Doomscroll. Volker Fundovski

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Название Doomscroll
Автор произведения Volker Fundovski
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754175965



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der das alte Wirtschaftssystem weiterhin stütze und dabei gleichzeitig in ein neues Betriebssystem überführe, somit festige und weiter ausbaue, wodurch demokratische Prozesse immer weiter zurückgedrängt und folglich in unerreichbar nostalgische Ferne entrücken würden. Und wir alle nahmen stillschweigend daran Teil. Nutzen verschaffe das nur Wenigen.

      Was sich während eines langen emanzipatorischen Prozess aus der Mangel des Zentralismus gelöst hatte, folgte nun wieder dem Aufschrei nach bundeseinheitlichen Regelungen der Maßnahmen zur Bewältigung der Krise. Selbst Föderalismus und Pluralismus schienen in Anbetracht der Erwartung nach vereinfachten Regelungen nichts als leidtragende Auslaufmodelle zu sein. Das Verlangen nach einer starken einheitlichen Schaltzentrale wurde deutlich formuliert. Zentrale Einheiten für zerfaserte Wertvorstellungen. Neue Brüderlichkeit, neue Währung, eine Schalte, neue Herausforderungen.

      Worin lag für Gandalf die neue Herausforderung? Setzte er insgeheim auf den einzuleitenden Zusammenbruch des Bestehenden, auf den beschleunigten Zerfall und Niedergang kulturindustrieller Machtstrukturen, oder sah er es tatsächlich als seine Pflicht, den Menschen eine Brücke zu errichten, den Übergang in ein neues Zeitlalter in Milde einzuleiten, indem er eine Stätte der Genesung und Besinnung erschuf, die aufzusuchen und zu unterstützen vielen Menschen Hoffnung und Glauben spenden würde ohne den Zusammensturz, den Bürgerkrieg und somit den Bruch mit der Geschichte durch fehlgeleitete Energien zu riskieren. War es denn nötig, die Zerstörung der zivilisatorischen Errungenschaften einzuleiten, um Neues Denken zu können. Musste nahezu jeder subtilen Technik abgeschworen werden, um schließlich einem rückwärts gewandten Primitivismus zu frönen, indem jeder Gegenstand, der nicht aus eigener Herstellung stammte, für des Teufels Werkzeug erklärt wurde. War es fürs Erste nicht ausreichend, am Rande zu experimentieren und dabei den alten Bestand weiterhin als sichere Basis zu nützen. Und letztlich war die allesentscheidende Frage doch, was unsere Kinder vom plötzlich eingeforderten Verzicht auf das neue I-Phone, das neue Trampolin, den E-Roller halten würden. Sicher würde es ihnen als ein beachtlicher Mangel erscheinen, würde das allmorgendliche Blubbern des aus der Garage rollenden SUV aufgrund einer sich bei den Eltern manifestierenden Bewusstwerdung für immer verstummen.

      Nur durch spirituelle Übung sowie Disziplin gelingt es führenden Persönlichkeiten, ihrem wenngleich eingeforderten Charisma nicht in Gänze zu unterliegen. Durch Achtsamkeit gelingt es ihnen zuletzt, der eigenen Willkür in Wort und Tat Einhalt zu gewähren. Gandalf bevorzugte deshalb das Modell des transaktionsfreien Wirtschaftens. Auch setzte er auf äußerste Transparenz aller direkt abgestimmten Regelungen für ein soziales Miteinander. Subsistenzwirtschaft, die sich, unbeachtet des regulären Marktes, an den Bedürfnissen der Mitglieder orientiert. Folglich war auch das Prinzip der Akkumulation des ökonomischen Potentials durch Arbeitsteilung strikt abzulehnen. Aus Fehlern musste man doch irgendwann einmal lernen.

      War nicht der Föderalismus ein installiertes Zwangsprogramm der alliierten Mächte zur präventiven Eindämmung diktatorischer Tendenzen? Verhindert eine buntgemischte, prächtig aufgestellte Farbpalette Einseitigkeit und Eintönigkeit des Malers? Kann Vielfalt die Einfältigkeit alter Machtstrukturen überwinden? Ist das Bunt wirklich das, was wir wollen, schreien wir doch gleichsam nach bundeseinheitlichen Regelungen im Umgang mit der Krise.

      Gandalf ist der Überzeugung, dass der tief in national geprägten Staaten verwurzelte Faschismus nur durch einen Kunstgriff zu überwinden sei. Und zwar einzig und allein durch die Kraft gelebter Kunst. Nur durch künstlerisches Reflektieren gelange der Mensch auf den lichtdurchfluteten Posten der Erkenntnis, dem Vorhof mitzugestaltender Zukunft. Allein in der Schöpfernatur eines jeden Einzelnen liege die Möglichkeit, der Manipulation und Willkür zu entrinnen. Nur die Kunst - ob nun technisch ausgefeiltes Schaffen oder rein intuitive Lebenskunst - verfüge über die lebensbejahende Energie, die zur Entschlüsselung des ökonomischen Regelwerks und schließlich zu innerer Einkehr und Frieden führen würde. Das klang sehr optimistisch und doch hatte die Kunst jede Krise überlebt. Bestenfalls wurde die Kunst durch die Krise wachgerüttelt, solange sie nicht unmittelbar unterbunden wurde. Die Kunst aber lässt sich nicht gänzlich ausradieren, weder tilgen noch vollständig instrumentalisieren. Durch feinste Kanäle findet sie ihren Weg aus dem Untergrund hinaus in die Welt. Löst sich von der Seele ihres Schöpfers und umspielt mit Leichtigkeit das träge Weltgeschehen. Allein in ihrer spielerisch angelegten Lebensfreude sei der uns ureigene Faschismus zu bezwingen. Im Spiel will er gezähmt, transformiert, in edlere Ströme geleitet und in reinere Sphären gehoben werden. Nur die Kunst erhebe den Mensch aus dem Moloch faschistoidem Eifers. Und sofern man ihr durch Zensur und Benachteiligung die Grundlage entzieht, wird sie sich neu formieren.

