Die Brücke zur Sonne. Regan Holdridge

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Название Die Brücke zur Sonne
Автор произведения Regan Holdridge
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754170441



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war äußerst erfolgreich verlaufen und hatte seinen Geländewagen auf die erste harte Probe gestellt: Nämlich die, ob der Kofferraum mitsamt dreiviertel der Rücksitzbank zum Verstauen sämtlicher Einkäufe ausreichen würde. Die Hütte entsprach natürlich längst nicht Rachels Ansprüchen und deshalb war ihr Eigentum nun auf fast das Doppelte dessen, was bei ihrer Ankunft vorhanden gewesen war, angewachsen. Außerdem hatte es sich Rachel nicht nehmen lassen, sofort einen Architekten zu engagieren, der sich um einen Umbau, den Anbau eines weiteren Raumes zum Zweck eines begehbaren Kleiderschranks und der Erneuerung des Badezimmers und des Dachs, sowie dem Einbau einer Zentralheizung kümmern würde. Matt beschloss, sich diesbezüglich vollkommen herauszuhalten und einfach Scheuklappen aufzusetzen. Es war schließlich nicht sein Geld, was sie hier unnötig verschwendete. Er war lange genug mit ihr verheiratet, um zu wissen, dass alles Reden nichts nützte, wenn sich Rachel einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte und im Grunde war er ja froh, dass sie immerhin seit dem Vormittag nichts mehr von einem Umzug nach Summersdale hatte verlauten lassen. Wozu sollte er sich also einmischen? Hauptsache, sie ließ ihn in Frieden und er konnte für das kommende Jahr in dieser Abgeschiedenheit leben, wie er es sich immer erträumt hatte. Es war ja sowieso nur für ein Jahr und aus seiner Sicht viel zu kurz. Wäre es nach ihm gegangen, er hätte London vermutlich für immer den Rücken gekehrt, aber ihn fragte niemand und er zählte in dieser Familie ohnehin nur am Rande, ganz zum Schluss, wenn seine Frauen ihre Wünsche befriedigt hatten.

      Dadurch, dass die meisten ihrer Kleider in London hatten zurückbleiben müssen, war auch ein Besuch des teuersten Modegeschäfts in Summersdale unvermeidbar gewesen. Für die bevorstehende Feier war Rachels Wahl auf ein lachsfarbenes Kostüm mit Blazer und knöchellangem, schwingendem Rock gefallen und jetzt stand sie im oberen Stockwerk im Badezimmer vor dem Spiegel, um sich entsprechend herzurichten. Schließlich wollte sie gleich von vorn herein einen guten Eindruck hinterlassen und den hier ansässigen Hinterwäldlern klarmachen, welchen Status sie besaß.

      Matthew rückte seine Fliege zurecht und warf einen bedenklichen Blick auf seine Armbanduhr, die ihm sagte, dass es gleich halb sieben war und sowohl von seiner Frau, als auch von seiner jüngsten Tochter hatte er bisher nichts gehört und gesehen – aber diese Situation war ihm ja hinlänglich bekannt.

      In dem – wie alles in diesem Haus – viel zu kleinen Badezimmer schlüpfte Patty widerwillig in ihr hellblaues, mit Blumendruck verziertes Cocktailkleid, während Rachel ihrem Make-up den letzten Schliff verlieh. Das Schminkkästchen war mit allem gefüllt, was ihr Herz erfreuen konnte: Von Wimperntusche über mindestens zehn verschiedene Lippenstifte, Nagellacke bis hin zu Puder, Rouge und Grundierungen in verschiedenen Ausführungen und Farbnuancen – für jeden Anlass und jedes Kleid das passende. Rachel schminkte sich täglich. Es gab wohl niemanden, der sie je im Morgenmantel und ohne frisiertes Haar gesehen hatte, abgesehen von Matthew und das auch nur deshalb, weil sie als Ehepaar zwangsläufig ein Schlafzimmer miteinander teilten.

      „Dieses Fest wird bestimmt nicht abgesagt werden, nur weil ich nicht dabei bin“, fand Patty und setzte sich mit mürrischer Miene auf den Rand der Badewanne.

      „Vergiss es.“ In aller Seelenruhe zog Rachel ihren Lidstrich nach. „Das wird heute mein Abend! Außerdem ist es doch schade, wenn du nie Gelegenheit findest, das Kleid anzuziehen! Es war zu teuer, um nur im Schrank zu hängen.“ Zufrieden betrachtete sie ihr Spiegelbild. „Sei so gut und kümmere dich darum, dass deine Schwester halbwegs ordentlich aussieht! Ich möchte nicht, dass sie wieder herumläuft, als gehöre sie nicht zur Familie!“

      „Aus ihr wirst du auch mit dem teuersten Kleid keine Schönheit basteln!“

      „Ich habe dir gesagt, was ich von dir erwarte!“, kommandierte Rachel gereizt und machte den Platz vor dem Spiegel frei. „Los! Jetzt frisier’ dir noch die Haare und dann hilf deiner Schwester. Unpünktlichkeit wirft immer ein schlechtes Licht auf die Erziehung eines Menschen.“ Sie machte eine kurze Pause. „Das hat mich schon mein Vater gelehrt – und der musste es wissen!“

      Patty machte sich daran, ihr rotbraunes, leicht welliges Haar ziepend und zwickend mit der Bürste immer wieder durchzukämmen, um es zuletzt mit Haarspray ein wenig zu toupieren.

