Название | Stille Nacht |
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Автор произведения | Johann Widmer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783754908129 |
Viele Palästinenser hoffen, dass der Papst uns dem Frieden ein Stück näherbringen werde, Allah möge ihm beistehen…
Ich persönlich aber bezweifle sehr, dass sich irgendwas bewegen werde, wir kennen dieses heuchlerische Spiel nur allzu gut.
Der reiselustige alte Herr aller Christen will doch nur die heiligen Orte seiner Religion besuchen, Bethlehem, El Quds und was weiss ich was noch, und dann heisst es wieder „Addio, liebe Freunde, tut mir leid, dass ich nicht mehr für euch tun kann, als euch meinen Segen spenden“ und dann fliegt er wieder weg.
Und das wär’s dann gewesen.
Und die Israeli bedrohen uns weiterhin mit ihren Panzern und ihren Kampfbombern und ihre Geheimpolizei und ihre Armee wütet mit der alten Brutalität weiter, sogar Frauen und Kinder fallen ihren Kugeln zum Opfer, die Siedler halten weiterhin ihr gestohlenes Land fest in ihren Händen, man stiehlt uns weiterhin unser Wasser, man hält uns weiterhin wie Tiere gefangen und weiterhin sieht die ganze Welt ihrem Treiben tatenlos zu.
Mit Hilfsgeldern will man uns den Mund stopfen, aber mit dem Geld geht es hier wie mit dem Wasser: eine Hälfte verdunstet unter der Sonne, die andere versickert im trockenen Boden und dann weiss niemand, wo es geblieben ist.
Helfen?
Weder Papst noch amerikanischer Präsident noch irgendwer wird uns je helfen. Alles Heuchelei und leere Worte.
Almosen.
Wir wollen keine mitleidige, heuchlerische und erniedrigende Hilfe, wir wollen unser Land zurück, wir wollen eine Heimat, wir wollen Gerechtigkeit, wir wollen…
…der Glaube an Gerechtigkeit ist uns verloren gegangen, das Unrecht regiert hier schon viel zu lange
Unsere einzige Hoffnung ist Allah, ist unser Glaube, der wahre Glaube, der uns unsere Situation ertragen lässt.
Mit eigener Kraft werden wir nie aus diesem Elend herauskommen.
Wenn wir uns wehren und Steine werfen, Steine gegen Panzer, wird scharf geschossen, wenn die Hamas in Gaza selbst gebaute Raketen abfeuert, voller Wut, ins Nichts hinaus, kommen Kampfhelikopter und jagen unsere Jungen wie Hasen, wenn ein Attentäter eine Bombe zündet, so wird sein Haus gesprengt, seine Familie vertrieben …
Wir sind ohnmächtig, wehrlos, dem Feind auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, wir liegen am Boden und die Welt schaut weg. Ob auch Allah wegschaut?
In scha’Allah
Aissa, ein Jude und der Prophet der Christen soll gesagt haben: «Liebet eure Feinde». Das klingt so schön und verdammt edel aber nicht einmal die Christen können es. Da sind die Juden mit ihrem «Auge um Auge …»der Wirklichkeit näher.
Oh Ahmed, mein liebster Bruder, könnte ich doch nur hier weg, hinaus aus diesem Elend und dieser demütigenden Situation. Was würde ich nicht alles tun, um zu dir zu fliegen, in jenes ferne Land Deutschland, das du uns in so vielen schönen Farben schilderst.
Aber ich weiss, dass ich, unfreie Palästinenserin, von den Israeli keine Ausreiseerlaubnis bekommen würde.
Und die Deutschen sind ja wohl auch nicht bereit uns alle aufzunehmen. Vielleicht befürchten sie, dass wir mit ihnen umgehen würden wie die Israelis mit uns.
Lustiger Gedanke!
Lassen wir ihn.
Es könnte auch das Gegenteil eintreten.
Wie schön du über das bevorstehende grosse Fest der Christen berichtest, welches hier leider nicht nur Freude für uns bedeutet, wie du dir ja vorstellen kannst.
Mein lieber Bruder, versuche bitte das, was ich dir nun hier schreibe, mit Ruhe aufzunehmen, spare deinen Hass für unsere wirklichen Feinde.
