Название | Friedrich Gerstäcker: Blau Wasser |
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Автор произведения | Gerstäcker Friedrich |
Жанр | Языкознание |
Серия | maritime gelbe Buchreihe |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783753198323 |
Irgendein kleiner geringfügiger Umstand, an und für sich nicht von der mindesten Bedeutung, hat oft Einfluss auf unser ganzes Leben und wirft unsere noch so vortrefflich berechneten Pläne über den Haufen. Hätte Bill die Tasche nicht unten im „Logis“ liegen gehabt, wäre alles so gegangen, wie er dachte, und er selber wieder in kurzer Zeit zu Haus gewesen. So, als er im Dunkeln die schmale Treppe herauf und an Deck stieg und nach der Mitte des Fahrzeugs zu gehen wollte, wo das Boot niedergelassen werden sollte, stolperte er über den ausgehobenen Lukendeckel, stürzte, ehe er sich halten konnte, in den Raum hinab, schlug mit dem Kopf an eine Kiste und blieb bewusstlos liegen.
Diese Luke wurde von den Leuten gleich darauf wieder zugelegt, und als das Boot niedergelassen ward, rief man vergebens nach dem plötzlich verschwundenen Passagier. Der rasch und heftig wachsende Wind ließ aber auch kein längeres Zögern zu – der fremde Seemann musste jedenfalls in der Dunkelheit über Bord gefallen sein, wo ihm doch nicht mehr zu helfen war, und die für Waterford bestimmten Passagiere, von denen einer Bill kannte und sich am vorigen Abend noch mit ihm unterhalten hatte, verließen das Schiff in der festen Überzeugung, dass der arme Teufel sein zeitiges Grab in den Wellen gefunden. „DAS FLIEGENDE EICHHORN“, wie die Barke hieß, brasste bald darauf die Segel wieder auf und flog mit trefflichem Wind seine Bahn entlang.
Der Morgen brach an und die Brise artete mit Sonnenaufgang in einen förmlichen Nordost-Sturm aus, der sie mit gereeften Segeln vor dem Wind elf oder zwölf Knoten die Stunde vorwärts jagte. Die Luken sollten wieder dicht gemacht werden, vorher aber brauchte der Koch noch Feuerholz aus dem unteren Raum, und als ein paar von den Leuten hinabstiegen, fanden sie unten den armen Teufel von Passagier noch halb bewusstlos in seinem Blute liegen.
Bill wurde jetzt allerdings gleich an Deck und zur Koje gebracht, und es geschah alles, was die Umstände erlaubten, ihn wieder zu sich zu bringen und zu pflegen; aber ihn jetzt an Land zu setzen war unmöglich. Die See ging hoch und der Kapitän hätte nicht um irgendetwas die kostbare Brise versäumen mögen. Außerdem lag der Fremde in einem heftigen Fieber, und es blieb eben nichts weiter übrig als ihn mitzunehmen – nach New-York.
Erst nach vier oder fünf Tagen, als sie schon lange weit draußen im Atlantischen Ozean und auf blauem Wasser schwammen, erholte sich Bill auch wirklich so weit, Rechenschaft von sich zu geben, wie er in den untern Raum gekommen, fand sich übrigens ungemein rasch in sein Schicksal, meinte, „es hätte einmal nicht anders sein sollen,“ und ließ sich, da der Kapitän gerade knapp an Mannschaft war, mit Vergnügen als Matrose einschreiben, um seine Passage zu verdienen. In New-York fand er ja bald Gelegenheit, wieder nach Hause zurückzukehren, und als er sich die Sache erst eine Weile überlegt hatte, schien es ihm sogar ganz recht zu sein, wieder einmal „ein Deck zu treten“ und Masten und See über und um sich zu sehen, statt der „ewigen langweiligen Dächer und Häuser.“ Das Seeblut stak ihm doch noch viel zu sehr in den Gliedern, es so leicht abzuschütteln, und nach Hause – „kam er noch immer zeitig genug.“
Von seiner Wunde, wie nur erst einmal das Fieber von ihm gewichen, erholte er sich ungemein rasch, und was seine häuslichen Verhältnisse betraf, so machte er sich derentwegen auch nicht die geringsten Sorgen. Jack war jedenfalls indessen lange wieder zu Hause angekommen, und seine Frau – ih nun, die musste sich schon die paar Monate trösten. Was hätte sie denn machen wollen, wenn sie einen Seemann geheiratet; die waren fortwährend auf dem Wasser, und nur dann und wann einmal acht oder vierzehn Tage zu Haus, und deren Frauen hielten es auch aus.
