Der Mord bleibt ungesühnt. Walter Brendel

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Название Der Mord bleibt ungesühnt
Автор произведения Walter Brendel
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783966512176



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Herzensgute, Moralische, die von ihren Biografen geradezu verehrt wird.

      Luxemburg aber verstand sich im Kern als Revolutionärin, und da dachte sie durchaus

      in den herrschenden Freund-Feind-Bildern.

      Während der Berliner Jahre blieb sie Mitglied in der Parteiführung der polnischen SDKPiL, die wiederum Teil der Russischen Sozialdemokratie war. Dort lieferten sich Bolschewiki und Menschewiki erbitterte Auseinandersetzungen. Auch Luxemburg beschimpft Parteifreunde als "Feiglinge" oder "Seuche" und wollte Opponenten "zerschlagen" und "vernichten". Über einige ihrer Gegner schrieb sie 1909 in einem Brief, man müsste sie "ohne Umstände erschießen".

      Die Russische Revolution 1905/06 erlebte sie in den Auswirkungen auf Polen mit. Sie war während des Aufruhrs als "Anna Matschke" nach Warschau geeilt und half, die Seiten der Revolutionszeitung "Czerwony Sztandar" zu füllen. Am 4. März 1906 wurde sie verhaftet. Nur durch Bestechung kam sie frei. Nach den Erfahrungen in Warschau stand ihre Überzeugung fest, dass einzig der Massenstreik die Revolution hervorrufen könne, in Russland wie in Deutschland.

      Die Sozialdemokraten unter August Bebel redeten unverdrossen von der Revolution,

      betrieben jedoch die reformerische Veränderung der Gesellschaft. Die SPD sei, so schrieb Kautsky, eben "eine revolutionäre, nicht aber eine Revolution machende Partei".

      Die Historiker nennen den Schwebezustand zwischen Ausgrenzung und Einbeziehung die "negative Integration" der SPD im Kaiserreich. Dieser Prozess fand am 4. August 1914 seine Krönung, als die SPD den Kriegskrediten im Reichstag zustimmte.

      Das war die große, schreckliche Enttäuschung im Leben Rosa Luxemburgs, sie zog

      den Bruch mit der SPD nach sich. Mit Jogiches und anderen linken Kriegsgegnern gründete sie die Gruppe Internationale, aus welcher der Spartakusbund hervorging.

      Drei der vier Kriegsjahre verbrachte sie in Haft: im Königlich-Preußischen Weibergefängnis in Berlin, im posischen Wronke und in Breslau. Die zierliche Frau hielt dem kaiserlichen Ankläger entgegen: "Ein Sozialdemokrat steht zu seinen Taten

      und lacht Ihrer Strafen. Und nun verurteilen Sie mich." Spätestens dieser Auftritt machte sie zur anbetungswürdigen Heldin der Kriegsgegner.

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      Rosa Luxemburg: Die sozialistische Politikerin war Mitbegründerin des Spartakusbundes, der am 30.12.1918 zusammen mit Bremer Linksradikalen die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) gründete. Als die KPD jedoch einen Boykott der Wahlen zur Nationalversammlung beschließt, sind sie und ihr Mitstreiter Karl Liebknecht dagegen

      Im Gefängnis rechnete Luxemburg mit ihrer Partei ab. Sie kanzelte die Genossen als

      "Schildknappen des Imperialismus" ab, als "Haufen organisierter Verwesung" und "Hunde", die den "wohlverdienten Fußtritt bekommen" müssten. Als 1917 parteinterne

      Kriegsgegner die "Unabhängige SPD" (USPD) gründeten, schloss sie sich, wenn auch widerstrebend, mit dem Spartakusbund an.

      Im Gefängnis schrieb sie im Sommer 1918 auch jene Sentenz, die sie unsterblich machte: "Freiheit ist immer nur Freiheit des anders Denkenden." Sie findet sich in einer Schrift über die Russische Revolution, die nach ihrem Tode veröffentlicht wurde.

      Als sie den erhebenden Satz formulierte, der an die idealistischen Grundsätze des frühen Marx anknüpfte, kannte sie den gleichaltrigen Lenin seit knapp zwei Jahrzehnten.

      Er hatte sich jahrelang mit ihrem Freund Jogiches befehdet, dennoch schätzte Luxemburg ihn. "Ich rede gern mit ihm", notierte sie, "er ist gebildet und hat eine gar so hässliche Fratze, die ich gern sehe."

