Название | Zwischen Wüste und Meer |
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Автор произведения | Simone Wiechern |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783750257412 |
Doch Sahi stand zu mir wie ein Fels in der Brandung und half mir, genügend Geld aufzubringen, um mich ein letztes Mal auf den weiten Weg nach Wadi Natrun aufzumachen.
Mir graute davor, meinem Mann, der dort in Haft saß, zusätzlichen Schmerz zu bereiten. Aber es ging nicht anders. Ich wollte wieder leben, wieder lachen, wieder eine Zukunft haben und vor allem endlich wieder glücklich sein.
Nicht zuletzt hoffte ich, vielleicht doch diese heile Familie zu finden, nach der ich immer suchte. Diesen starken Verbund, den ich damals in Sahis Familie bewundert hatte, als ich noch Touristin war.
Ich machte mir auf der zehn Stunden andauernden Fahrt sehr viele Gedanken, wie mein Mann es wohl aufnehmen würde, dass ich mich scheiden lassen wollte. Ich hoffte sehr auf sein Verständnis und seine Zustimmung.
Nach ägyptischem Recht konnte auch ich die Scheidung einreichen, aber einfacher war es, wenn Samir mich verstoßen würde. Ich hoffte, dies könne er schriftlich festlegen.
Die Fahrt zog sich endlos durch die mir heute trostlos erscheinende Wüste. Ihre Schönheit konnte ich durch meine angespannte Gemütsverfassung nicht richtig wahrnehmen. Auch als wir den Suezkanal durchquert hatten und ins Delta fuhren, blieben die grünen Landstriche, die in diesem fruchtbaren Gebiet üppig erblühten, von mir unbeachtet. Ich war in dem mir bevorstehenden Ereignis vollkommen gefangen und konnte an nichts anderes denken.
Als wir im Gefängnis eintrafen und ich mich zusammen mit Mohammed, meinem Fahrer und Vertrauten, erkundigte, verbot man mir, einen Stift mit hineinzunehmen. Ebenso war es nicht erlaubt, dass Samir Schriftstücke, in welcher Form auch immer, unterzeichnete.
Ich beriet mich mit Mohammed und wir kamen auf die Idee, hier jemanden als zweiten Zeugen zu suchen, wenn Samir der Scheidung, wie gehofft, zustimmen sollte.
Wie damals, als ich Samir das erste Mal besucht hatte, mussten wir in einem verdreckten Vorhof des Gefängnisses stundenlang ausharren. Endlich wurde der Name meines Mannes aufgerufen. Wir betraten das trostlose Gebäude. Wenigstens wurde ich diesmal nicht von einer übergriffig
en Ägypterin mehr als unangenehm angefasst. Beim Durchsuchen am Eingang zu den Gefangenen hatte sie mir sehr unsanft und mehrfach über meine Brüste gestrichen. Samir saß mit etwa zwanzig anderen Gefangenen am Boden auf einer Decke und wartete auf seinen Besuch. Er bemerkte bereits bei der Begrüßung, dass etwas anders war und sein Gesichtsausdruck wechselte von freudig auf fragend.
Ich war bis zum Zerreißen angespannt und sehr nervös, dazu emotional so befangen, dass ich kaum ein Wort sprechen konnte. Samir befragte mich nach seinen Söhnen und seiner Familie und ich sagte, dass es allen gut ginge und sie wohlauf wären. Dann hielt ich es nicht mehr aus, denn die Besuchszeit war auf eine halbe Stunde beschränkt und ich hatte viel zu besprechen. Mit großer Trauer im Herzen erzählte ich ihm all das, was mir auf der Seele lag:
»Samir, es tut mir unendlich leid, aber ich kann nicht mehr deine Frau sein. Mousa ist tot und als ich seine Frau, seine Schwester und seine Mutter um ihn weinen sah, wusste ich, ich will und kann das nicht mehr mitansehen. Ich will nicht weiterhin unterstützen, was du getan hast. Ich bin jetzt schon so lange unglücklich, deine Kinder haben so oft mit einer traurigen und verzweifelten Mutter leben müssen. Ich kann das einfach nicht mehr.«
Unerwarteterweise nahm Samir meine Hand und tröstete mich:
»Ich kann dich verstehen, ja Ruhi.«
›Ja Ruhi? Meine Seele? Warum, um alles in der Welt, muss er jetzt dieses Wort wählen?‹, entrüstete sich der Verstand.
›Merkt er denn nicht, wie sehr er ihr Herz schon gebrochen hat? Ist es nötig noch einen obendrauf zu setzen?‹, fragte auch das Mitgefühl.
»Keine Berührungen!«, warf der Polizist, der uns erblickt hatte, kalt und rigoros dazwischen.
Meine Kehle war wie zugeschnürt. Ich merkte wie sich mehr und mehr Tränen in meinen Augen sammelten. So sehr ich auch versuchte sie zurückzuhalten, es entstand immer mehr Druck, der sie von tief unten nach oben drängte.
