Die Zeit Constantins des Großen. Jacob Burckhardt

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Название Die Zeit Constantins des Großen
Автор произведения Jacob Burckhardt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754166970



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      Alles wohl erwogen, wird sich in dieser ausserordentlichen Zeit ein solches Komplott teilweise entschuldigen lassen; es war ein Gericht von nicht ganz Unberufenen, welches hier seinen Spruch tat. Wenn das Reich wieder seine Einheit finden sollte, so musste die Persönlichkeit des Gallienus vom Kampfplatz abtreten, was gutwillig nie geschehen wäre, weil derselbe ohne kaiserliche Genüsse nicht leben konnte. Sodann mochte Claudius den bevorstehenden Goteneinfall, den schrecklichsten jenes Jahrhunderts, nahe voraussehen, und dies war eine Not, die kein Gebot kannte. Abgesehen davon standen, während Gallienus vor Mailand lag, bereits die Alamannen in Italien, deren Überwindung die nächste dringendste Tat des Claudius sein musste, nachdem in der Schlacht bei Pontirolo mit Aureolus rasch aufgeräumt worden war. In der Grabschrift des letztern sagt Claudius, er hätte ihn am Leben gelassen, wenn die Rücksicht auf sein vortreffliches Heer es gestattete Laut Ioh. Antiochenus, welcher wie diese Grabschrift dem Heer einen besondern Ingrimm gegen die Usurpation als solche zuschreibt, hieben die Soldaten den Aureolus, der sich bereits übergeben, in der Nähe des Claudius nieder.. Wir brauchen an der Aufrichtigkeit dieser Worte nicht zu zweifeln.

      Claudius (268–270) konnte die Riesenarbeit der Herstellung des Reiches nur beginnen, und seine Partei in Gallien musste er vorerst im Stiche lassen; aber sein Gotensieg bei Naissus war doch diejenige Tat, welche hauptsächlich der alten Welt das Leben fristete. Seiner sonstigen hohen Regenteneigenschaften konnte das Reich kaum geniessen, weil er schon nach einem Jahre starb; es wäre aber ungerecht, sie zu bezweifeln, weil er das Unglück gehabt hat, in die Hände der Lobredner zu fallen. Seine wahre Lobrede liegt in dem Stolz der illyrischen Reiterei auf die Landsmannschaft mit ihm, in der mutigen Zuversicht zur Gegenwehr gegen die Barbaren, die sein Sieg auch einzelnen schwachen Städten und Provinzialbevölkerungen einflösste. Spanien war bereits von Tetricus abgefallen, um sich ihm in die Arme zu werfen.

      Er hatte einen trefflichen Bruder, Quintillus, den der Senat aus Hochachtung für den Verstorbenen zum Kaiser ernannte. Aber auf dem Sterbebett hatte Claudius selbst vor den versammelten Generälen Zonaras XII, 26. den Aurelian zu seinem Nachfolger designiert, und das Heer hatte ihn sofort anerkannt. Dass Quintillus sich nun alsbald die Adern öffnete, war jenen Zeiten nicht mehr als gemäss.

      Aurelian, aus der Gegend von Belgrad gebürtig, erscheint uns zwar um einen Grad barbarischer als sein Vorgänger Seine Vergnügungen Hist. Aug., Aurel. 50. Seine gemeine Äusserung über Zenobia ib., Firmus 5. Nach Malalas, B. XII hatte er sie auch gemein behandelt., in den wesentlichen Dingen aber des Throns kaum minder würdig. In einem glänzenden Feldzug (272) unterwarf er Zenobia und den Orient, was den Ruf seiner Unwiderstehlichkeit sogleich wunderbar steigerte. Marcellinus, der Statthalter Mesopotamiens, von einem Teile des Heeres zur Usurpation angeregt, machte selber Anzeige bei ihm; den Antiochus, welchen die sinnlosen Palmyrener erhoben, liess Aurelian laufen, nachdem er jene bestraft; den reichen Firmus, Prätendenten Ägyptens, dagegen befahl er als einen Räuber ans Kreuz zu schlagen, wahrscheinlich nur, um nach der Möglichkeit die tiefe, traditionelle Verachtung des Römers gegen den ägyptischen Volkscharakter an den Tag zu legen. Dem Tetricus endlich, welcher sich von seiner falschen Stellung zu den Soldaten unerträglich gedrückt fühlte und in der Schlacht bei Chalons (272) sein eigenes Heer verriet, gab Aurelian ein einträgliches Amt. Rechnet man zu diesen Kämpfen um Herstellung des Reiches noch fortdauernde siegreiche Barbarenkriege, so lässt sich leicht erraten, welche unvergleichliche Kriegsschule die Regierungszeit Aurelians gewährte; die bedeutendsten seiner Nachfolger auf dem Throne haben sich unter ihm und Probus gebildet.

