Nicht alle sehen gleich aus. Monica Maier

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Название Nicht alle sehen gleich aus
Автор произведения Monica Maier
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783753191881



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hatte sie ihr einmal erzählt, zu gerne sei sie Mutter und kümmerte sich um ihre Großfamilie. Auch Bücher hätte es damals so gut wie keine gegeben, außer dem Koran. Ihre ehemalige Schönheit sah man ihr immer noch an. Mal trug sie Make-up, mal keins, auf alle Fälle mochte sie die Farbe Rot, das zeigten ihre heute bis zum Boden reichenden Kleider und Tücher. Die beiden Frauen lächelten sich an, sie hatten sich gerne, und von Männern unterdrückt zu sein schienen beide nicht. Ihre Blicken trafen sich in einer für jede anders bedingten Introvertiertheit, was ein Außenstehender mit Schüchternheit verwechseln könnte. Die Schwiegermutter war stolze Berberin und hatte mit Karim sieben Kinder aufgezogen.

      Je liberaler die Eltern, desto lockerer die Regeln, das konnte Annika bezeugen: „Gut, dass ihr Karim nicht so superreligiös erzogen habt, sonst würde er mein paniertes Schweineschnitzel sicher nie essen. Leider liest er nicht gerne, das hat er von dir, Fatima! Nur auf Facebook, das ist aber mehr ein Scrollen“, meinte sie ironisch und rollte scherzhaft die Augen.

      Ihr Mann blickte sie etwas verletzt an: „Wir hatten keine Bücher als Kinder, die gab es einfach nicht! Aber Religion ist Religion, ob christlich oder muslimisch, solange man nicht fanatisch wird, ist es doch egal, welcher man angehört.“

      „Wir sind da, dort vorne ist es! Ich kann die Schafe schon riechen!“, schaltete sich Yassine ein und brachte das Gespräch damit zum Stillstand. Sie parkten und stiegen aus dem Auto. Bei dem Bauern, einem Freund seines Vaters Ali, wartete dieser bereits auf sie. Sohn und Vater bezahlten das Geld für das Tier gemeinsam. Unter Blöken wurde es dann an den Hufen zusammengebunden.

      Annika blickte dem Opfer direkt in die Augen und meinte leise zu Karim: „Wer hat mehr Angst, das Schaf vor dem Tod oder ich vor dem Islam?“ Der grinste sie nur an, als die Männer schon das Tier auf Yassines Pickup hoben, in dessen Haus das große Schlachten, Kochen und Essen ja am Folgetag stattfinden würde. Er wusste nicht, was er darauf sagen konnte, manchmal verstand er die Beziehung seiner Frau zu seiner Religion wirklich nicht, aber er hatte Humor und Selbstironie.

      „Du hast doch keine Angst!“, sagte er.

      Ein Schaf alleine würde natürlich nicht reichen, um genügend Fleisch für alle zu braten. Für ihr eigenes gemeinsames Opfertier, das sie für das Familienfest beisteuerten, mussten sie jetzt 1800 Dirham, also umgerechnet an die 180 Euro hinblättern. Es wurde ebenfalls an allen Vieren zusammengebunden, von ein paar Jungs auf den Transporter gehievt und starrte sie so unverhohlen wie mitleiderregend an.

      Diesmal konnte Annika dem Blick aus reiner Tierliebe nicht standhalten und meinte nur: „Ganz schön teuer bist du!“

      „Ist ja auch schon dick und hat viel gegessen“, konterte der wegen des Erwerbs der beiden Opfertiere dagegen sichtlich erfreute Großvater, der als Witwer mit Sohn Yassine und Schwiegertochter Fatima im gemeinsamen Haushalt zusammenlebte. Mit nun zwei Tieren auf der Ladefläche fuhren sie im Konvoi gemeinsam zurück nach Hause.

      „Zu Zeiten des Opferfests Eid ul-Adha kommt man an einem Schaf nicht vorbei“, postete sie später in einem Café in der Cinémathèque, die sich in der Nähe der Wohnung befand. Dort tranken sie gegen Abend öfter noch einen Nos-Nos oder sahen manchmal auch einen Film. Sie schrieb weiter: „Seltsame Religion, die einen hier mit der Vergangenheit verbindet. Die Schafe werden auf dem flachen Hausdach an den Beinen zusammengebunden und bleiben dort über Nacht liegen, bis sie morgen am Festtag dann von den männlichen Familienmitgliedern geschlachtet werden sollen.“ „Igitt!“, schrieb Simone aus Tarifa zurück, die gerade online war. Sie war nun einmal eine fast militante Vegetarierin, von der sie nichts anderes zu erwarten hatte. Die beiden Freundinnen chatteten etwas hin und her. Keiner der noch folgenden Likes oder Kommentare kam auch nur auf die neugierige Idee, von Annika mehr über das Opferfest zu erfragen. Niemand schien sich für Religion zu interessieren. Mit Karim ging sie hungrig zu Fuß nach Hause. Fatima hatte natürlich nochmal gekocht.

      Ihr Schlafzimmer lag genau unter dem ebenerdigen Hausdach und man hörte es am nächsten Montagmorgen plötzlich früh von dort poltern. Annika konnte deswegen nicht mehr schlafen und stand vor Karim auf, um sich neugierig geworden anzusehen, was da oben vor sich ging. Die zwei Schafe wehrten sich gegen die Fesseln. Yassine war schon da. Er wünschte ihr einen guten Morgen, den sie erwiderte. Sie gingen kurz darauf gemeinsam runter zum Frühstücken. Karim stieß dazu.

