Название | Herszel Grynszpan |
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Автор произведения | Eberhard Schiel |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847675334 |
Auffällig im Text wirkt die zweimalige Betonung der absoluten Ruhe und des Verzichts auf jegliche Befragungen des Opfers. Darauf scheint Dr. Paul eingeschworen zu sein. Aus gutem Grund, wie wir bald erfahren werden.
Mir liegt übrigens der vollständige Obduktionsbefund vor, mit allen Einzelheiten, der Öffnung des Körpers, den Aushöhlungen des Schädels, des Brustkorbs und des Unterleibes, wobei noch festgestellt wurde, dass die Bauchhöhle eine kleine Menge Blut, etwa 60 gr, enthielt. Unter dem Röntgenschirm hatte Dr. Paul in Höhe der Wandung des rechten Brustkorbs, unterhalb der rechten Rippen-Ecke, ein Projektil des Revolvers entdeckt. Auf Höhe der rechten Achselhöhle fand er ebenfalls ein derartiges Geschoss.
Wozu der überaus erfahrene Gerichtsmediziner eigentlich zwei deutsche Assistenten benötigte, darunter den nach dem Krieg wegen seiner Euthanasie-Verbrechen zum Tode verurteilten Dr. Brandt, bleibt rätselhaft. An anderer Stelle werden wir jedoch näher darauf eingehen. Nur soviel: Die Nazis werden gewusst haben, wen sie mit der Identifizierung des Toten betrauen konnten. Dr. Paul galt als “Schnell-Obduzent”, dem mitunter Fehler unterlaufen. Er soll, was kaum vorstellbar ist, jährlich zweitausend bis viertausend Autopsien mit der Routine eines Uhrwerkes aber auch mit der oberflächlichen Sorglosigkeit eines Bonvivants vorgenommen haben, wie ein Biograf über ihn urteilte. Seinem Bericht zufolge bestätigte er, dass Grynszpan aus nächster Nähe fünf Kugeln abfeuerte, von denen nur zwei das Opfer trafen. Unter mysteriösen Umständen also wurde Ernst vom Rath begraben. Keine normale Trauer, eher ein pompöses Schauspiel der Nazi-Propaganda. Ein neuer Märtyrer war geboren. Gerade zur rechten Zeit, da man für das Gedenken an die “Gefallenen vor der Feldherrenhalle” einen neuen Blutzeugen brauchte. So gedachten dann auch in Paris der deutsche Botschafter Graf von Welczeck und Landesgruppenleiter Dr. Ehrich am Spätnachmittag des 9.November 1938 vor versammeltem Dienstpersonal des von “ruchloser jüdischer Hand” hingemordeten Parteigenossen Ernst vom Rath. Dr.Ehrich rief in pathetisch vorgetragenen Worten aus: “Wir haben das Gastrecht nie missbraucht…….nicht wir haben den Boden dieses Landes mit Blut befleckt, sondern die anderen, die uns in den Augen des Gastlandes herabsetzen wollen.“
Graf Welczeck sagte unter anderem: “Jeden von uns hätte die Kugel treffen können, er aber (vom Rath) hat das Opfer auf sich genommen. Wir, die wir im Ausland das Reich vertreten, sind die Soldaten des Führers, die außerhalb der Grenzen für das deutsche Volk und Reich kämpfen.” Dann erhoben sich im prächtig geschmückten Großen Saal der Botschaft alle Teilnehmer der Gedenkfeier von ihren Sitzen und mit dem deutschen Gruß gedachten sie der “ 16 Blutzeugen von der Feldherrenhalle” und des neues “Märtyrers”. Von der Botschaft marschierten die Angehörigen zur Klinik l`Alma, um die sterbliche Hülle des “Blutzeugen” abzuholen. In Empfang genommen wurde ein zugeschraubter Sarg. Mitglieder der Deutschen Kolonie entboten den deutschen Gruß, während die französischen Polizeibeamten salutierend die Hände an ihre Mützen legten. Dem Leichenwagen folgten, so die Presseberichte, Botschafter Graf von Welczeck, Gesandtschaftsrat Dr. Ehrich, ferner Dr. Brandt und Dr. Magnus sowie das Personal der Botschaft und schließlich ein langer Trauerzug der deutschen Volksgenossen. Den Leichnam bekam niemand mehr zu sehen. Der zugeschraubte Sarg wurde in dem zur Kapelle ausgestalteten Saal der Botschaft aufgebahrt. Niemand sollte sehen, wer da nun wirklich drin liegt, selbst die Pressefotografen nicht. Einige enge Mitarbeiter hielten auf jeden Fall Totenwache. Der Führer sandte folgendes Beileidstelegramm: “Herrn und Frau Rath, zur Zeit Paris.- Nehmen Sie zu dem schmerzlichen Verlust, den sie durch den feigen Meuchelmord an ihrem Sohn betroffen hat, meine aufrichtigste Teilnahme entgegen. Adolf Hitler.”