Ich muss dir nämlich leider die traurige Nachricht übermitteln, dass unsere beiden Brüder gestern bei einer Razzia der Juden verhaftet und in Sicherheitshaft genommen wurden, Es sei nur aus Gründen der Sicherheit, bis der ganze Spektakel des Papstbesuches vorüber sei, behaupten die Israeli, aber du weisst ja, was ihr Wort uns Arabern gegenüber gilt.
Allah möge ihnen helfen, dass sie je wieder freikommen!
Mein lieber Bruder, bitte, vergiss uns nicht.
Allah sei bei dir.
Ich schicke dir die liebsten Grüsse und Segenswünsche deiner ganzen Familie, der Oma Umm’ Mohammed, deiner Mutter Leila, deiner Tante …
Komm Herr Jesus sei unser Gast
In unserer Familie herrschte der eigenartige Brauch, dass man bei Tisch vor dem Essen immer ein überzähliges Gedeck hinlegte.
«Für den fremden Gast», oder auch «Für den Herrn Jesus», wie es hiess, was mich als Kind sehr beeindruckte, mir aber irgendwie keinen Sinn machte, obschon sich immer wieder Gäste einfanden, die von Mutters grossherzigen Gastfreundschaft wussten und sie ausnutzten.
Ich betrachtete sie nie als Jesusersatz, diese zerlumpte, verlauste Gesellschaft von Mitessern und ich missgönnte ihnen manchen Bissen, wenn ich nach dem Essen noch hungrig vom Tisch ging.
Meine Mutter erklärte es als ein Gedenken an all jene, die irgendwo auf der Welt Hunger litten und von denen gab es damals reichlich, es war ja Krieg, solange ich mich erinnern konnte. Aber ich fand dann, dass ein leerer Teller bei uns, niemanden in den Kriegsgebieten satt mache und unsere Parasiten liess ich nicht mit dem Herrn Jesu vergleichen.
Meine Tante Frieda, eine sehr weise und fromme alte Frau erzählte mir, dass Jesus manchmal auf Erden wandle, um zu schauen, ob alle Menschen hilfreich und gut seien.
So konnte es vorkommen, dass er als Bettler verkleidet um die Mittagszeit an die Türe klopfe und um ein Stück Brot bitte. Nun komme es drauf an, ob wir ihn hereinbäten und ihn am Ehrenplatz bewirteten, oder ob wir ihn wegschickten.
Im ersten Fall konnten wir mit einer Belohnung rechnen, im andern Fall mit einer Strafe.
Sie erzählte dann vom reichen Bauern, der den Herrn vom Hof gejagt hatte und kurze Zeit später sei sein Hof niedergebrannt.
Ich fand es sei ihm recht geschehen, aber wie wurden die Armen belohnt, die ihre Suppe mit ihm geteilt hatten?
Mit Friedas Antwort war ich nie zufrieden.
Es handelte sich um eine Art von Tribünenplatz im Jenseits und vielleicht noch ein zufriedenes Leben im Diesseits aber keinen schnöden Mammon, keine materiellen Güter.
Da wir zweifellos im Dorf zur ärmeren Schicht zählten, wäre es mir lieber gewesen, wir hätten einen schönen Bauernhof bekommen oder Mutter hätte bei der Landeslotterie das grosse Los gezogen, oder mein Vater wäre Arzt oder Lehrer gewesen, statt Bauarbeiter.
Dabei liess ich den leeren Teller nie aus den Augen.
Vielleicht irrte sich da die fromme Tante Frieda und Jesus war ein spendabler Gott.
Um es gleich zu sagen, Jesus war nie unser Gast, aber manche Hausierer wussten es so eizurichten, dass sie genau zur Mittagszeit an unsere Türe klopften und keiner wurde weggejagt, selbst wenn das Essen nur knapp für alle reichte.
In «gewissen Kreisen» wusste man offenbar Bescheid über unsern «Jesusteller».
Mit der Zeit gab es sogar so etwas wie Stammgäste (ich nannte sie «Mitesser»).
Die Frau Schnalke zum Beispiel, eine Hausiererin, die ass, (die frass) wie ein Ferkel.
Ein Stück ihrer Unterlippe war gelähmt und so kam von jedem Bissen, den sie gierig in den Mund stopfte, ein Teil wieder links unten raus.
Schlimm war es mit der Suppe.
Mich faszinierte die ganze Szene. Das war ein ekliges Schmatzen und Spritzen und wenn sie dann auch noch