Hein Bruns: In Bilgen, Bars und Betten. Hein Bruns

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Название Hein Bruns: In Bilgen, Bars und Betten
Автор произведения Hein Bruns
Жанр Языкознание
Серия maritime gelbe Buchreihe
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753193236



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heute ein beliebtes Spielzeug für Kinder. So ist er auf die Plastikbombe gestoßen, heute ein beliebtes Spielzeug für Attentäter und Widerständler. Eigentlich müsste er an sein Mädchen denken, statt an Nasenpopel. Fünfzig Mark hatte Meiler schon nicht mehr. Taxe. Fahrkarte. D-Zug, versteht sich, er sollte ja schnell reisen. Doppelter Zuschlag, weil Fern-D-Zug. Er sollte ja schnell reisen. Die Zuschlagkarten machten schon einen feinen Mann aus ihm, es fährt nicht jedermann mit einem Fern-D-Zug, weiß Gott nicht. Einen feinen Mann, wenn auch die Koffer Pappkoffer sind, pah, was macht das schon? Junge und ältere Mädchen und Frauen, schlanke und dralle, steigen zu. Schnatternd, schnackend, gackernd, lachend, albern kichernd. Toupiert vergrößert. Gehackt vergrößert. Gemalt verschönt. Verkäuferinnen. Büroangestellte. Arbeiterinnen. Die Stadt frisst sie gleich, frisst und schluckt sie gleich, mit all der Farbe auf Gesichtern und Fingern. Mädchen und Frauen, die die Stadt gleich schluckt und die sie abends wieder auswirft, als sei sie ihrer überdrüssig. Keine Sorge aber um die Farbe, denn vor dem großen Auswurf treten der Pinsel und der Farbstift wieder in Tätigkeit. Nur der Glanz der Augen ist geschwächt. Der Glanz des herben Wintermorgens in den Augen der Mädchen, der ist abends stumpf. Den Glanz hat die Stadt behalten. Und den Tribut fordert sie täglich, bis die Augen ganz stumpf sind, so stumpf wie Milchglas. Aber daran haben die Wanze und der Wurm und die Schlange nun wirklich keine Schuld, nein, nein, daran nicht. Aber es gibt noch vielmehr Wanzen und Würmer und Schlangen in der Stadt, nicht nur bei den Reedereien, o nein. Und abends nach dem Auswurf werden die Mädchen und Frauen nicht mehr gackern und kichern und schnacken und schnattern, denn sie sind müde und abgekämpft. Sie haben den Glanz aus ihren Augen verloren, nur die Farbe ist frisch.

      Meiler wird heute noch, heute Nacht noch von einem Schiff gefressen, mit Koffern aus Farbe, Fiber und Pappe. Und doch sind die Gedanken bei Mira, dem Mädchen der vergangenen Tage und Nächte. Dem Mädchen mit den glatten Gliedern. Mist, nicht dran denken. Fernbahnhof. Umsteigebahnhof. Im Wartesaal der unteren Klasse, am bespuckten Tresen, trank Meiler ein paar Glas Bier. Untere Klasse? Aha, es gibt also doch noch Klassen. Er möchte sich wohl besaufen..., denn es stand ein Mädchen allein auf dem zugigen Bahnsteig, und das Tuch war eine große Schneeflocke, und die kleinen Schneeflocken, die richtigen und wirklichen und weißen und nassen, zogen einen wirbelnden Schleier vor des Mädchens Augen. Deswegen möchte er sich besaufen, aber dafür haben „Die“ ihm kein Geld gegeben, dafür nicht.

