Rätsel im Ballsaal. Historischer Roman. Catherine St.John

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Название Rätsel im Ballsaal. Historischer Roman
Автор произведения Catherine St.John
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754900239



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Herren herbeieilten und förmlich um Miss Settinghursts Tanzkarte bettelten.

      Ein leichtes Lächeln um die Lippen, schlenderte Cecil davon. War er nun plötzlich in der Position, junge (und nicht mehr ganz so junge) Ladys in Mode zu bringen? Er, der eben noch als verfemt galt, weil man ihn verdächtigte, beim Tod seiner Frau die Hand im Spiel gehabt zu haben? Warum war das nun plötzlich verziehen? Oder wussten diese Jünglinge nichts von dem alten Skandal? Hatten sie vor drei Jahren noch die Schulbank gedrückt – in Oxford oder Cambridge doch wenigstens?

      „Was amüsiert dich so, Cecil?“

      Ach, Hertwood!

      „Sebastian.“ Er verneigte sich. „Und Lady Hertwood, wie reizend!“

      „Und, warum schmunzelst du so vergnügt?“

      „Ach, ich habe gerade mit einer Miss Settinghurst getanzt und mich dabei recht gut unterhalten. Offenbar galt sie als Mauerblümchen, warum kann ich auch nicht nachvollziehen – aber kaum hatte ich sie an ihren Platz geleitet, stürzten gleich mehrere Jüngelchen auf sie los, um sie um einen Tanz zu bitten. Anscheinend kann ich jetzt Ballköniginnen küren, aber ich weiß gar nicht, wie ich zu dieser Ehre komme.“

      Lady Hertwood lachte. „Das können wir ja gleich einmal ausprobieren! Wir haben eine junge Verwandte bei uns, Portia Willingham – und in dieser Saison würde sie gerne jemanden finden… sich nicht mehr nur amüsieren. Vielleicht tanzen Sie einmal mit ihr, dann sehen wir ja, was geschieht?“ Sie lächelte nicht ohne Spott zu ihm auf und er musste lachen. „Wo sitzt sie denn?“

      „Im Moment tanzt sie. Die junge Dame in blassgrün, mit den roten Locken und dem elfenbeinfarbenen Spitzenband im Haar. Aber ich glaube, der nächste Tanz ist noch frei. Und sie darf natürlich Walzer tanzen!“

      Cecil lächelte höflich und kräuselte spöttisch einen Mundwinkel. „Es wird mir ein Vergnügen sein!“

      Der Tanz verklang allmählich und die junge Dame mit den kupferroten Locken wurde an ihren Platz zurückgeleitet. Cecil wurde von Lady Hertwood vorgestellt und bat sogleich um die Tanzkarte, die ihm mit höflichem, aber nicht unbedingt begeistertem Lächeln gereicht wurde. „Dann wähle ich doch gleich den Walzer, Miss Willingham!“

      „Gerne, Mylord…“

      Sie tanzte gut, stellte er fest, aber das taten die meisten Debütantinnen – und eine Debütantin war sie, nach dem, was Hertwoods Frau (Melinda, oder?) gesagt hatte, ohnehin nicht mehr.

      „Wie sind Sie denn mit den Hertwoods verwandt, Miss Willingham?“, erkundigte er sich.

      Sie sah fröhlich zu ihm auf. „Meine Zieheltern sind entfernte Onkel und Tante von Sebastian, also Lord Hertwood, und seiner Schwester Cecilia.“

      „Ah ja, ich weiß, wen Sie meinen – Cecilia ist die Frau von Ben de Lys, nicht wahr? Ein guter Freund von mir.“

      „Da haben Sie wirklich einen guten Freund, Mylord! Die Lynets und die Hertwoods sind einfach reizend. Und die Arnebys, bei denen ich lebe, sind ebenfalls immer so gut zu mir gewesen, als sich mein Vater nach dem Tod meiner Mutter nicht imstande gesehen hatte, für mich zu sorgen.“

      „Dann haben sie auch Glück – so gute Freunde!“ Er wirbelte sie herum und sie lachte wieder. „Ich habe Sie während der letzten Saison nie gesehen, glaube ich.“

      „Sie meinen, meine finstere Miene hätte sich Ihnen sicherlich eingeprägt?“

      „Welche finstere Miene? Das ist mir noch gar nicht aufgefallen, Mylord.“

      „Ich bin selbst erstaunt, dass mir dieser Ball so gut gefällt“, gestand er und lächelte etwas schief. „Die Londoner Gesellschaft geht mir normalerweise eher auf die Nerven, dieses ewige Getuschel und Verbreiten von Gerüchten…“

