Hein Bruns: In Bilgen, Bars und Betten. Hein Bruns

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Название Hein Bruns: In Bilgen, Bars und Betten
Автор произведения Hein Bruns
Жанр Языкознание
Серия maritime gelbe Buchreihe
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753193236



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der Schiffsbesetzungsordnung wegen? Sollte die Anwesenheit des Ingenieurassistenten Hansen nicht doch ein wenig mit der Arbeit zu tun haben? Möglich wäre das schon. Sicher aber weiß der Assistent Hansen, warum er an Bord ist. Ob der Reeder Balduin Bollage das auch wohl weiß? Doch, der weiß das auch, auf jeden Fall aber wissen es die Inspektoren, die Handlanger und Hilfswilligen des Reeders. Wissen aber wollen sie nicht, dass der Assistent Hansen geschlafen hat, während seiner Wache geschlafen hat. Denn sie sind froh, dass so ein Schiff besetzt ist, so ein alter „Zossen“ (das Wort gebrauchen sie selbst natürlich nicht) laut Schiffsbesatzungsordnung natürlich. Denn nur voll besetzt darf ein Schiff auslaufen, so halten es in der Regel die großen und auch kleinen Reedereien. Bei der Küstenschifffahrt sieht das ganz anders aus. Da sieht es, außer anderen Dingen, bezüglich Schiffsbesetzung verheerend aus. Zum Teil tun sie es auch aus Sparsamkeitsgründen. Und die Inspektoren liegen abends im Bett und beten ein Dankgebet, dass es ihnen gelungen ist, mit Gottes Hilfe den Dampfer X wieder voll zu besetzen. Danken Gott weiter, dass nun der Dampfer X wieder auf See ist. Und draußen, draußen auf See? Was draußen auf See ist, das ist nicht mehr ihre Sache, bis das Schiff zurückkommt, sind wieder einige Monate vergangen. Draußen auf See, die Reibereien und Zerwürfnisse, die müssen sie jetzt selbst lösen. Der Kapitän und seine Mitarbeiter und der Chefingenieur und seine Mitarbeiter. Sie müssen begradigen, ausgleichen, beschwichtigen, klein beigeben. Drohen können sie nicht, mit Entlassung zum Beispiel. Diese Drohungen ziehen nicht, denn Herr Inspektor Seifert würde sagen: „Mein Gott, Herr Kapitän, konnten Sie denn den Mann nicht ein bisschen individuell behandeln?“ Diese Drohungen ziehen sowieso nicht, denn da steht schon der Inspektor Soundso von der Reederei Soundso und buhlt um diesen entlassenen Mann Soundso. Weil er ihn braucht, bitter-bitternötig braucht, damit er ein Schiff besetzen kann, voll besetzen, und damit dieses Schiff auslaufen kann. Das Schiff muss raus, denn das nächste ist schon wieder gemeldet, und auch die Abmusterungsliste, d. h. die Liste, in der verzeichnet ist, wer von der Besatzung abmustern will, von Bord will. Von Ressort Deck gehen 52 Mann, einschließlich II. und III. Offizier. Von Ressort Maschine mustert alles ab, außer Chefingenieur, da gehen der II., der III., der IV., da gehen die Assistenten, die Motorenwärter und Reiniger. Koch, Bäcker, Steward, Messesteward, Messejunge, alle, alle gehen. Sie kommen meistens irgendwie einmal wieder zur Seefahrt zurück. Oftmals ist zuerst das Geld versoffen, verprasst, vertan - und das kann „Hein Seemann“ ganz fix. Oder sie sind von ihren Mädchen satt, und auch die Mädchen sind schnell satt, so der Seemann kein Geld mehr hat. Andere haben mit ihren Eltern Krach gehabt, und es gibt auch welche, die sich mit ihren Ehefrauen erzürnt haben. Sie haben alle irgendwelche Gründe, zur Seefahrt zurückzukehren, genauso, wie sie Gründe hatten, der Seefahrt den Rüchen zu kehren. Sie alle aber werden immer und immer wieder mit lieben Gesichtern, freundlichen Gesichtern aufgenommen. Sie werden gesiezt, und sollten sie auch gerade Schulentlassene sein. Ihnen wird Platz angeboten, wohl auch eine Zigarette, manchmal auch ein Drink. Es soll vorgekommen sein, dass Inspektoren solche „Freundlichkeiten“ aus eigener Tasche bezahlten. Auch so kann man seine Stellung an Land halten, sonst müsste man doch selbst wieder zur See fahren. Jawohl, ein Inspektor muss Einfühlungsvermögen haben, muss etwas von Menschenführung verstehen und muss reden können... auch mit dem so genannten kleinen Mann… und so er das kann, hat er gewonnen. An Bord wird dann gesagt: Der Herr Seifert oder der Herr Wagenfeld, der Herr Wieland, der Herr Onken, das sind feine Kerle, mit denen kann man reden. Jawohl, damit kann man reden und reden, und es wird einem auch mal auf die Schulter gekloppt, so fast kameradschaftlich, das hebt des Seemanns Selbstgefühl und stuft ihn ein in die Klasse der an Land Lebenden. Und Hein Seemann macht noch eine Reise von drei oder vier Monaten, zur Not auch ein bis zwei Jahren - wie es gerade kommt. Ob Hein Seemann das gar nicht merkt, wie er beschissen wird? Was heißt hier beschissen? Er wird ja nicht beschissen, wieso, wer bescheißt ihn denn? Er bekommt seine tarifliche Bezahlung, und wenn er besonders „tüchtig“ ist, wird ihm auch noch Geld über Tarif bezahlt. Nein, so ist der Reeder nun auch nicht, letztlich geht dieses Geld ja von seinem Verdienst ab. Aber heute denkt der Reeder ja sozial. Denkt er sozial?