      Die Arbeitskraft, Personalausweisnummer D 3920206, Melchior Meiler, hat fünfzig Mark bekommen, damit die Arbeitskraft vom Schiff gefressen wird. Die fünfzig Mark müssen doch irgendwie wieder reinkommen, sicher doch. Nein, es wird einem nichts geschenkt. Wieso auch? Besoffen an rohen Holztischen. Mief. Rauch. Schweiß und Füße. Bier und Fuseldunst. Rauch. Bratwurstqualm. Besoffene an rohen Holztischen; denn für Besoffene legt man keine Tischdecken auf. Kellner in schmuddeligen Jacken; denn für diese Gäste braucht man keinen Frack. Schankmädchen, mürrisch und ungefällig, für diese Gäste braucht man kein Lächeln, keine Verbindlichkeiten. Ein Landgewächs steckt sich ungeübt und linkisch eine Zigarette an, zieht daran mit roten Lippen und gelben Zähnen. Stößt den Rauch in den Rauch und in den Schweiß und in den Bratwurstdunst. Verbirgt den Glimmstängel in seinem Handteller... es könnte doch wohl jemand aus dem Dorf hier sein. Zwischen ihren nach einwärts gerichteten Füßen räkelt sich ein blattgrünes Einkaufsnetz, aus dem es beißend und eindringlich herausschreit: HERTIE — HERTIE — HERTIE. Gott ja, das Mädchen will einmal eine Dame sein, und sei es im Wartesaal unterster Klasse, im Wartesaal mit Besoffenen an Holztischen, mit Rauch und Schweiß und Ausdünstungen und Bratwurstqualm. Im Wartesaal unterster Klasse eines Fernbahnhofes. Fünfzig Mark hatte Meiler nicht mehr.