      In weit ungünstigerm Lichte erscheint sein Verhältnis zum Senat, welches uns etwa wie dasjenige des Septimius Severus geschildert wird. Verschwörungen und Unruhen aller Art in der Hauptstadt lässt der Kaiser auch den Senat entgelten, von dessen Mitgliedern mehrere sogar hingerichtet werden Die beschränkteste und vielleicht richtigste Angabe s. bei Zosim. I, 49.. Von welcher Seite man auch die kümmerlichen Aufzeichnungen jener Zeit betrachtet, sie genügen nirgends zu einem sichern Resultat, und wir können nicht sagen, ob Aurelian die eiserne Disziplin des Lagers auch auf das bürgerliche Leben auszudehnen strebte, oder ob der Senat die Zeiten verkannte und mit dem Wiedereroberer des Reiches bei der Beherrschung desselben konkurrieren wollte. Dass Aurelian nicht persönlich grausam war und das Blutvergiessen gerne vermied, beweisen entscheidende Züge aus seinem Leben; auch nannte man ihn nicht den »Mörder«, sondern nur den »Pädagogen des Senates«. Es gehört aber schon eine starke Seele dazu, um in Lagen wie die seinige sich nicht verdüstern zu lassen durch Menschenverachtung und nicht blutgierig zu werden aus eitel Feigheit und Bequemlichkeit. Es scheint schon nichts Leichtes, sich in die Stellung eines jener Imperatoren hineinzudenken; ganz unmöglich aber ist es zu sagen, wie sich auch der gutmütigste Mensch darin auf die Länge benehmen würde. – Von dem Sonnenkultus Aurelians, der vorwiegenden Soldatenreligion dieser letzten heidnischen Zeiten, wird weiterhin die Rede sein müssen.

      Auf einem Feldzuge gegen die Perser wurde Aurelian durch Verschworene aus seiner nächsten Umgebung unweit Byzanz ermordet. Man darf annehmen, dass höchstens einer der angesehenem Generale, Mucapor, bei der Tat beteiligt war; die übrigen waren Leute von der Garde, welchen ein kompromittierter Geheimschreiber, der Bestrafung zu erwarten hatte, durch eine falsche Unterschrift bange zu machen wusste.

      Darauf vereinigen sich die Generale zu folgendem Schreiben an den Senat: »Die glücklichen und tapfern Heere an den Senat und das Volk von Rom. Unser Kaiser Aurelian ist durch Arglist eines Mannes und durch Täuschung Guter und Böser ermordet worden. Ehrwürdige und gebietende Väter! Erhebt ihn unter die Götter und sendet uns einen Kaiser aus Eurer Mitte, einen, den Ihr für würdig haltet. Denn wir wollen nicht leiden, dass jemand von denjenigen, welche geirrt oder wissentlich Böses getan haben, über uns gebiete.«

      Dieser Brief macht allen Beteiligten Ehre, dem so schön gerechtfertigten Aurelian wie dem Senat und den Armeen, in deren Namen hier offenbar wieder die Feldherrn eine Transaktion eingegangen sind Die Ansicht der Hist. Aug., Tac. 2, als hätte die Armee selbst, gegen den Willen der Generale, so gehandelt, verdient kaum eine Widerlegung.. Von einer blossen schönen Aufwallung ist unter Männern, welche dem Verstorbenen hatten die Welt unterwerfen helfen, nicht die Rede.

      Der Senat aber, dessen altgeheiligtes Ansehen hier so über alle Erwartung glänzend anerkannt wurde, wies diese Ehre zurück. Nach Soldatenregierungen, wie die letztvergangenen hatten sein müssen, war die Ernennung eines Kaisers durch den Senat absolut misslich; ausserdem mochte man in Rom berechnen, dass binnen der zwei Monate, welche mit der Überbringung der Anfrage und der Antwort verstreichen konnten, die Stimmung der orientalischen Armee sich von selbst oder durch Intrigen verändert haben dürfte. Allein nun blieb auch das Heer bei seinem Entschlusse; dreimal schrieb man hin und her, bis sich endlich der Senat zur Wahl entschloss. Während dieses halben Jahres blieben alle hohen Beamten an ihren Plätzen; keine Armee wagte der orientalischen zuvorzukommen; auf eine ganz aussergewöhnliche Weise hielt Furcht oder Achtung die bestehenden Gewalten gegenseitig in der Schwebe.

      Wenn uns nach anderthalb Jahrtausenden, bei so höchst mangelhafter Kenntnis der Akten, ein Urteil gestattet wäre, so müssten wir es zwar billigen, dass der Senat jetzt endlich den Kaiser ernannte, er hätte aber einen der berühmtern, am Morde unbeteiligten Generale, wie zum Beispiel Probus, dazu wählen müssen. Statt dessen erhob man einen alten, ehrwürdigen, auch kriegskundigen Senator, Tacitus, und überliess sich dem vollen Ausbruch der Freude über das konstitutionelle Meisterstück. In alle Provinzen ergingen Jubelbriefe darüber, dass der Senat sein altes Recht der Imperatorenwahl wieder besitze; dass er inskünftige Gesetze geben, die Huldigungen von Barbarenfürsten empfangen, über Krieg und Frieden entscheiden werde; die Senatoren schlachteten weisse Opfertiere, gingen in weisser Toga einher und eröffneten in den Hallen ihrer Paläste die Schränke mit den imagines ihrer Vorfahren – während Tacitus selber sein Leben im stillen verloren gab, sein kolossales Vermögen an den Staat schenkte und zur Armee abging. Der Senat hatte ihm die Ernennung seines Bruders Florian zum Konsul aus einer damals rein reglementarischen Grille keck verweigert, und dies Zeichen eines erneuten konstitutionellen Bewusstseins soll den Kaiser sogar gefreut haben, was wir auf sich beruhen lassen.

      Im Orient kämpfte Tacitus mit Glück gegen Goten und Alanen. Aber eine Faktion von Offizieren, verstärkt durch die bedrohten Mörder Aurelians, ermordeten zuerst den strengen Verwandten des Kaisers, Maximin, Kommandanten von Syrien, und dann aus Furcht