Название | Die Brücke zur Sonne |
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Автор произведения | Regan Holdridge |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783754170441 |
Von der Haustüre her ertönte ein zaghaftes, dreimaliges Klopfen. Erstaunt wechselten die beiden Mädchen einen Blick.
„Erwartet ihr Besuch?“, fragte Jean.
„Nein, aber vielleicht hat Trey wieder mal was angestellt!“
Neugierig liefen die beiden Mädchen hinaus, ins Treppenhaus. Amy griff nach dem Türknauf, öffnete – und stutzte. Das war nicht Trey, der da unter dem Vorbau stand.
„Hallo!“, sagte die tropfende Gestalt unter dem langen, grauen Wachsmantel. „Entschuldigt bitte die Störung. Ich habe die Ranch zufällig gefunden und…“
Mit großen Augen betrachteten die zwei Freundinnen einige Sekunden lang den jungen Mann, über dessen nasses Gesicht der Regen lief, weil sein Hut so durchtränkt war, dass er das Wasser nicht mehr abzuweisen vermochte. Ein wenig verunsichert ob der Störung stand er vor ihnen, während sich rings um ihn langsam eine Pfütze bildete. Sein Anblick verschlug Amy und Jean zunächst die Sprache. Sie wechselten einen kurzen, abstimmenden Blick. Irgendeine von ihnen musste jetzt die Initiative ergreifen und den Mund aufmachen.
„Hallo! Können wir Ihnen helfen?“ Es klang zögernd. Amy hatte den jungen Mann noch nie zuvor gesehen. „Wollen Sie vielleicht hereinkommen und sich trocknen?“
Der Fremde schob sich den Hut ein Stück aus dem Gesicht und schüttelte sich, wie es ein Hund tat, der die Feuchtigkeit in seinem Fell loswerden wollte. Wasser spritzte nach allen Seiten und er versuchte ein zuversichtliches Lächeln aufzusetzen. Sein goldbraunes, viel zu langes Haar, das sich in wilder Naturkrause unter der Hutkrempe lockte, stand nach allen Himmelsrichtungen ab. An seiner schlanken Gestalt klebten nichts weiter als durchnässte und ausgewaschene Bluejeans, ein T-Shirt und darüber der ausgediente, triefende Ledermantel, der ihm viel zu groß war. In der Hand hielt er einen ausgebeulten, bis an den Rand vollgestopften Rucksack.
Wie ein Landstreicher, durchzuckte es Amy. Ihr Blick wanderte über ihn hinweg und blieb an seinen schmalen, jedoch kantigen Gesichtszügen hängen. Freundliche, haselnussbraune Augen schauten sie an. Er mochte kaum älter sein als Trey, vielleicht dreiundzwanzig, jedoch zu dessen hochgewachsenem, schlankem Körperbau, einen guten halben Kopf kleiner.
„Entschuldigen Sie!“ Hastig nickte er den beiden Mädchen zu. „Mein Name ist Alec Galbraith und ich bin auf der Suche nach Arbeit!“
Wie er so dastand, fast verschüchtert und völlig durchtränkt vom kübelnden Regen, tat er Amy leid. Sie konnte ihn nicht wegschicken, jedenfalls nicht in seinem derzeitigen Zustand. Das würde auch ihr Vater einsehen.
„Sehen Sie den Mann dort hinten, in dem gelben Regenumhang?“ Sie deutete zur Scheune hinüber, wo einige der Cowboys die neuen Stacheldrahtrollen zu kleinen Häufen stapelten. „Das ist unser Vormann. Er kann Ihnen auf jeden Fall erstmal ein Zimmer geben, damit Sie sich aufwärmen können!“
Gottfroh, nicht gleich fortgejagt worden zu sein, strahlte der junge Mann sie an. „Vielen Dank, Miss! Vielen Dank!“ Er trat drei Schritte rückwärts und fiel dabei fast die beiden Stufen zur Veranda hinab. Hochroten Kopfes wandte er sich um und marschierte durch den matschigen Sand, wo die Regentropfen in den Pfützen ihre Kreise zogen, zu Dan hinüber. Lange blickten die beiden Mädchen ihm nach.