      „Das kann ich gut verstehen – aber was sollten diese Leute wohl sonst tun? Die meisten haben doch keine vernünftige Beschäftigung!“

      „Sie lieben Klatsch also nicht?“ Er zog die Brauen hoch und Portia lächelte reuig: „Nun, zuweilen – aber wir halten uns eher über entsetzliche Ballkleider auf. Nichts Rufschädigendes und nichts Arrogantes!“

      „Was wäre etwas Arrogantes?“

      „Ach, es gibt da einige besonders Vornehme, die sich über Menschen empören müssen, die erst vor drei Generationen geadelt wurden, stellen Sie sich vor, wie entsetzlich! Mit solchem Bürgergewürm muss man im gleichen Ballsaal sitzen! Ich würde manchmal gerne fragen, ob diese Menschen schon einmal etwas Nützliches getan haben – aber dann kann ich wohl jeden Abend zu Hause sitzen. Wenn Sie ebenfalls mit Menschen nichts anfangen können, deren Vorfahren noch nicht von William dem Eroberer geadelt wurden, steht es ihnen natürlich frei, diesen Tanz abzubrechen.“

      Jetzt lachte er schallend. Ob sich die Herrschaften am Rande der Tanzfläche über das Vergnügen des Gattinnenmörders wunderten?

      „Warum sollte ich denn, wenn ich mich so gut amüsiere? Im Übrigen haben Sie mit ihrer Einschätzung der dämlicheren Teile des ton vollkommen recht. Und ließe ich Sie auf der Tanzfläche stehen, wären wir wohl beide der Skandal des Abends – für Leute, die keine Ahnung von wirklichen Skandalen haben!“

      Er wirbelte sie herum.

      Sie schnappte nach Luft und legte dann den Kopf schief: „Als da wären?“

      „Wollen Sie das wirklich wissen?“ Er sah ungläubig auf sie herab und sie schnaubte wenig ladylike. „Würde ich sonst fragen?“

      „Nun gut, aber beklagen Sie sich nicht, wenn ich Sie schockiert habe!“

      „Ich bin nicht so leicht zu schockieren. Also?“

      „Die Zustände im East End. Wie kleine Kinder in manchen Waisenhäusern traktiert werden. Dass kleine Jungen in die Kamine getrieben werden. Wie die Arbeiter in manchen dieser neuen Fabriken behandelt werden. Wie man in diesem Land mit Menschen umspringt, die nicht der Church of England angehören – genügt das?“

      „Fürs erste – ja. Und was tun Sie dagegen?“

      „Was tun Sie dagegen?“

      „Ich besuche einmal die Woche ein Waisenhaus für kleine Mädchen und bringe den Mädchen lesen und schreiben bei. Nein, keine Sorge“, versicherte sie, als sie die steile Falte zwischen seinen dichten dunklen Brauen sah, „Lady Arneby gibt mir immer einen baumlangen, gefährlich aussehenden Diener in Zivil mit, der währenddessen im Waisenhaus auch kleinere Reparaturen ausführt, und eins ihrer Hausmädchen, das sehr gut im Nähen ist. Während die Kleinen mir zeigen, wie gut sie schon ihren Namen schreiben können, flickt sie ihre Kleider, soweit es nötig ist. Jetzt sind Sie an der Reihe!“

      Der Walzer begann nach den letzten jubelnden Höhen auszuklingen und Portia murmelte: „Mist!“

      „Ich bitte um Verzeihung?“

      Sie lächelte reuig. „Das hat sich nur darauf bezogen, dass ich unbedingt hören wollte, was Sie gegen all das Elend unternehmen. Sie haben doch viel mehr Möglichkeiten als ich!“

      „Promenieren wir ein wenig“, schlug er vor. „Ich hatte keinesfalls vor, mich um die Antwort zu drücken.“

      „Gut so!“ Zierlich legte sie die Hand auf den Arm, der ihr galant dargeboten wurde, und fühlte merkwürdig interessiert die harten Muskeln unter dem feinen dunklen Tuch.

      „Dass ich mehr Möglichkeiten habe als eine junge, unverheiratete Frau, ist nicht von der Hand zu weisen. Ich bin ein Mann, habe also mehr Rechte, ich habe einen Titel, der mir einen Platz im House of Lords sichert, ich habe Geld genug, um in Verbesserungen zu investieren… Zunächst kümmere ich mich finanziell und auch organisatorisch um eines der Waisenhäuser von Sir Adam Prentice – kennen Sie ihn? – im East End. Er hat mittlerweile vier davon und holt so viele Jungen