Der unheimliche "Erste Diener des Staates". Walter Brendel

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Название Der unheimliche "Erste Diener des Staates"
Автор произведения Walter Brendel
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783754935156



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er bis an sein Lebensende weiter verfolgte. Mit einer Leichtfertigkeit ohnegleichen hoffte er in dieser Zeit auf kriegerische Verwicklungen. Der Krieg war für ihn zunächst nicht mehr als ein Mittel, seinem Küstriner Gefängnis zu entrinnen. Der Kronprinz wollte unter Prinz Eugen kämpfen, um das Große und Ganze des Handwerks" zu erlernen. Etwas später, schon nicht mehr in Küstrin, als im Streit um die polnische Erbfolge erneut ein Krisenherd in Europa entstand, schrieb er wiederum an Grumbkow: „Gott weiß, ob wir Krieg bekommen oder nicht, aber ich wünschte es sicherlich, um aus der schlimmen Lage herauszukommen, in die ich zu geraten fürchte." Wer den Krieg so zur Bewältigung persönlicher Schwierigkeiten herbeisehnte, der verwart ihn auch nicht als Mittel der Politik. Aus der Küstriner Zeit, dem Jahre 1731 stammt der berühmt-berüchtigte „Natzmer-Bnef" Friedrichs der 'sein außenpolitisches Konzept für die Zukunft enthielt. Karl Dubislaw von Natzmer war einer der beiden dem Kronprinzen zur Gesellschaft beigegebenen Kammerjunker. Hille und der mit der Aufsicht über Friedrich beauftragte Geheimrat Gerhard Heinrich von Wolden urteilten über Natzmer gar nicht wohlwollend. Sie bezeichneten ihn als „Plänemacher" und „Ränkeschmieder". Dafür kam der Hang des jungen Mannes zu großen Plänen dem Kronprinzen umso mehr entgegen.

      Ausgehend von der besonderen Lage Brandenburg-Preußens, seinem uneinheitlichen territorialen Status, sprach Friedrich die Absicht aus, seinen Staat fortschreitend zu vergrößern. Abgesehen hatte er es einmal auf Polnisch-Preußen, ein Gebiet, das der König später, im Zuge der ersten Teilung Polens 1772 tatsächlich annektierte. Schon der Neunzehnjährige begründete seine aggressive Absicht wie folgt: „Gehört es einmal zu Preußen, so hat man nicht nur freie Verbindung von Pommern nach Ostpreußen, sondern man hält auch die Polen im Zaum und kann ihnen Gesetze vorschreiben." Des Weiteren reflektierte er auf den damals noch von Schweden verwalteten Teil Pommerns. „Es würde sich sehr hübsch ausnehmen, wenn es mit unserem Besitz vereinigt wäre." Die Annexion dieses Gebietes betrachtete er als Schritt zu einer weiteren Erwerbung, die sich nach Ansicht des Prinzen von selbst darbot, nämlich die Mecklenburgs. „Hier braucht man nur das Erlöschen des Herzoghauses abzuwarten, um das Land ohne weitere Förmlichkeiten einzustecken." Schließlich meldete er wie seine Vorgänger Ansprüche auf Jülich und Berg an. Großsprecherisch verkündete er: „Ich schreite von Land zu Land, von Eroberung zu Eroberung und nehme mir wie Alexander stets neue Welten zu erobern vor." Einzelheiten darüber, wie das geschehen sollte, ersparte sich der Prinz. Ein Jahrzehnt später waren sie aller Welt bekannt. Vorläufig ging es ihm jedoch, wie er Natzmer schrieb, nur um den Nachweis, „dass Preußen sich bei seiner eigenartigen Lage in der politischen Notwendigkeit befindet, die genannten Provinzen zu erwerben." Der Natzmer-Brief enthielt so, von Einzelheiten abgesehen, in den Grundzügen das außenpolitische, auf Aggression und Ländererwerb gerichtete Programm des späteren Königs. Prinz Eugen, dem der Natzmer-Brief durch Seckendorff in die Hände gespielt wurde, sprach seine Besorgnis über die weitschweifenden Ideen des jungen Herrn aus. Obwohl vieles noch flüchtig und nicht genügend überlegt sei, scheine es Friedrich an Lebhaftigkeit und Vernunft nicht zu fehlen, „mithin er umso gefährlicher seinen Nachbarn mit der Zeit werden dürfte".

      Am 26. Februar 1732 durfte Friedrich Küsttin verlassen. Bereits drei Tage später wurde er zum Obersten eines Infanterieregimentes ernannt. Von nun an verbrachte der inzwischen mit der Prinzessin von Bevern verlobte Prinz seine Tage in der Garnison Ruppin. Hier lebte er verhältnismäßig sorglos, kümmerte sich um sein Regiment, beschäftigte sich viel mit Musik, las auch bisweilen, aber immer noch ohne spezielle geistige Interessen und sammelte junge, leichtfertige Leute um sich. Mit einem Wort: Er lebte das standesgemäße Leben eines jungen Fürsten, wenn, auch im Vergleich zu anderen weniger wüst und weniger luxuriös; denn die beschränkten Mittel und der sittenstrenge Vater erlaubten es nicht anders. Unterbrochen wurde dieses Leben nur durch gelegentliche Aufenthalte im düsteren Wusterhausen, in Potsdam oder Berlin, wo es erneut zu unerfreulichen Szenen kam. Erleichtert kehrte er jedes Mal in die Garnison zu seinen Freunden und flüchtigen Liebschaften zurück.