      Kapitel 8

      Eisschollen poltern, rumoren, stoßen und krawallen gegen die Bordwand. Die Hauptmaschine läuft! So gegen acht Uhr morgens war die Gasölübernahme beendet! Meiler schlief. Schlief so fest, dass er nicht hörte, als das Schiff ablegte. Meiler schlief in reedereigener Wäsche - und er schlief gut darin. Das mit der Wäsche ist wohl auch so selbstverständlich? Wo gibt es in Landbetrieben Bettwäsche, geliefert vom Arbeitgeber? Höchstens für Gastarbeiter. Das Schiff war in See gegangen, mit Meiler, dem neuen „Dritten“, mit dem Schleimigen, dem Alten Fritz, dem Kanarienvogel, den Augenbrauen, der Kugel und den anderen. Die See war ruhig, die Frostfaust hielt sie nieder.

      Sie fuhren, aber sie fuhren ohne Koch nach England. Das ging wohl mal. Und das merkt ja niemand, nur eben der Seemann, das Besatzungsmitglied. Aber was soll das besagen? Ohne Koch geht es für ein paar Tage. Und es gibt keine Instanz, keine deutsche jedenfalls, die ein Schiff aufhalten könnte, das keinen Koch an Bord hat. Wo kämen die Reeder wohl hin… ein Schiff liegen lassen, nur weil kein Koch an Bord ist und nur eben nach England? Lächerlich! Die Besatzung muss sich mal behelfen, für ein paar Tage behelfen. Gott, so ein bisschen Essen zusammenkloppen und zusammenbrauen kann doch der Bäcker, könnte doch jeder Seemann, da liegt doch nichts drin. Der neue Koch wird nach England geschickt. Bums und fertig. Wer will da noch etwas sagen? Sagen? Es kann niemand mehr etwas sagen, sobald das Schiff Deutschland verlassen hat, zumindest kann niemand mehr abmustern. Och, sagen kann man schon etwas, aber nützt es? Damit und davon kann man auch keinen Koch herbeizaubern... und die Maschine dreht sich, dreht sich, und auch die Welle dreht sich, und auch die Schraube dreht sich. Sie dreht sich bis zur Lotsenstation auf der Themse, macht eine kleine Pause und dreht sich dann weiter bis vor die Docks und dreht sich dann weiter bis zum Liegeplatz des Schiffes. Und es kann passieren, dass der neue Koch schon an der Pier steht, und was hätte das Reden und Meckern für einen Zweck gehabt? Köche sind überhaupt bei der christlichen Seefahrt ein Kapitel für sich, ein großes, ganz großes Kapitel für sich. Sie brauchen gar nicht mal so gut kochen zu können, die Hauptsache, sie können verwalten, rationieren, sparen, dann sind sie für den Reeder bares Geld. Köche und Kapitäne sind die Hauptstützen des Reeders. Köche, die verwalten und wirtschaften können, sind bordseitig auch schlecht aus dem Sattel zu heben. Sie können frech sein, faul sein, laut sein, arrogant sein, sie werden gedeckt von den Kapitänen.

      Sie fuhren! Kurs Themse. Bis London sind es wohl etwa vierzig Stunden zu dampfen. Die Nordsee war wohl ein bisschen kabbelig, aber sonst ganz manierlich. Sicht auch gut, mein Liebling, was willst du noch mehr? Der Seemann ist leicht zufrieden, er ist schon froh, wenn das Wetter man einigermaßen ist. Seine Arbeit und seine Wache müssen getan und gegangen werden, ob Sonne scheint oder Orkan orgelt. Hundekalt war es aber, und es fror. Melchior Meiler ging die Hundewache, das ist überall so, die Hundewache ist die Wache des Dritten. Nachts von 24 bis 4 Uhr. Dann wieder acht Stunden Ruhe, und wieder am Tage 12 bis 16 Uhr. Also acht Stunden, aber das auch sonnabends und sonntags und Ostern und Pfingsten, auch Weihnachten sowie an den anderen gesetzlichen Feiertagen. Ist ein Schiff an Sonn- oder Festtagen auf See, bringt das dem Reeder Geld. Ist ein Schiff an Sonn- oder Festtagen im Hafen, kostet das den Reeder Geld. Und es ist selbstverständlich, dass der Reeder mit allen Mitteln versucht, seine Schiffe sonnabends wieder auf Reisen zu schicken. Das erklärt auch, dass die Häfen sonntags fast leer sind. Natürlich ist das nicht immer so einzurichten.

      Meiler stand um 8 Uhr auf und ging in die Messe zum Frühstück. Auf so einem Handelsschiff dieser Größe hat man vier Messen, Räume, in denen die Mahlzeiten eingenommen werden. Die Messen besagen schon, wie weit man bei der Seefahrt von einer klassenlosen Gesellschaft entfernt ist. Die erste Messe ist die größte, und dort essen die wenigsten: Der Kapitän, der Erste Offizier und der Erste Ingenieur. In der zweiten Messe ist es schon weit belebter, dort essen der Zweite und Dritte Offizier und eventuell ein oder zwei Offiziersanwärter (das sind Matrosen, die kurz oder lang die Steuermannsschule besuchen wollen). Weiter nehmen hier die Ingenieure oder Maschinisten, deren sind es noch drei, sowie die Ingenieursassistenten, deren sind es auch drei, der Elektriker und der Funker die Plätze ein. Die nächste Messe ist die Unteroffiziersmesse. Dort sitzen der Bootsmann und der Zimmermann, der Storekeeper und ein oder zwei Schmierer. In der letzten Messe essen die Matrosen, Leichtmatrosen,