Graf Petöfy. Theodor Fontane

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Название Graf Petöfy
Автор произведения Theodor Fontane
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754179338



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Fazit, Addition. Ich bitte dich, von welcher Welt ziehst du den Vorhang! O diese moderne Jugend! Etwas unselig Geschäftliches ist in Sprache, Bilder und Anschauungen eingedrungen. Ein Unglück, daß sich unsere Jugend dem Theater so sehr entfremdet.«

      Feßler lächelte.

      »Sie lächeln, Feßler, und wollen andeuten, alles moderne Weltenunglück, das in Ihren Augen natürlich sehr anders aussieht als in den meinigen, komme von etwas ganz anderem her. Aber glauben Sie mir, die Kirche tut es nicht, und unter allen Umständen läßt sich auf dem ihrem Zepter unterstellten Gebiete jede Stunde gründlich und erfolgreich nachexerzieren. Nur bei der Kunst heißt es: ›Was Hänschen nicht lernte, lernt Hans nimmermehr‹, während es doch zum Fromm- und Christlichwerden eigentlich nie zu spät ist.«

      »Und doch empfiehlt es sich, vor Toresschluß damit anzufangen.«

      Alles lachte, nicht zum wenigsten der alte Graf, der in übermütiger Laune fortfuhr: »Vor Toresschluß sagen Sie, Feßler. Bah, in diesen heiligen Hallen, in denen man die Rache nicht kennt und kaum die Sünde, kann von ›vor Toresschluß‹ überhaupt nie die Rede sein. Ja, Judith. Ein Gefühl, als ob in deinem Salon tagaus, tagein zelebriert werde, kann ich nie loswerden, und daran ist neben anderem die kleine Ambralampe schuld, der ich mich beständig versucht fühle das Lebenslicht auszublasen. Aber sie steht ja direkt unterm Schutz des Gundolskirchenschen Spezialheiligen, und so bin ich mir nie sicher, ob ich sie nicht allen Ernstes als eine halbe Ewige Lampe anzusehen habe.«

      Das Eintreten eines Dieners unterbrach ihn; Couverts wurden gelegt und Gläser gestellt, ohne daß im übrigen die Plätze gewechselt worden wären. Auch eine Zeitung kam, und während Franziska mit dem Pater, Egon aber mit der Tante sprach, tat der alte Graf einen Blick in das Wochenrepertoire.

      »Seh ich recht, man hat den ›Zriny‹ wieder hervorgesucht, beiläufig nicht die schlechteste Wahl. Et voilà mes amis, die Helene Zriny. Aber wissen Sie, meine Gnädigste, daß ich Ihnen ernstlich zürne, mir gerade das verschwiegen zu haben, mir, Ihrem Verehrer und Freunde!«

      »Vielleicht aus Sorge.«

      »Wie das?«

      »Ich bange mich vor der Rolle.«

      »Dann freilich sind Sie verloren. Denn Sie werden dann das nicht treffen, was in dieser Rolle das meiste bedeutet: das Nationale. Sich fürchten ist das Unungrischste von der Welt. Aber Sie werden sich nicht fürchten, und wenn Ihnen doch vielleicht ein paar Anwandlungen kommen, so wird der Elan Ihres Talents groß genug sein, Ihr Temperament zu zwingen und siegreich mit fortzureißen. Oh, daß Sie Magyarin wären!«

      »Ungefähr das Schmeichelhafteste, mein liebes Fräulein«, unterbrach hier lächelnd die Gräfin, »das Ihnen im Hause Petöfy gesagt werden kann. Denn mein Bruder erklärt Sie damit auf halbem Wege für würdig, eine Magyarin zu sein, er würde sonst die Tatsache, daß Sie's nicht sind, nicht so lebhaft beklagen. Und dabei sind Sie mutmaßlich ohne jede Vorstellung von dem Vollgewicht einer solchen Ehrenbezeugung und kennen überhaupt nichts von Ungarn als den Attila unserer Husaren.«

      »O doch, doch; das Fräulein kennt und weiß mehr, viel mehr, und sie soll uns selber sagen, was sie von Ungarn weiß.«

      »Es ist nicht viel und wohl eigentlich zuwenig, wenn ich bedenke, daß ich nun schon ins dritte Jahr eine Wienerin bin, und außerdem hinzurechne, daß Wien, ich möchte sagen, die Vorhalle von Ungarn ist, die Tempelstufe.«

      Der Liguorianer, ein ausgesprochener Steirer, freute sich des kleinen Spottes und Egon kaum minder. Der alte Graf aber gab sich das Ansehen, als nähme er's ernsthaft, und sagte: »Vorhalle, Tempelstufe; davon dürfen unsere Wiener nichts hören, die sich das Herz der Welt bedünken. Im übrigen schuldet uns das Fräulein immer noch ihren Bericht über Ungarn, und ich kann ihr ein Examen rigorosum auf diesen Punkt hin nicht ersparen, schon weil ich recht behalten möchte.«