Nur eins genierte ihn im Anfang an Bord, obgleich er sich auch zuletzt daran gewöhnte: dass ihn der Steuermann und die Übrigen immer Jack statt Bill nannten. Zwischen den englischen und teilweise auch amerikanischen Matrosen ist es nämlich ein seit undenklichen Jahren eingeführter Brauch, alle, deren Namen sie nicht gleich wissen und die zum Seemannsstand gehören, Jack zu nennen. Wie man in Österreich jeden Fremden „Herr von“ und in Leipzig „Doktor“ nennt, so sagen die Matrosen untereinander Jack, und da der Name überhaupt so außerordentlich verbreitet ist, treffen sie noch nicht einmal so oft fehl. So lange Bill deshalb in seinem Fieber lag und doch schon, wenn er nicht starb, als zum Schiff gehörig betrachtet wurde, hieß er fortwährend, wenn von ihm geredet wurde, Jack, und zwar der „fremde Jack“, und als er wieder zu sich kam und Bill heißen wollte, ging das nicht mehr. Die Leute hatten sich so daran gewöhnt, und er blieb Jack nach wie vor.
„Hol's der Henker“, rief er dann zuletzt mit dem gewöhnlichen und allbekannten Seemannswitz, der auch vielleicht dem Namen Jack seinen Ursprung verdankt – „es ist mir einerlei, wie ihr mich auch ruft – nur nicht zu spät zum Essen.“
Bill war früher, wie schon vorerwähnt, Matrose mit Leib und Seele gewesen, und es lässt sich denken, dass er sich bald wieder hinein und wohl in seiner altgewohnten Beschäftigung fand. Über die Trennung von seiner Frau hatte er sich schon lange getröstet und lachte sogar manchmal, wenn er daran dachte, wie sie sich wohl den Kopf zerbrechen würde, wo er hingekommen und wann er zurückkehren würde. Am Ende war es noch gar kein so großes Unglück, dass er in das Loch gefallen, und jedenfalls hatte er bei der Gelegenheit doch wieder einmal tüchtig Salzwasser zu schmecken bekommen.
Nach einer Fahrt von neunundvierzig Tagen erreichten sie New-York, und Bill bekam, was er unterwegs verdient, ausgezahlt. In der Erinnerung aber an die freie fröhliche Zeit, die er sonst verlebt, wenn er nach langer Seefahrt wieder zum ersten Mal Land betrat, dachte er in dem Augenblick gar nicht an die Heimat und seine dortigen, ihm noch etwas neuen Pflichten, und jubelte mit den Kameraden Tag und Nacht durch, bis auch – was gar nicht so sehr lange dauerte – der letzte Cent verzehrt und sogar, nach echter Matrosenart, die Jacke versetzt war.
Damit hatte er den Gipfelpunkt seiner jetzigen Glückseligkeit erreicht, denn geborgt wird solchen Leuten nichts. Als aber der Rausch ausgeschlafen war, kratzte er sich doch hinter den Ohren und dachte zum ersten Mal ernstlich an die Rückfahrt, die er sich nun wieder als Matrose verschaffen musste. Umsonst hätte ihn natürlich kein Kapitän als Passagier mit hinübergenommen, hätte er selber als Passagier gehen wollen.
Bill sah sich deshalb rasch wieder nach einem Schiff um, auf dem er ein „birth“ bekommen könne, fand aber zu seinem Schrecken, dass kein einziges passend für ihn im Hafen lag. Vier oder fünf waren allerdings nach England bestimmt, aber schon vollauf mit Mannschaft versehen, andere, von dort erst angekommen, blieben vielleicht vier bis sechs Wochen liegen, ehe sie ihre Fracht gelöscht und neue eingenommen hatten, und so lange konnte er doch unmöglich ohne Geld und in Hemdsärmeln in New-York herumlaufen.
Ein einziges Schiff brauchte Leute und war nach England bestimmt, aber – über Rio Janeiro. Das verzögerte allerdings seine Rückkunft, doch blieb ihm in der Tat keine große Wahl; der Kapitän, der schon segelfertig im Hafen lag, bot ihm Handgeld und Bill – ging an Bord.
Dass er aber so gewissermaßen von zu Hause fortschiffte, wo er doch eine Frau sitzen hatte, war ihm ein unbehagliches Gefühl, und er wollte wenigstens nicht gekannt sein. Der Name Jack, den ihm „DAS FLIEGENDE EICHHORN“ aufgezwungen, passte ihm jetzt insofern, als er inkognito reisen konnte, und er ließ sich als Jack Brown in die Schiffsbücher eintragen. Gern hätte er auch nach Hause geschrieben und die Seinigen wissen lassen, wie es ihm ginge, aber – er konnte nicht schreiben, und einem Fremden mochte er die Geschichte auch nicht erzählen. Überdies drehte sich ja die Sache nur um sechs oder acht Wochen länger, und dann war er ja selber wieder zu Haus.
Das Schiff, eine englische Brig, die „YORKSHIREMAN“, ging schon am nächsten Morgen in See und kreuzte gegen ziemlich widrigen Wind nach Südost hinab. Es dauerte auch wirklich anderthalb Monate, bis sie nur die Passate erreichten, dann aber liefen sie mit Leesegeln und vor dem Wind den Hafen von Rio in vierzehn Tagen an, ankerten in der wundervollen Bai und löschten ihre für Rio mitgebrachte Fracht in kleine, zu dem Zweck längsseits legende „Leichter“.
Der Kapitän der „YORKSHIREMAN“ hatte nun allerdings darauf gerechnet, in Rio augenblicklich und gute Fracht nach England