„Komischer Kerl“, fand Jean. „Sieht aus, wie ein Zigeuner!“
„Aber nett“, entgegnete Amy nachdenklich. „Sogar sehr nett!“
Verständnislos schüttelte Jean den Kopf. „Wie willst du das beurteilen? Du hast ihn vor zwei Minuten das erste Mal gesehen!“
„Er ist nett! Das weiß ich! Hast du seine Augen nicht bemerkt?“
„Das, was ich bemerkt habe, war ein Haufen lumpiger Klamotten, die außerdem auch noch völlig nass sind“, erwiderte Jean seufzend. Sie verstand nicht, was plötzlich in ihre Freundin gefahren war. „Komm jetzt! Wenn Dan ihn einstellt, können wir ja noch herausfinden, ob du recht hast!“ Jean zupfte an Amys Bluse. „Lass uns weiter üben! Ich singe und du spielst, sonst klappt das nie!“
Nur widerwillig ließ die Rancherstochter sich aus dem Türrahmen zerren, damit Jean diese schließen konnte. Noch immer hing ihr Blick an dem jungen Mann, der inzwischen mit dem Vormann in ein Gespräch verwickelt war. Diese wunderschönen, sanften Augen und dieses Lächeln! Er war nicht unbedingt sonderlich gutaussehend. Seine Nase schien zu schmal, sein Mund ein wenig schief – und dennoch…wenn es nicht sein Aussehen war, was war es dann? Warum spürte sie plötzlich dieses eigenartige Ziehen in ihrer Magengegend? Weshalb konnte sie so fest davon überzeugt sein, ihm vertrauen zu können?
Seine Augen, dachte Amy, es müssen seine Augen sein!
* * *
Längst war der Klinikalltag in Summersdale für Matthew zur Routine geworden. Er genoss die ruhigere, bedachtere Arbeitsweise, wie er sie aus London nicht kannte und er hätte sich daran gewöhnen können, wäre da nicht der ständige Druck gewesen, dem er sich selbst aussetzte. Wenn er zurückkehrte nach England, dann nur, um die Stelle des Chefarztes anzutreten und dazu erwartete die Klinikleitung gute Zeugnisse von ihm, sehr gute sogar. Sie mussten besser sein, als die jedes seiner Mitbewerber und dann – ja, dann würde er im obersten Stock, hinter dem riesigen Schreibtisch sitzen, die jungen Assistenzärzte einweisen, ihnen Ratschläge erteilen und sie zu fähigen, verantwortungsbewussten Medizinern ausbilden.
Diese Woche war Matt zum Schichtdienst eingetragen und somit konnte er vormittags zunächst ausschlafen und hinterher eine Runde joggen gehen, was ihm die normale Arbeitszeit selten vergönnte. Mit bester Laune und schon im blauen Jogginganzug kam er die Treppe der Blockhütte herunter geeilt.
„Rachel! Liebling!“, rief er und beim Anblick des üppig gedeckten Frühstückstisches meldete sich sein Hunger. Aus der Küche klirrte das unsanft ineinandergestellte Geschirr. Matt kümmerte sich nicht weiter darum, ob seine Frau sich nun zu ihm setzen würde oder nicht. Er hatte es sich abgewöhnt, danach zu fragen und sich schlecht gelaunte Antworten einzufangen.
In bester Stimmung griff er nach dem Glas frischgepressten Orangensafts. Da wurde die Klapptür zur Küche mit Schwung aufgetreten und Rachel stolzierte auf hohen Pfennigabsätzen herein. Auf den ersten Blick erkannte Matthew, dass er heute lieber die Zügel annahm und sich am Riemen riss, sollte er nicht wert auf einen Streit legen.
Mit zusammengekniffenen Lippen ließ Rachel sich ihm gegenüber am rechteckigen Tisch nieder und schenkte sich eine Tasse heißen, dampfenden Kaffee ein. Beim Anblick ihres zufrieden lächelnden Mannes, der sich jetzt eines der noch warmen, frisch aus dem Ofen kommenden Brötchen aufschnitt, runzelte sie missmutig die Stirn.
„Nicht wahr – meine hausfraulichen Fähigkeiten haben sich sehr zu deinen Gunsten verbessert, seitdem wir hier sind?“
„Oh ja“, bestätigte Matthew mit vollem Mund. „Ich glaube, wir werden Louisa in Ruhestand schicken, sobald wir wieder zwischen Marmor und Zement leben! Es sei denn, wir legen unser Geld in einer anderen Immobilie an.“ Eigentlich hatte er etwas ganz anderes sagen wollen, es war ihm nur so herausgerutscht.
Mit lautem Scheppern stellte Rachel ihre Kaffeetasse so heftig ab, dass der Inhalt überschwappte und sich über den Tisch ergoss, doch das war ihr gleichgültig. Sie lächelte gereizt.
„So? Wie ich deiner Aussage wohl entnehmen soll, liebäugelst du anscheinend mit Plänen bezüglich örtlicher Veränderungen, wenn du erst einmal in Rente bist?“
„Daran denke ich doch jetzt noch nicht“, widersprach Matthew schnell. „Meine Karriere fängt doch gerade erst an!“
„Wir haben auch im Augenblick wichtigere Dinge zu besprechen.“ Schlagartig wurde Rachel sehr ernst. Mit einer Serviette begann sie, den übergeschwappten Kaffee vom Tisch zu wischen. „Ist dir aufgefallen, dass unsere jüngste Tochter sich völlig von uns zurückgezogen hat?“
„Nein, ehrlich gesagt nicht.“