Im Busch / Kriegsbilder aus dem dt.-franz. Krieg. Gerstäcker Friedrich

Читать онлайн.
Название Im Busch / Kriegsbilder aus dem dt.-franz. Krieg
Автор произведения Gerstäcker Friedrich
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754154243



Скачать книгу

Schaar nahm überdies noch Partei für jede solche, irgendwie von der Polizei bedrängte Persönlichkeit. Was hatten diese jetzt verfolgten armen Teufel anders gethan als Andere: nämlich Alles abgeschüttelt, was sie hielt, um nur so rasch als irgend möglich hinauf in die goldgespickten Berge zu kommen? Das aber war kein Verbrechen, und wo sie deshalb einem Solchen durchhelfen konnten, thaten sie es mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln.

      Noch waren keine acht Tage vergangen, da sah man schon nicht mehr einzelne Trupps hinein in das innere Land ziehen, sondern die Züge der Goldgräber bildeten eine feste, kaum mehr durch Lücken unterbrochene Kette, und die Polizei bekam jetzt eine ganz andere Arbeit: nicht etwa nach einzelnen weggelaufenen Matrosen hatte sie mehr zu suchen, sondern oben in den Minen die Arbeiten zu überwachen, damit der Krone ihr beanspruchtes und, wie sich auswies, außerordentlich einträgliches Recht gewahrt wurde. Und dies Recht bestand in nichts Geringerem, als von jedem Arbeiter eine monatliche Prämie von dreißig Shillingen einzukassiren, für welchen Preis einem Jeden, Fremden wie Einheimischen, gestattet sein sollte, in den Bergen nach edlen Metallen zu graben und das Gefundene als rechtmäßiges, wohlerworbenes Eigenthum zu behalten.

      Daß sie den Schaaren das Gold suchen nicht mehr gewaltsam verbieten konnte, hatte die Regierung bald herausgefühlt. Eine Revolution, die Alles über den Haufen geworfen hätte, wäre das alleinige Resultat einer solchen Maßregel gewesen, denn die Gier nach Gold ließ sich nicht mehr dämmen. /29/

      4.

      Die Familie Pitt.

      Oben in Georgestreet in Sidney stand ein aus dem trefflichen Sandstein jener Gegend massiv und selbst reich ausgeführtes Wohnhaus, das weder Schild noch Firma trug, und einem Privatmann zu gehören schien, hätte nicht dem wieder das geschäftige Leben widersprochen, das in der Form von Mehlsäcken, Kisten, Ballen und Tonnen durch das schmale Hofthor geführt wurde und den Herrn des Hauses, Mr. Pitt, zeigte, wie er eben eine ziemlich bedeutende Waarensendung persönlich beförderte, die hinauf in die Minen gehen sollte.

      Charley Pitt, wie er von seinen Freunden vertraulich genannt wurde, war in der That das Urbild eines ächt australischen Geschäftsmannes und Familienvaters seiner Zeit, und indem wir uns seine innere Häuslicheit betrachten, thun wir einen vollen und fast erschöpfenden Blick in Hunderte von anderen, eben so betriebenen und gehaltenen Häusern.

      Charley Pitt's Vater war als Convict (Sträfling) auf Lebenszeit nach Australien gesandt worden - ein sogenannter lifer, der daheim irgend ein schweres Verbrechen begangen hatte, und es nun hier in einer neuen Welt zu seinem, wie dem Nutzen des beleidigten Staates abbüßen sollte. Da er sich aber gut und fleißig betrug und seinen Aufsehern keinerlei Ursache zur Klage gab, bekam er mit der Zeit sein ticket of leave, d. h. einen Erlaubnißschein oder Paß, mit dem er sich in der Kolonie selbstständig vermieden konnte, und nur eine gewisse Summe abzugeben hatte und stets unter polizeilicher Aufsicht stand.

      Auch hierbei betrug er sich musterhaft, und da er einst in dem Hause, in dem er arbeitete, mit eigener Lebensgefahr den Ueberfall einer Bande verwegener, vielleicht zur Verzweiflung getriebener Bushranger zurückschlagen half, wurde er im Laufe der Zeit begnadigt und ein „freier Colonist".

      Das änderte aber wenig in seinem Leben. Er hatte sich /30/ schon ein paar Jahre vorher mit einem ebenfalls deportirten Mädchen verheirathet, die ihm einen Sohn gebar und dann starb. Pitt oder, wie er allgemein in der Colonie mit seinem Sträflingsspitznamen hieß, Pumpkin arbeitete ruhig weiter, erzog seinen Sohn so gut, wie es die Umstände nur erlaubten, lebte mäßig und wurde ein reicher Mann, der seinen Knaben endlich sogar nach England schicken konnte, um dessen Erziehung dort zu beenden.

      Charles Pitt kehrte nach vier Jahren in die Colonie zurück und brachte nicht allein vortreffliche Zeugnisse, sondern auch sehr vernünftiger Weise gleich eine Frau mit. Dann errichtete er in Sidney, von seinem Vater dabei auf das Liberalste unterstützt, ein Export- und Importgeschäft, und gehörte bald zu den wohlhabendsten und geachtetsten Bürgern der Stadt.