      Später erst sollte es so richtig schlimm werden, weil sie wie abgemacht beim Schlachten zuschaute. Sie hielt es nicht lange aus und konnte schon bald nicht mehr hinsehen. Annika zog sich lieber auf ihr Zimmer zurück. Noch einprägsamer wurden die Bilder jedoch, als Karim sie eine Stunde später nochmal überzeugen konnte, bitte jetzt doch mit zu den anderen hoch aufs Dach zu kommen, das Schlimmste sei vorbei. Wäre sie mal lieber nicht mitgegangen. Die Tiere hingen schon kopfüber, und die Köpfe wurden im Feuer geröstet. Sie beschrieb es ihrer 17-jährigen Nachbarin Nele in Berlin, die sich kurz darauf zufällig auf WhatsApp meldete. Annika war froh, die Erlebnisse chattend bei einer Gleichgesinnten in Deutschland loszuwerden. Mitgehangen, mitgefangen.

      „Ich sehe zu, wie mein Schwager mit dem Messer das Schaf, das von unseren Neffen Abderraman und Ibrahim halb gefesselt in einem Schuppen in der Nähe des Hauses landet, den Kopf abschneidet. Das Tier wird nach einem Halsschnitt kopfüber aufgehängt, um es ausbluten zu lassen, also halal, und nachdem die Innereien rausgenommen sind, ziehen sie das Fell ab. Sie nehmen dabei eine Fahrradpumpe, mit der man an irgendeinem Loch, wahrscheinlich dem Bauchnabel, Luft ins Schaf pumpt, um so das Fell leichter vom prallen Körper abzuziehen. Den Kopf rösten sie im Feuer, das riecht schrecklich, sage ich dir! Soll daran erinnern, dass Gott zu Abraham gesagt hat, er soll ihn seinem Sohn abschlagen. Zwei oder drei Tage lang werden wir nun davon essen. Warum muss ich mir das bloß reinziehen? Ich fühle mich hier als halbe Berberin.“

      „Mein Gott, das ist ja wie im Mittelalter. Warum machen die das?“, wollte Nele wissen.

      „Wegen dieser Geschichte mit Abraham und Isaak, kannst du dich ans Alte Testament erinnern? Das mussten wir rauf- und runterlesen im Religionsunterricht, ihr etwa nicht? Und die Muslime haben so was Ähnliches, müsste ich dir jetzt genauer erklären.“

      „Ist schon okay, Religionen interessieren mich echt nicht die Bohne“, schrieb die nicht gläubige 17-Jährige zurück.

      Das Blut an diesem Tag blieb dann am Abend als Bild in Annikas Kopf zurück und vermischte sich beim gemeinsamen Fernsehen im Wohnzimmer gegen 20 Uhr mit einer blutigen Nachricht aus dem Krieg in Syrien. Ihr Gehirn konnte beide Ereignisse nur mit Höchstleistung ihrer Synapsen wieder trennen und vor dem Einschlafen dachte sie später sogar darüber nach, wie gerade so viele um sie herum jetzt doch Vegetarierin zu werden. Sie nahm sich vor, nie wieder so hautnah beim Schlachten zuzugucken, denn es war eindeutig heftiger als erwartet. Sie schrieb kurz vor dem Ausschalten ihres Nachttischlampenlichtes, dessen 40-Watt-Strahlkraft eindeutig zu wünschen übrigließ, noch einmal an Nele. Denn von Karim erwartete sie sich kein allzu großes Verständnis, weil es sich ja um seine gewohnte Kultur handelte. „Heute Nachmittag sind wir auf nicht geteerten Straßen zu einem Verwandten etwas außerhalb von Tanger gegangen, da gab es diese unebenen Wege zwischen den Häusern mit Bodenfurchen, in denen sich Pfützen gebildet haben. Die waren voller Blut. Es war dort menschenleer um diese Uhrzeit, alle haben gefeiert und zu Hause Grillspieße gegessen.“

      „Echt spooky, du Opfer!“, antwortete Nele und glaubte es nicht, dass Annika so cool zusehen konnte. „Ich müsste mich übergeben.“

      „Ich verstehe“, sagte Karim zum Glück, nachdem er sie gebeten hatte, ihm ihren Chat doch mal vorzulesen. Er nahm sie in die Arme: „Daran muss man gewöhnt sein! Vergiss es wieder.“

      „Wie soll ich das so schnell vergessen? Ich wollte bei dir und deiner Familie sein, aber das ist nicht mein Ding, dieses Geschlachte, ich war zu nett und jetzt bekomme ich diese Bilder nicht mehr aus meinem Kopf raus“, antwortete sie leicht genervt.

      „Dann schlafen wir jetzt!“, meinte er und drehte sich von ihr weg zur Seite. Sie schaltete das Licht aus und wünschte ihm gute Nacht.

      Auch am nächsten Morgen zog schon um 7 Uhr wieder der Geruch nach gegrilltem Schaffleisch durchs geöffnete Fenster und weckte sie. Sie schloss das Fenster, duschte und ging dann mit Karim zum