäuschten afghanischen Bevölkerung, strikt abgelehnt. Die Truppen hatten von Beginn an einen schweren Stand.
„Neun tote Bundeswehrsoldaten, und das am Wahlabend, du musst endlich für ein Ende sorgen“, sagte Jonas zögerlich.
„Wenigstens habe ich jetzt einen Grund dem ein Ende zu bereiten“, entgegnete Schindling im Wissen, dass ihm das Tagesgeschäft keine Zeit zum Feiern gab. „Zunächst müssen wir aber die Koalitionsverhandlungen hinter uns bringen. Mit einer starken, links orientierten Regierung sollte es uns gelingen, das Mandat zu beenden.“
„Wir sollten Afghanistan auf Platz Eins unserer To-do-Liste setzen. Du könntest den Anschlag auch benutzen, um endlich in Bezug auf Sude aktiv zu werden. Du hast doch weiterhin vor, ihn abzuschießen?“
„Ich werde bestimmt keinen Verteidigungsminister bestätigen, der bei den April-Ausschreitungen den Vorschlag geäußert hat, Bundeswehrsoldaten gegen die eigene Bevölkerung einzusetzen. Solche Äußerungen sind nicht tolerierbar.“ Zornesröte stieg Schindling ins Gesicht und obgleich er, bis in die frühen Morgenstunden, auf der SPD-Wahlparty im Willy-Brandt-Haus getanzt hatte, wirkte er taufrisch.
„Das heißt?“
„Die Wahl ist gewonnen. Es gibt keinen günstigeren Zeitpunkt, um ihn abzusetzen. Innerparteilich kann er mir nicht mehr gefährlich werden und rate mal, wer vor der Tür steht.“ Schindling öffnete seine Bürotür. „Herr Sude, bitte treten Sie ein.“
„Schießt du ihn gleich hier und jetzt ab“, fragte Jonas ungläubig.
„Pssst, gönn mir den Spaß.“
„Herr Bundeskanzler, wegen der neun getöteten Soldaten brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Es ist nur eine Zahl, die ich den Bürgern verkaufen muss.“ Wichtigtuerisch wuchtete Sude sich in Schindlings Büro. Er war ein kleiner, fettleibiger, grobschlächtiger