Ich sah den Schmerz in Samirs Augen und mein eigener brach letztlich alle Dämme und die angesammelten Tränen stürzten wie ein lautloser Bach meine Wangen hinab.
Samir wischte mir einige aus dem Gesicht und sofort wurden wir wieder von dem Beamten ermahnt. Ich dachte, ich müsste hier und jetzt sterben, aber es war nur der Traum der starb. Der Traum mit Samir eine glückliche, heile Familie zu haben. Ich lebte noch und Samir lebte auch. Unsere Ehe lag jedoch in einem großen Scherbenhaufen vor uns. Samir willigte ein, mich von ihm zu scheiden. Er fragte, während ich zu Mohammed ging und ihn zu uns holte, einen Mithäftling, ob er kurz der unschönen Zeremonie als Zeuge beiwohnen könnte. Als beide neben uns standen, sprach Samir dreimal die nötigen Worte aus: »Inti talak, inti talak, inti talak!« Du bist geschieden!
Die beiden Zeugen zogen sich wieder zurück und ich befand mich wie in einer Art Trancezustand, unfähig, zu denken. Samir bat mich, mich gut um unsere Kinder zu kümmern und ich versprach es ihm. Die halbe Stunde Besuchszeit war viel zu schnell um und noch benommen stieg ich in den Minibus, der uns nach weiteren zehn Stunden Fahrt zurück nach Dahab bringen sollte. Samir hatte mir sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass er sich seiner Schuld voll bewusst war. Er hatte es mir sehr einfach gemacht und unheimlich viel Verständnis gezeigt. Ich war ihm sehr dankbar dafür, wusste jedoch nicht, wie ich das Gefühlschaos in mir bändigen sollte. Die Fahrt über weinte ich die meiste Zeit und Mohammed, der mich gut kannte, sagte mir immer wieder, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Das gab mir zwar etwas Kraft, konnte den Schmerz jedoch nicht lindern. Ich hatte mit der Scheidung meinen Traum endgültig begraben und das war die schlimmste Beerdigung, die ich bis dahin erlebt hatte.
Ein neues Leben beginnt
»Das ganze Leben ist ein ewiges Wiederanfangen.«
- Hugo von Hofmannsthal -
So sehr die Scheidung von meinem Mann schmerzte, so gut tat nach einiger Zeit die Freiheit. Endlich konnte ich wieder mehr oder weniger tun und lassen, was ich wollte. Ich musste niemandem Rechenschaft ablegen und konnte mich vollkommen frei bewegen. Als Erstes besuchte ich meine Freundin Jessica in Nuweiba, eine gebürtige Schweizerin, die ebenfalls mit einem Beduinen verheiratet war und schon einige Jahre länger als ich im Sinai lebte. Ich verbrachte einige schöne Tage in ihrem Camp am Meer.
Gemeinsam mit ihrem Mann besuchten wir am Ende meines Aufenthalts ihre Schwiegermutter. Sie lebte in einer wunderschönen Oase, in der Nähe von Ain Umm Ahmad. Am frühen Morgen machten wir es uns im Jeep bequem und fuhren schon bald von der asphaltierten Straße in ein Wadi. Jetzt wurde es unbequemer, denn der Geländewagen musste ein gewisses Tempo haben, um nicht im Sand steckenzubleiben. Der Ausblick entschädigte uns für die Mühen. Abwechselnde Steinformationen in allen Farbtönen von beige bis schwarz zogen sich rechts und links an dem ausgetrockneten Flussbett entlang.
Nach kurzer Zeit sahen wir das erste Wasser. Ein schmales Rinnsal sorgte für ein paar kleine Palmen am Berghang. Wir legten eine kurze Rast an einer Stelle ein, an der sich das Wasser sammelte, wuschen uns den Staub aus den Gesichtern und reckten unsere Glieder. Unsere Jungs machten sofort eine Wasserschlacht und wollten erst gar nicht wieder in den Jeep einsteigen. Eine große Tüte Chips, die ich in Nuweiba besorgt hatte, half mir, sie schnell umzustimmen. Weiter ging die Fahrt durch tiefe Schluchten über Stock und Stein. Die Jungs kreischten zwischendurch vor Vergnügen, wenn der Jeep richtig Fahrt aufnahm und dadurch sicher seinen Weg durch den teilweise vorkommenden tiefen und feinen Sand meisterte. Mousallim war ein sehr guter Fahrer.
Es ist ein atemberaubender Anblick, wenn man nach der langen Tour durch die unterschiedlichen Beigetöne plötzlich eine größere Ansammlung leuchtend grüner Palmen erblickt, die in einem herrlichen Kontrast zu den Bergen stehen. Wir hatten unser Ziel erreicht und wurden sehr herzlich begrüßt.
Mousallims Mutter war eine sehr kleine