Nach dem das Telegramm verlesen wurde, ergriff Botschafter Graf Welczeck das Wort: “Unsere Empörung über dieses Verbrechen ist grenzenlos. Verachtung mischt sich hinein und Grauen über die Gemeinheit, zu der ein Mensch herabsinken kann. Wir vertrauen der französischen Justiz, dem Gerechtigkeitsempfinden der französischen Volksseele, dass sie für den Mörder unseres Ernst vom Rath die Sühne finden wird, die der Größe des Verbrechens entspricht. Der Dahingegangene aber wird uns unvergesslich vor Augen stehen als ein junger deutscher Mensch, dem es gegeben war, auf dem Felde der Ehre für sein Vaterland zu fallen in einer Zeit, die von keiner Epoche der deutschen Geschichte übertroffen wird...”
Am nächsten Tag fand in der Deutschen Botschaft eine interne Trauerfeier statt, und zwar in Anwesenheit der Eltern vom Raths. Graf Welczeck führte die Mutter zum Katafalk, und dann wiederholte sich die Zeremonie nach nazistisch stereotypen Ritualen, aber das war erst der Auftakt zu drei weiteren Trauerakten. Die Nazis konnten in der Tat gar nicht so viele Leute sterben lassen wie sie trauern wollten. Ein ums andere Mal bemühte man die abgedroschenen Vokabeln vom Blutzeugen, vom “Märtyrer”und “gefallenen Soldaten des Führers”. Nach der internen Trauerfeier folgte eine separate Trauerkundgebung im “Deutschen Haus” in Paris. Der uns schon bekannte Landesgruppenchef der NSDAP, Dr .Ehrich, verkündete dabei stolz, dass der neue Märtyrer der Bewegung in die SA-Standarte “Horst Wessel” eingegangen sei. Peinlich berührt mussten die Eltern des Ernst vom Rath miterleben, wie der Name ihres Sohnes mit dem des schmierigen Zuhälters Horst Wessel, ebenfalls Märtyrer der Bewegung, in einem Atemzug erwähnt wurde.
Für Samstag, den 12. November, dachte sich die Deutsche Botschaft etwas ganz Besonderes aus. An der offiziellen Trauerfeier nahmen, durch irgendwelche Mittelsmänner angeheuert, etliche Mitglieder einer antisemitischen Organisation teil, unter ihnen französische Frontkämpfer. Gemäß der Regie legte ein Angehöriger dieser Gruppierung, ausgerechnet ein Arbeiter, ein schlichtes Veilchensträußchen auf den mit der Hakenkreuzflagge zugedeckten Sarg. Wie auf Stichwort sagte er: “Es gibt nicht nur marxistische Arbeiter”. Die deutsche Presse nahm den Satz dankbar auf. Ferner bot man einen kriegsversehrten Rollstuhlfahrer mit einem Blumenstrauß auf, den er von einer Blumenfrau erhalten haben will, um ihn am Sarg Ernst vom Raths niederzulegen. Das nazistische Schmieren-Theater hatte noch eine rührende Szene im Programm. Eine ganz in Schwarz gekleidete französische Dame, Mutter eines angeblich von Marxisten im Straßenkampf erschlagenen jungen Mannes, kniete vor dem Sarg nieder, betete unter Tränen und küsste die Hakenkreuzfahne am Sarg. Beim Abgang dieser inszenierten Komödie erwies sie “spontan” den deutschen Gruß. Obendrein meldete Oberregierungsrat Faber, Pressebeirat bei der Deutschen Botschaft Paris, seinem Chef Dr. Goebbels nach Berlin: “Durch französische Vertrauensleute haben wir in Paris und in der Provinz 3000 Großplakate anschlagen und 50 000 Handzettel judenfeindlichen Inhalts verteilen lassen.”
Ich habe den Bericht über die Hetzkampagne, die man damals Propaganda nannte, selbst im Bundesarchiv eingesehen. Der Text für jene Handzettel ist erhalten geblieben. Er lautet in deutscher Übersetzung: “ Achtung Franzosen! Frankreich ist nur noch eine Abfallgrube und ein Ghetto! Wir sehen überall auf der Straße nur Gesichter, die unserer Rasse fremd sind. Gehört Frankreich nicht mehr den Franzosen? Ausländer begehen auf unserem Boden die schlimmsten Attentate: Gorguloff ermordete den Präsidenten Doumer. Schwarzbart ermordete den Hetman Petlura. Kalemen ermordete König Alexander von Jugoslawien und Präsident Barthou. Grynszpan ermordet einen bei der Regierung akkreditierten Diplomaten. Werdet ihr weiter zulassen, dass Ausländer und Juden die Skandale der Chronik, der Verhetzung, der Betrügereien, des Bankrotts und der Morde fortsetzen?- Wir wollen nicht mehr, dass Ausländer morden. Es ist genug. Frankreich erwache!”
Nach Deutschland sollte nun auch Frankreich erwachen, wobei der böse Traum darin bestand, dass die aufgelisteten Morde zum Teil auf Bestellung, mit Hilfe von Lockspitzeln, geschehen sind. Diese wurden von der Gestapo dafür bezahlt. Schwarzbart, zum Beispiel, kam schnell wieder auf freien Fuß. Aber das nur nebenbei. Verfolgen wir den weiteren Verlauf des endlosen Trauerspektakels. An jenem Trauerakt für vom Rath am 12. November erschien als Repräsentant der französischen Regierung Minister Bonnet,