Название | Freie Republik Lich - 2023 |
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Автор произведения | Stefan Koenig |
Жанр | Языкознание |
Серия | Zeitreise-Serie |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783753191294 |
„Was macht so ein Logistikzentrum im Einzelnen? Das wollte ich Sie schon letztes Mal fragen …“
„Wie gesagt, das ist ein Zentrum, von dem aus alles Mögliche verteilt wird. In diesem Fall geht es speziell um Kloschüsseln ...“ Er stockte kurz und sagte dann: „Dr. Wüst hat wohl ein Faible für Toiletten …“ Jetzt lachte Groß kurz und künstlich auf, bevor er mit ernster Miene fortfuhr: „Also, er hat connections zu einem Großhändler, der auf Kloschüsseln spezialisiert ist. Fragen Sie mich bitte nicht wie, was und warum.“
„Ach, die Wüst AG vertreibt die Dinger gar nicht in Eigenregie?“
„Nein, nein, die betreiben – wenn man so will – nur die Immobilie, investieren alles Nötige und vermieten dann gewinnbringend weiter. In diesem Fall wollen Sie an MyClo vermieten. Wie gesagt: ein Distributor von Kloschüsseln, von Dixi-Häuschen und allen möglichen Aborten. Europaweit werden Kloschüsseln geliefert. Also, ich nehme an, da die sich nur auf diese Scheißhäuschen konzentrieren, werden sie bald schon zur Liga der Global Player gehören. Und dann wird es in unserer Stadtkasse brummen, aber so richtig brummen.“
Arturo rieb sich mit freudig-geheimnisvoller Miene die Hände.
„Und die Toiletten werden auf der Langsdorfer Höhe produziert und dann verschickt?“
„Keine Produktion, kein lästiger Lärm und keine lästigen Emissionen, nein, da wird nur der Kram hingefahren, aufeinandergestapelt und wieder weggefahren.“
„Und das alles nur, um unseren Stuhlgang …“ Frau Demuth schaute ratlos den Rathauschef an.
„Raten Sie mal!“, sagte er grinsend. „Aber sicher, nur dafür! Das wird weltweit gebraucht. Das Geschäft läuft auf Jahrhunderte. Scheißhäuser! Eine krisenfeste Sache!“
So ordinär hatte Frau Demuth ihren Chef noch nie reden gehört. Für einen kleinen Moment stürzte ihr feines Männerbild vom tadellosen Chef ein, aber dann – sie dachte nach: War die Wortwahl nicht absolut verständlich, schließlich lag es an der Ware selbst, dass man das böse Wort auf die Zunge bekam. Sie schaute auf den mit Zetteln übersäten Schreibtisch des sozialdemokratischen Rathauschefs. Er bemerkte ihren suchenden Blick und sagte mit einer gewissen reuigen Demut: „Ich konnte mir heute meinen Kaffee noch nicht selbst machen. Ich mache mir jetzt ein Tässchen. Und Ihnen eine Tasse mit?“
„Bleiben Sie nur, ich mache das schon. Sie brauchen Ihre Zeit jetzt für Wichtigeres. Es ist Ihr erstes Treffen mit dem Chef der Wüst AG, da sollten Sie gut vorbereitet sein.“
Groß sah sie fragend an.
Ihre Stirn legte sich in nachdenkliche Falten, dann fuhr sie fort: „Es geht doch sicherlich um zig Millionen. Aber wem sage ich das! Vielleicht sollten Sie vorsichtshalber mit dem Pachtinteressenten der Wüst AG Kontakt aufnehmen, jener Firma mit diesem amerikanischen Namen ...“
Groß schnippte mit den Fingern und sagte: „MyClo! MyClo heißen die. Nebenbei bemerkt: Schicker Name für solch ein Geschäft, finden Sie nicht auch?“
„Ja, ja“, fuhr seine Mitarbeiterin fort. „Rufen Sie dort doch mal an.“
„Meinen Sie wirklich? Warum?“
„Nur so!“
„Nur so?“
„Na ja, ich meine eigentlich ...“ Sie druckste etwas herum, gab sich schließlich einen Ruck und sagte: „Und fragen Sie, ob es wirklich ein ernsthaftes Interesse an unserem Standort gibt. Nicht dass Dr. Wüst sich vertan hat. Alles klingt zu phantastisch. Diese enormen Gewerbesteuer-Einnahmen, von denen Sie mir letztlich eine Schätzung unterbreiteten. Ich habe die Zahlen übrigens wie gewünscht an die beiden Journalisten per Mail verschickt! Natürlich mit vorläufiger Veröffentlichungssperre. Dazu die Grundsteuer. Da kommt ja was zusammen! Das glaubt einem ja keiner! Sie wollen ja das Stadtparlament baldmöglichst auf Ihre Seite bringen, sobald Sie selbst von dem Vorhaben hundertprozentig überzeugt sind.“
Groß nickte nichtssagend. Er war bereits hundertprozentig überzeugt, wollte es aber noch nicht zeigen. Schon gar nicht gegenüber einer einfachen Schreibkraft.