      »Nun, ich gebe gern, was ich weiß«, entgegnete das Fräulein, »und ich unterscheide deutlich zwei Grade der Erkenntnis: einen romantischen und einen lyrischen. Das sind freilich keine rechten Unterscheidungen, denn die Romantik kann lyrisch und die Lyrik kann romantisch sein; aber ich bitte nichtsdestoweniger, es gelten zu lassen.«

      »O gewiß«, sagte die Gräfin. »Also das Romantische.«

      »Ja, damit fing es an. Es war, als ich noch ein Kind war und auf unserem Kirchplatze, gerade vor unserer Tür, alljährlich zweimal die Jahrmarktsbuden standen: Buden mit Naschwerk und Pfefferkuchen und dazwischen allerlei Bänkelsänger und Leiermänner. Und immer wo solch ein Leiermann stand, stand auch eine buntbemalte Leinewand, auf der eine Geschichte, meist in zwölf Bilderfeldern, abgebildet war. Auf dem ersten Bilde lag die Welt allemal in bürgerlichem Frieden, und eine junge Mutter beugte sich über ein Wiegenkind; auf einem der Mittelbilder trat dann in gebotener dramatischer Steigerung ein schwarzer, bärtiger Mann aus einem Waldesdunkel hervor und an die junge, zufällig des Weges kommende Mutter heran, während auf dem zwölften und letzten Bilde Mal für Mal ein Gerüst aufgeschlagen war mit einem niedrigen Stuhl darauf, und auf eben diesem Stuhle saß der bärtige Mann aus dem Waldesdunkel. Aber jetzt mit verbundenen Augen und einem Rotmantel mit dem Schwerte hinter sich. Und wenn ich dann dem Liede, das dazu gesungen wurde, begierig und angstvoll zuhörte, so vernahm ich jedesmal, das sei geschehen im schönen Ungarlande zwischen Stuhlweißenburg und Debreczin, und ich darf wohl sagen, ich kenne bis diese Stunde keine Stadt und keinen Namen, die mir so mit Schreck und Grusel imprägniert erschienen wie diese beiden.«

      »Ei, das beklag ich, meine Gnädigste«, sagte der Graf. »Da wird unser altes Schloß Arpa darauf verzichten müssen, Sie je in seinen Mauern zu sehen, denn Stuhlweißenburg ist unsere nächste große Stadt.«

      »Oh, ich hab es auch überwunden. Und Ungarn selbst hat es mich überwinden gelehrt.«

      »Mit Hülfe der zweiten Epoche?«

      »Ja, die gnädigste Gräfin erraten es; mit Hülfe der zweiten Epoche. Da war ich in einer Pension. Aber ich war schon fast erwachsen und in Vorbereitung auf das, was aus mir werden sollte. Da hatten wir von Zeit zu Zeit auch Deklamierübungen, und bei solcher Gelegenheit war es, daß eine Mitschülerin von mir ein Lied von Lenau vortrug.«

      »Ah, von Niembsch!«

      »Ich kannte Lenau schon. Er ist überhaupt sehr beliebt in Norddeutschland, und den ›Teich, den regungslosen‹, in den der Mond seine ›bleichen Rosen‹ flicht, kennt jedes dreizehnjährige Mädchen und jubelt in ihrem kleinen Herzen, wenn die berühmte Stelle von dem ›süßen Deingedenken‹ kommt, am meisten aber, wenn sie zum Schluß erfährt, daß dies süße Deingedenken auch ein ›stilles Nachtgebet‹ gewesen sei.«

      Feßler lächelte vor sich hin, und auch die Gräfin, die nach Art aller vornehmen alten Damen eine Vorliebe für kleine Gewagtheiten hatte, war ganz enchantiert und nickte dem Bruder zu.

      »Wohl, ich kannt ihn also«, nahm Franziska wieder das Wort. »Aber speziell das Gedicht, das an jenem Tage deklamiert wurde, das kannt ich nicht, und als es zu Ende war, war ich so hingerissen, daß ich auf die Mitschülerin zustürzte und sie umarmte und küßte, was mir beiläufig einen nachträglichen Verweis zuzog.«

      »Und wie hieß es?«

      »Ich weiß es nicht mehr sicher, aber ich glaube fast, es hieß ›Nach Süden‹. Und vielleicht erkennen Sie's, wenn ich Ihnen den Inhalt in aller Kürze skizziere.«

      »Wir bitten darum.«

      »Es leitet sich mit einer Gewitterschilderung ein, und die halb schon wieder von Licht durchglühten Wolken ziehen südwärts auf Ungarn zu. Der Dichter selbst aber folgt dem Zuge dieser Wolken und begleitet ihr Südwärtsziehen mit dem sehnsuchtsvollen Ausrufe: ›Ja, nach Süden steht mein Herz!‹«

      »Und nun?«

      »Und nun, auf dem dunklen Hintergrunde der Wolken, erwächst ihm fatamorganaartig ein Heimatsbild: ein Waldtal und ein Mühlbach, und an dem rauschenden Mühlbach erblickt er die Geliebte, die, sein eigenes Sehnsuchtsgefühl erwidernd, in Verlangen nach ihm aussieht und Wind und Wellen um ihn befragt. Aber Wind und Wellen ziehen weiter und weigern ihr