      Meiler schob seine Koffer aus Farbe, Fiber und Pappe in das Abteil des Fernzuges. Und seine Koffer aus Farbe, Fiber und Pappe hob er ins Gepäcknetz. Setzte sich selbst in die erste Ecke des Abteils, gleich links. Saß hineingedrückt, als hätte ihm die Verlegenheit einen Schubs gegeben. Saß, als hätten ihn die mitleidigen Polster herabgezogen und in sich aufgenommen, gnädigst. Saß, als hätten ihn der Rauch und der Schweiß und der Bratwurstdunst hier hineingeraucht, hineingeschweißt in diese vornehme Luft. Und die Luft ist vornehm in einem Abteil der oberen Klasse, stinkvornehm ist die. Die Dame am Fenster ist vornehm. Sie hat sich ihren Pelzmantel lose um die Schultern gehängt und sieht gelangweilt aus dem Fenster. Ihre Koffer im Netz stinken nach Schweinsleder. Aber diese Dame popelt sich nicht in der Nase, weiß Gott nicht, zumindest aber nicht öffentlich, denn die Dame ist vornehm. Und der Herr, Meiler gegenüber, ist auch vornehm. Seine Hosenbeine hat er hochgezogen, und die Bügelfalten sind scharf wie ein Paprikaschnitzel. Ist bestimmt teurer Stoff, aus dem der Anzug geschneidert ist, ein Stoff, worin sich auch Bügelfalten wohl fühlen. Ja, der Herr ist vornehm. Musste Meiler sich da nicht in eine Ecke drücken, in die erste beste, in das mitleidige Polster hinein? Aber er hat doch auch eine Fern-D-Zug-Zuschlagkarte, warum ist er eigentlich nicht vornehm? Ach ja, Entschuldigung, die Koffer aus Farbe, Fiber und Pappe, die machen es wohl, dass er nicht vornehm ist. Ja sicher, die sind das auch, …denn an ihren Koffern sollt ihr sie erkennen. Meiler nahm die Boulevard-Zeitung - und erschrak sich. Er erschrak, weil die Zeitung beim Entfalten raschelte. Nein, er erschrak nicht, weil die Zeitung raschelte, sondern er erschrak vor den Blicken seiner Gegenüber. Wie konnte er auch so unhöflich sein und hier mir einer Zeitung rascheln? Das tut man nicht. Das Rascheln vertreibt nämlich die Vornehmheit. Das Rascheln wirkt zerstörend und zersetzt die Feinheit. Und das Rascheln verjagt Gedanken und könnte das Schweinsleder angreifen, das kann man alles nicht wissen. Das Rascheln könnte die Bügelfalten beleidigen. Außerdem ist das Rascheln proletisch. Bloß nicht wieder rascheln. „Deutscher in der Zelle vergessen!“ „Staatspräsident von Togo ermordet!“ „Genossen unter sich!“ „Sie starb durch einen Brieföffner!“ „Europas riesige Eiszapfen!“ Vorsichtig wieder zusammenfalten, die Zeitung, ja, ja, vorsichtig. Die Schweinslederne rührt sich nicht. Die Bügelfalten zittern nicht. Keine Blickpfeile schwirren. Gut gemacht, alter Knabe, wirst langsam vornehm. Dass ihm nun, nachdem die Zeitungsgeschichte einigermaßen klar gelaufen war, die Blase drückte, das war äußerst unangenehm und auch sicher nicht vornehm. Verfluchter Mist war das nun auch wieder. Die Vornehmen müssen nie, komisch ist das auch. Die sitzen und sitzen und scheinen auf dem Gebiet überhaupt keine Gefühle zu haben. Die sitzen, und er muss - und nötig, so nötig. Kommt von dem verdammten Bier im Wartesaal der unteren Klasse. Er kniff die Beine zusammen und schlug sie - und das ganz sachte, behutsam und geräuschlos - übereinander. Nur die Bügelfalten nicht berühren, bloß das nicht. Er meinte die Bügelfalten gegenüber, Meiler hatte ja keine. So ist das aber auch, wenn man keine Bügelfalten hat, kann man auch nicht vornehm sein, und wenn man Bügelfalten hat, drückt einem auch sicher nicht die Blase. Das wird nächstens anders. Ganz bestimmt. Aber Meiler muss trotzdem, muss nötig. Verfluchter Mist! Schob sich an den Bügelfalten vorbei. Tür ganz leise zur Seite rollen, damit die Schweinslederne nicht aufsieht und tastete sich durch den schaukelnden Gang dahin, wo dransteht: WC. Für Herren und auch für Damen. Hier müsste die Schweinslederne auch hin, wenn sie müsste, und die Bügelfalten auch, wenn sie müssten. Das ist man gut, gibt es doch hier wenigstens keine Klasseneinteilung. Nicht mal eine Trennung der Geschlechter. Aber müssen die überhaupt? Wahr ist das aber auch, zuerst zerstörte er die vornehme Luft mit seinen Koffern, dann raschelte er mit der Zeitung „Sie starb durch einen Brieföffner!“ Und zuletzt drückte auch noch die Blase. Nein, nein, aus Meiler wird wohl nie ein feiner Mann werden. Im Gang, an der Tür zur Einsamkeit und des Wasserfalls stand ein Mädchen und wartete darauf, dass die grausamen schwarzen Buchstaben: BESETZT im Messingfutteral verschwinden... so mit klack. Das Mädchen musste auch. Ist es nun vornehm, zu warten, dass jeder Mann und jede Frau und er sehen, dass das Mädchen muss? Ist es vornehm, zu warten, um die Müssenden an sich vorbeidrängen zu lassen, Auge in Auge fast, um sich selbst dann in Klausur zu begeben? Meiler stellte sich in den mannshohen Ziehharmonikabalg, der immer balgt, stets Wind hat und fortwährend Musik macht, und kam sich vor wie in der Reichsmark-Zeit... Schlangestehen mit Muttern. Klack. BESETZT fällt in den Messingkeller und FREI weist auf eine Erlösung. Eine Dame duftet vorbei. Der Nächste... nein, die Nächste. Meiler ist noch nicht dran. Die Duftende hätte er doch nicht so ansehen dürfen. Klack. BESETZT. Wieso besetzt? Dann müsste es ja eigentlich noch ein Schild geben, für Männer: BESTEHT. Ach nein, das kann auch besetzt heißen, es kommt ganz drauf an. Meiler stand und trat von einem Bein auf das andere. Der Balg der Ziehharmonika schwabbelte hin und her, und die rollenden Räder schlugen stoßenden Takt. Klack. FREI. Die Schlangesteherin