Die Chefsekretärin bewunderte das Stadtoberhaupt. „Warum eigentlich?“, hatte kürzlich ihr eifersüchtiger Mann gefragt.
„Weil er zielstrebig ist. Weil er eine steile Karriere hingelegt hat“, hatte sie geantwortet. Sie hatte nicht einmal ihrem Ehemann von dem geheimen Vorhaben und dem in Aussicht stehenden Geldregen berichtet, obwohl es ihr auf der Zunge brannte.
Der Rathauschef hatte sie in die Geheimhaltungspflicht genommen. „Wenn etwas über die konkreten Absichten der Wüst AG vorzeitig herauskommt, Frau Demuth, kann das gesamte Projekt scheitern. Ich muss Sie ausdrücklich bitten, hundertprozentige Vertraulichkeit zu gewährleisten. Selbst Ihr Mann darf keine Einzelheiten von diesem Projekt erfahren.“
Daniela Demut hatte ihrem Chef in die Hand versprochen, eisern zu schweigen, damit das gute Vorhaben nicht vorzeitig von nörgelnden, aber völlig unwissenden Bürgern zum Scheitern gebracht werden konnte.
Ihr Mann war im Sinne von Arturo Groß tatsächlich ein Sicherheitsrisiko. Er mochte Groß nicht; er konnte ihn auf den Tod nicht leiden. Neulich hatte er ihn als einen typischen Politkarrieristen bezeichnet. „Menschen ohne echte politische Ideale versauen unsere politische Landschaft“, hatte er gemeint. „Sie denken nur an sich, nur an ihr eigenes Vorankommen, boxen die parteiinternen Idealisten aus dem Rennen, wenn es um Parlamentssitze geht. Die verkaufen ihre Seele und selbst ihre Großmutter, wenn es um ihre Karriere geht.“
Daniela Demuth schüttelte den lästigen Gedanken an jenen Disput mit ihrem eifersüchtigen Gatten ab und schaute den Rathauschef abwartend an. Groß warf ihr einen Vertrauen heischenden Blick zu. Frau Demuth lächelte beflissen zurück. Sie vertraute ihrem Vorgesetzten hundertfünfzigprozentig. Sie hielt ihn keinesfalls für einen Karrieristen. Oder aber nur dann, wenn man alle Parteileute zu Karrieristen erklärte, was jedoch nicht sein konnte, denn sie kannte darunter eine Menge armer Schweine. Sie hielt Herrn Groß für einen großartigen Politiker, weil er viel besser reden konnte als ihr Mann.
„Soll ich Ihnen außer dem Kaffee noch irgendeine Lektüre oder die Rufnummer von MyClo besorgen?“, fragte sie in der ihr eigenen Beflissenheit.
Bürgermeister Groß nickte dankend. Schon in ein paar Tagen würde er die Dame aus dienstlichen Gründen versetzen. Ein Personalkarussell war angesagt. „Wechseln Sie in nächster Zeit Ihre Sekretärin aus, ohne sie zu verprellen“, hatte ihm Dr. Wüst empfohlen. „Geben Sie ihr irgend einen ruhigeren Job ohne Gehaltseinbußen. Es ist in solchen Fällen wichtig, dass niemand aus der näheren Umgebung die Entwicklung in ihren gesamten Zusammenhängen erkennen kann. Sonst könnte man später leicht zum Opfer von Erpressungsversuchen werden.“
Als Frau Demuth die Tür hinter sich zugezogen hatte, steckte er sich die von Dr. Wüst spendierte Havanna an. Ein entspanntes, ja frohes Lächeln umspielte seine schmalen Lippen. Er rieb sich die Augen, eine der Kontaktlinsen saß nicht richtig. Während er vor dem Spiegel im Innenteil des Büroschrankes die Linse wechselte, ging ihm die Abmachung mit dem Investor durch den Kopf.
Gut, dass Wüst und ich das alles längst privat eingetütet haben. Man muss in diesem Land Theater spielen. Und es muss überzeugend sein. Und übrigens, seine Frau hatte es richtig auf den Punkt gebracht: Machen es die andern nicht genauso? Sogar in Berliner Kreisen wird gemauschelt und man ist sich gegenseitig beim Erklettern der Karriereleiter behilflich. Ist doch alles ganz normal. Er gab sich einen Ruck und berichtigte seine Gedanken: Mauscheln ist ein völlig falscher Begriff. Es geht um Geschäftsgeheimnisse, um nichts weiter! Groß war sich keiner Schuld bewusst. Er hat Probleme beim Anzünden der Zigarre; aber nun fiel ihm ein, dass er sie vorne etwas anschneiden muss.
Schon vor einem dreiviertel Jahr hatte das erste Geheimtreffen im Steigenberger stattgefunden, im legendären »Frankfurter Hof«. Das zweite Treffen war im Sommer erfolgt und war für Groß ausreichend großzügig verlaufen. „Ist nur eine kleine Aufmerksamkeit“, hatte der Investor gesagt. Bei der dann folgenden diskreten Begegnung, der bisher letzten,