      Der 1733 beginnende Polnische Erbfolgekrieg, der Frankreich und die Habsburger erneut auf den Plan rief, bot Friedrich die lange erhoffte Chance: An der Seite des kaiserlichen Feldherrn Prinz Eugen nahm er 1734 an den Kämpfen um Philippsburg teil. Aber das „Große und Ganze des Handwerks" ließ sich vom alten Prinzen Eugen nicht mehr erlernen. Eine schwere Erkrankung des Königs rief Friedrich auch bald nach Potsdam zurück. Friedrich Wilhelm I. litt, wie später sein Sohn und einige englische Herrscher aus dem Flause Stuart, an einer erblichen Krankheit, die moderne englische Mediziner als Porphyria erkannt haben, eine Stoffwechselstörung, die mit Gicht, Hämorrhöiden, Migräne und Koliken verbunden, nicht selten zu Depressionen und Wahnsinn führte. Von einer Attacke dieser Krankheit wurde Friedrich Wilhelm I. 1734/35 betroffen. Gicht, Wassersucht und Lungenentzündung brachten ihn an den Rand des Todes. Friedrich rechnete damals mit dem Ende des Vaters. Die Briefe, die er und seine Schwester Wilhelmine während dieser Zeit wechselten, waren im höchsten Maße makaber. Als er im August der Schwester die Krankheit des Vaters mitteilte, konnte er sich nicht enthalten festzustellen, dass der Dicke sich wohl hüte, „den Weg allen Fleisches zu gehen". Auf einige mitfühlende Worte der Schwester reagierte er kalt: „Die Nachrichten vom König sind schlecht. Man prophezeit ihm kein langes Leben. Doch ich habe beschlossen, mich über alles, was geschehen mag, zu trösten; denn schließlich bin ich fest überzeugt, dass ich bei seinen Lebzeiten keine guten Tage haben werde, und ich glaube, ich finde hundert Gründe gegen einen, dass auch Du ihn rasch vergessen wirst." Schon machten die Geschwister Pläne für den Fall des Thronwechsels. Und wenn sich auch angesichts des schrecklich leidenden Vaters Töne des Mitgefühls in die Briefe mischten, so überwog doch die Hoffnung auf dessen Tod und die Enttäuschung über jede kleine Besserung. Im Januar 1735 teilte Friedrich Wilhelmine mit, dass sich der König zu seinem „großen Erstaunen" wieder erholt habe. Sie tröstete den Bruder damit, dass dies sicher nicht von Dauer sein werde, und prophezeite ein paar Tage später, dass der König bestimmt einen Rückfall bekomme. „Nur etwas Geduld, liebster Bruder, und meine Prophezeiung wird in Erfüllung gehen." Aber Wilhelmine irrte. Friedrich Wilhelm hatte noch fünf Lebensjahre vor sich.

      1736 siedelte der seit zwei Jahren verheiratete Friedrich mit seiner jungen Frau nach Rheinsberg über, dessen Besitz Friedrich Wilhelm I. für den Sohn erworben hatte. Das unansehnliche Schloss war von dem damals noch jungen Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff umgebaut worden und hatte jene Harmonie und Leichtigkeit erhalten, die wir noch heute bewundern können. Hier sammelte Friedrich erneut einen Kreis von Freunden um sich, die - wie der Hugenotte Charles Etienne Jordan - bereits von anderem Format als seine ehemaligen Ruppiner Gefährten waren. Überhaupt entwickelte der Kronprinz nun tatsächlich wissenschaftliche und philosophische Interessen.

      Zur Philosophie kam Friedrich durch die Lektüre Christian Wolffs, des 1679 in Breslau geborenen Mathematikers und Aufklärers, den Friedrich Wilhelm I. auf Drängen seiner Widersacher 1723 unter Androhung des Stranges aus Halle, wo er an der Universität lehrte, vertrieben hatte.

      Endlich vom Drucke seines Vaters befreit, warf sich Friedrich mit Feuereifer auf das Studium. Schon morgens um 4 Uhr begann er zu lesen, Auszüge anzufertigen, selber zu schreiben und sich im Französischen zu vervollkommnen. Dabei leistete ihm vor allem sein „Sekretär", der schon erwähnte Jordan, gute Dienste, der von seinen Reisen her mit vielen französischen Frühaufklärern persönlich bekannt war. Erst nach Mitternacht endete für den Kronprinzen der Tag. Wie ein „Galeerensträfling" - so sein eigener Ausdruck - las und schrieb er in den Rheinsberger Tagen. Auch wenn trotzdem Zeit für höfische Geselligkeit, für Musik, Theateraufführungen, Maskeraden und für Freundschaft blieb, wird man nicht verkennen können, dass Friedrich in Rheinsberg den Grundstein für seine das ganze Leben prägende geistige Ausrichtung legte. Wie ein Schwamm sog der Kronprinz die französische Kultur in sich auf.

      Hatte Friedrich in Küstrin Grundzüge seiner außenpolitischen Konzeption entwickelt, so begann er sich jetzt unter dem Einfluss der Philosophie seiner Zeit Gedanken über die Innenpolitik und seine Herrschaft überhaupt zu machen. Er tat das in Auseinandersetzung mit einer Schrift des Italieners Niccolö Machiavelli. Dessen Buch „II Principe" (Der Fürst), 1532 erschienen, stieß auf die heftigste Ablehnung des Kronprinzen.

      Friedrichs „Antimachiavell" war eines der vielen gegen den großen Florentiner gerichteten Pamphlete. Man hätte es sicher vergessen, wäre sein Verfasser nicht