      Was sich einst bereits in rüden Durchhalteparolen militanter Patrioten manifestiert hatte, stellen heute die Handlungsunfähigkeitsmantren der neoliberalen Gewinner zur Schau. Sie emigrieren ins geistige Exil ewiger Wellness, den unabhängigsten aller Beauty-Ranch Spa-Bereiche. Sie haben sich alles genommen, indem sie alles nahmen, was andere unter mehr oder weniger rational begründeter Ehrfurcht unberührt gelassen hatten. Ein Tabu nach dem anderen wurde zugunsten der Marktregulation gebrochen und die Zukunft durch das Bemühen jahrzehnte langer Zukunftsforschung noch der Zukunft beraubt. Die Regularien waren ihres Erachtens nach fix. Ihre zulässigen Transparenzen reichen gerade noch heran an die Erkenntnis, das selbst Transparenz ihre Grenzen hat und an den Rändern fasert wie ein alter Pilz. Sie waren gute Verkäufer und Designer, (gar künstlerisch beseelte Schöpfer, daher ihr durchdringender Erfolg in ganzer Linie) die Produkten eine Seele überstülpten, welche sie anderorts ersteigert hatten. Und weiterhin halten sie ihre Pop-up-Philosophien hoch wie einst die 68er ihre Mao-Bibel, kokettieren mit der buddhistischen Leere gleichsam wie mit ihren achieved identities. Selbstbestimmt kapern sie noch die letzten Asselviertel, den letzten Baggerseekiosk und Streichelzoo. Bahnhofskneipe, der Frühschoppen und auch das verruchte Bordell weichen ihrem wertsteigernden Nipes.

      Schauspielerei

      Keiner kannte mich näher. Niemand wusste wer ich war. Weder kannten sie meinen Alltag noch die geringsten Auszüge aus meiner Vita. Da ich stets unterwegs, unsichtbar, überall und nirgendwo gleichzeitig war, die Taktik der Tarnung und des Pirschens, des Ein- sowie Abtauchens, des sich Auflösens und des flexiblen Schauspiels unter jeder mir nur erdenklichen Beeinflussung und Beobachtung beherrschte, fiel es mir nicht sonderlich schwer, ihnen das Bild zu bieten, dass sie von mir brauchten, um sich nicht näher um mich zu scheren. Jedenfalls ging die Taktik auf. Ich galt ihnen wohl unbewusst als Unberührbarer. Zwar jederzeit angreifbar und doch immun, für Tratsch zu wenig Inhalt und Angriffsfläche bietend, dem Dorf zu entfernt um präsent zu sein, tilgte mich die Flur wie ein Gemälde, an dessen Rand sich ein unscheinbarer Fleck festgesetzt hatte. Kurz: Meine Hütte lag außen vor und so gestattete mir dieses abseitige Lebensumfeld in unmerklichem Geschick dem Urteil der Außenwirkung zu entrinnen. Demnach sollte auch niemand mein Verschwinden bemerkt haben. Sicher, mein Auto stand oben am Parkplatz, nicht vor meinem bescheidenen kleinen Miethüttchen. Ein Durchreisender war ich geworden, immer schon gewesen, ein innerer Nomade, der sich hier und da zuweilen festgesetzt, verrannt und durchgeatmet hatte, bevor er wieder weiter zog. Und während ein digitaler Finanzkomplex das Land ausquetschte, trieb ich weiter von Nische zu Nische. Ziellos. Und doch hatte ich mich bis vor kurzem noch der Erwerbswirtschaft angebiedert und rein ideell mit der Subsistenzwirtschaft geliebäugelt.

      Jedes Geschehen verfolgte ich und fand doch stets Kritikpunkte, die mein Fernbleiben rechtfertigten. In direkte Aktion zu treten war fast unmöglich geworden. Ich bleibe verstreut, vereinzelt, tätig auf theoretischen Umwegen. Das zu erkennen ist schmerzlich und diesen Schmerz will der Mensch nicht auf sich nehmen. Den Schmerz, den eine stillschweigende Mittäterschaft in der Seele hervorzurufen vermag. Und unter dem derzeitigen Coronaszenario hatte sich dieser Schmerz in mir zugespitzt, ja er schrie förmlich nach Gewissensbereinigung, nach der Tat, nach dem Umschwung, dem Umbruch. Muss also erst - laut den radikalen Vertretern des gelebten Primitivismus - alles in sich zusammen brechen, also dessen Sturz beschleunigt und begünstigt werden oder aber ist ein Neuwerden bereits im Prozess des Schwindens, naturgemäß als eine Art evolutionärem Ausgleichs angeboten? Wie auch immer - sollte nicht ein jeder seine Scheinempörung in einen kreativen Akt inneren Aufschwungs transformieren? Was richtet diese chronische Gesellschafts-Ambivalenz für Schäden an der Seele eines jeden Einzelnen an, eines Volkes,