      „Ich hasse es!“, entfuhr es dem Mädchen plötzlich verzweifelt. Sie kämpfte mit den Tränen. „Ich will zurück nach Hause!“

      „Schon gut. Mach’ dir keine Sorgen.“ Beruhigend streichelte Rachel ihrer Tochter kurz, fast hastig die Wange. „Ich werde auch nie mit diesen Leuten hier zurechtkommen. Du hättest heute in der Stadt dabei sein sollen! Man braucht nur zu sehen, wie sie sich geben und kleiden! Ein verrücktes Volk, diese Amerikaner, zumindest die, die in dieser Gegend hausen und ausgerechnet hierher musste es deinen Vater verschlagen! Ich hatte mir das alles ganz anders vorgestellt…“

      „Ich auch!“, stimmte Patty eifrig zu und dachte an den zurückliegenden Nachmittag und ihre erste Begegnung mit ‚diesem verrückten Volk’.

      Als hätte Rachel ihre Gedanken erraten, erzählte sie kopfschüttelnd: „Du wirst es nicht für möglich halten, aber heute sind uns sechs oder sieben Cowboys entgegengeritten kommen, als wir von der Stadt zurückfuhren. Richtige Cowboys, verstehst du? Wie aus einem Kinofilm! Das heißt, ich glaube sogar, eines davon war ein junges Mädchen. Entsetzlich!“

      Patty schwieg und sie versuchte mit Grauen, sich innerlich auf das bevorstehende Fest einzustellen. Auf einmal beugte Rachel sich zu ihr hinab. Sie blickte ihrer Tochter fest in die Augen – schiefergrau traf auf grün und das Mädchen schluckte. Die Macht und der Wille, die von ihrer Mutter ausgingen, jagten ihr immer wieder großen Respekt, ja, manchmal sogar ein wenig Angst ein. Rachel bekam, was sie wollte – immer und völlig gleich, mit welchen Mitteln sie es erreichte. Verschwörerisch legten sich ihre Hände auf die dünnen Schultern ihrer Tochter. Der Griff wirkte eisern, unnachgiebig, fast herrisch und Patty versteifte sich unwillkürlich.

      „Du darfst dich nicht an den Ansichten deines Vaters stören – er war schon immer ein hoffnungsloser Träumer. Schon, als ich ihn geheiratet habe und deshalb…“ Sie seufzte. „Nun ja, deshalb wollte ihn dein Großvater eigentlich auch nicht in der Familie haben.“ Sie schüttelte den Kopf und verhinderte, dass Patty ihr ins Wort fiel. „Du musst nur ganz klar unsere Meinung vor deinem Vater vertreten – und vor den anderen!“

      „Natürlich!“, versicherte Patty überzeugt.

      „Und“, fuhr Rachel leise fort, „du darfst niemals vergessen, wer du bist! Mein Vater hat mich sein Leben lang eines gelehrt: Was auch immer wir tun, wir müssen uns dabei vollauf bewusst sein, dass wir eine van Haren sind, alter, niederländischer Adel. Man kann ein Filmstar oder ein Millionär werden, aber als van Haren wird man nur geboren und darauf musst du stolz sein! Diese Ehre kann sich niemand erkaufen!“ Sie unterbrach sich und ein eigenartiges, kaltes Lächeln spielte um ihre vollen, roten Lippen. „Daran musst du auch immer denken, mein Mädchen! Du weißt, dass wir van Harens seit Jahrhunderten eine anerkannte, erfolgreiche Familie sind und wir können es noch bis in das nächste Jahrtausend hinein sein!“

      „Ich schwöre dir, dass ich alles dafür tun werde, damit wir es bleiben“, erklärte Patty würdevoll und fühlte sich mit einem Mal unglaublich geehrt. Sie stammte aus einem alten Adelsgeschlecht. Wer konnte da schon mithalten?

      „Es ist dir doch nicht gleichgültig, in welchem Umfeld du ein Jahr deines Lebens verbringst?“, fragte Rachel plötzlich, lauernd.

      Irritiert schüttelte Patty den Kopf. „Nein, natürlich nicht!“

      „Gut.“ Ihre Mutter nickte. „Du kennst das Problem und ich werde eine Möglichkeit finden, es zu lösen und zwar schneller, als es manchen Menschen lieb sein wird!“

      Im grellen Licht der Scheinwerfer des schwarzen Jeeps waren die Unebenheiten auf dem schmalen Sandweg gut zu erkennen, doch zur Sicherheit hielt Matthew das Tempo gedrosselt. Auf der Asphaltstraße, die in linker Richtung nach Silvertown führte, bog er entgegengesetzt ab und trat aufs Gaspedal.

      „Du scheinst ja genau zu wissen, wohin wir fahren müssen“, bemerkte Rachel herausfordernd, wobei sie ihren Lippenstift aus der Handtasche fischte.

      „Es ist nicht