      Der alte Pitt aber hatte sich draußen vor der Stadt, in der Nähe des Leuchtthurms ein kleines, wohnliches Haus gebaut und eine alte Wirthschafterin gemiethet, die ihm dasselbe mit seiner Wirthschaft in Ordnung hielt. Sein Sohn wünschte allerdings, daß er zu ihm zöge und seine letzten Tage nicht so allein da draußen verbrüte, aber der alte Mann, wenn er auch aus den untersten Schichten der Bevölkerung stammte und in seinem ganzen Leben nicht einmal Lesen oder Schreiben gelernt hatte, fühlte heraus, daß er in die herangewachsene Generation nicht passe und jetzt, bei einer Unzahl neuer und freier Einwanderer, der bürgerlichen Stellung seines Sohnes, den er über Alles liebte, schaden könne. Er war deshalb durch nichts zu bewegen, sich persönlich in der Stadt bei ihm sehen zu lassen, und nur Sonntags mußten ihn seine Enkel, selbst als sie schon herangewachsen waren, besuchen, und feierten dann jedesmal in dem Garten an der wundervollen Bai ein kleines Fest.

      Charles Pitt hatte drei Kinder - einen Sohn von jetzt etwa achtundzwanzig Jahren, eine Tochter Pauline von achtzehn und das jüngste Töchterchen von sechs Jahren - zwei Kinder waren ihm gestorben - und lebte in seinen häuslichen und bürgerlichen Verhältnissen so glücklich, wie nur ein Mann mit einem braven Weib, Kindern, die ihm Freude machen, und keinen Sorgen weiter als solchen, die das Geschäft eben /31/ - und nur auch wieder als Würze der ganzen Existenz - mit sich brachten, leben kann.

      Er stand vollkommen unabhängig da, und wenn er in dieser erregten Zeit auch selber nicht von der Alle erfassenden Leidenschaft frei blieb, die durch die plötzliche Entdeckung des Goldes über sie gebracht worden, so trug er ihr doch nur in vernünftiger Weise Rechnung, und zwar in ganz sicherer, ruhiger Speculation, die nicht das Gold in Klumpen in's Haus bringen wollte und es in nur zu vielen Fällen statt dessen gemünzt zur Thür hinaustrug. Er sandte Waaren, wie sie für den augenblicklichen Bedarf der Tausende nöthig waren, die jetzt in den unwirthbaren Busch hinauf strömten, nach Bathurst, wo er schon seit mehreren Jahren ein besonderes Geschäft und vor kurzer Zeit auch seinen Sohn hinauf geschickt hatte, um Manches dort zu ordnen und verschiedene ausstehende kleine Schulden einzukassiren.

      Jetzt war auch die richtige Zeit, das zu thun, denn noch waren die Straßen passirbar; sobald aber die gewöhnlichen in dieser Jahreszeit stets fallenden Regen einsetzten, ließ es sich voraussehen, daß sie von den zahllosen Karren und Fuhrwerken zu einer wahren Schlammbahn verwandelt werden mußten, und der Transport wurde dann, wenn auch nicht unmöglich, doch für Fuhrwerk wie Zugvieh gleich zerstörend.

      Die nothwendigsten Geschäfte waren heute besorgt, das Frachtgut hatte der damit betraute Diener übernommen und abgeführt, und die kleine Familie saß eben beim Luncheon, einer Art zweitem Frühstück, als rasche Schritte laut wurden und gleich darauf ein junger Mann in einem brennend rothen Minerhemde, über dem er eine offene Jacke von englischem Leder trug, ein Paar mächtige Wasserstiefeln an, einen sogenannten californischen Hut in der Hand, die Thür aufriß und in's Zimmer schaute -

      „Nun?" rief er aus, „seh' ich aus wie ein Miner und kann ich jetzt mit Anstand in die Berge rücken?"

      „Mr. Holleck! wahrhaftig!" rief, von ihrem Stuhl aufspringend, Pauline, „ich habe ihn im ersten Augenblick gar nicht erkannt."

      „William in der That," sagte auch der Vater und /32/ schüttelte erstaunt den Kopf, und seine Frau, eine noch wirklich schöne Brünette, wenn auch die Jahre ihr schon ihre Furchen in Wangen und Stirn gegraben, schlug die Hände zusammen. Die kleine Therese aber kletterte von ihrem Stuhl herunter, lief auf den Besuch zu und rief, vor Freuden die kleinen Händchen zusammenklappend:

      „Ach, Onkel William geht in den Wald und holt Gold, und dann bringt er mir auch eine Menge große Stücke zum Spielen mit, nicht wahr?"

      Der junge Mann hob die Kleine vom Boden empor und sich auf den Arm, und dem jungen Mädchen die Hand entgegen streckend, frug er mit etwas herausforderndem Lachen:

      „Nun, gefall' ich Euch so?"

      „Nein," sagte Pauline nach einer kleinen Pause, in der sie den Ankömmling vom Kopf bis zu den Füßen betrachtet hatte und dabei leicht erröthete, „ganz und gar nicht. Sie sehen viel besser in Ihren gewöhnlichen Kleidern aus - viel vernünftiger, denn ich kann mir einmal nicht helfen, es kommt mir immer so vor, als ob die ganze Welt wie wahnsinnig geworden wäre