      Politisch waren beide selten einer Meinung. Luxemburg ahnte bereits 1905, dass Lenins Diktatur des Proletariats tatsächlich die "Diktatur einer Handvoll Politiker" bedeuten würde. Sie warf ihm später vor, in Russland mit seiner Terrorherrschaft den

      "Sozialismus zu kompromittieren", und grenzte sich ab: "Freiheit nur für die Anhänger

      der Regierung ist keine Freiheit." Im Herbst 1918 milderte sie allerdings ihr Urteil gegenüber dem russischen Experiment ab. Sie habe ihre Vorbehalte und Bedenken,

      schrieb sie, "in den wichtigsten Fragen fallen lassen".

      Besonders friedlich wäre es in einem Sozialismus à la Luxemburg kaum zugegangen. Sie lehnte das nationale Selbstbestimmungsrecht ab und wollte den neu gegründeten Staaten wie Polen oder Georgien sofort "den Hals umdrehen".

      Dennoch brachte die ursprüngliche Kritik am Leninismus ihr bleibenden Ruhm ein. Wer immer fortan, von Georg Lukács bis Ernst Bloch, von den ungarischen Aufständischen

      1956 bis zu den Reformkommunisten in Prag 1968, einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz anstrebte, berief sich auf Rosa Luxemburg.

      Sie durfte am 9. November 1918 das Breslauer Gefängnis verlassen, fuhr ins revolutionär bewegte Berlin, übernahm die "Rote Fahne", das Blatt des Spartakusbundes, und rief zum "Bürgerkrieg" und zur Errichtung einer Diktatur des Proletariats auf. Den Sozialismus auf Grund eines parlamentarischen Mehrheitsbeschlusses einführen zu wollen, wie es der SPD unter Friedrich Ebert, dem Nachfolger Bebels, vorschwebte, sei "eine lächerliche kleinbürgerliche Illusion". Sie plädierte für eine direkte Herrschaft der Arbeiter- und Soldatenräte, die sich in vielen Städten seit dem Aufstand der Matrosen in Kiel gebildet hatten.

      Ende Dezember 1918 gründeten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht mit ihrer Spartakusgruppe die KPD als revolutionäre deutsche Kraft. Sie schrieb das Programm, wollte Widerstand "mit eiserner Faust und rücksichtloser Energie" brechen.

      Dem politischen Gegner gelte "das Wort: Daumen aufs Auge und Knie auf die Brust".

      Einmal errungene Macht müsse mit "Zähnen und Nägeln" verteidigt werden.

      Trotz dieser Rhetorik gehörte Luxemburg in der KPD zum moderaten Flügel. Ihre Genossen - junge, ungeduldige Männer, die gerade von der Front zurückkehrten - wollten die Macht sofort erobern und riefen zum Putsch vor der Wahl zur Nationalversammlung am 19. Januar auf. Wie immer im Augenblick der Entscheidung war Luxemburg hin- und hergerissen, schloss sich am Ende widerstrebend den Putschisten an.

      Am 5. Januar 1919 geriet eine Demonstration von KPD und USPD außer Kontrolle. Bewaffnete Demonstranten besetzten die Druckereien des "Vorwärts" und des Berliner Tageblatts", der Spartakusaufstand war ausgebrochen. Rosa Luxemburg rief

      das Proletariat in der "Roten Fahne" dazu auf, die Regierung Ebert zu stürzen.

      Friedrich Ebert, der es versäumt hatte, eine loyale republikanische Volkswehr aufzubauen, rief auch rechtsextreme Freikorps um Hilfe. Der grausige Mord machte aus Rosa Luxemburg die Märtyrerin der deutschen November-Revolution.

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      Familienporträt Rosa Luxemburg

      Am 15. Januar 1919 stöberten Mitglieder der Wilmersdorfer Bürgerwehr sie bei Wilhelm Pieck in der Mannheimer Straße auf und verschleppten sie in das Hotel Eden in der Kurfürstenstraße. Dort wartete ein Trupp Soldaten, angeführt von Waldemar Pabst, einem Generalstabsoffizier der Garde-Kavallerie-Schützen-Division. Er ließ sie zu sich bringen, und stellte ihr die Frage: "Sind Sie Frau Rosa Luxemburg?" - "Wenn Sie es sagen", antwortete sie. Um 23.40 Uhr gab Pabst Befehl, die Revolutionärin wegzuschaffen. Den Befehl, sie umzubringen, hatte er schon vorher gegeben.

      Vor dem Hotel schlug sie einer der Soldaten mit dem Gewehrkolben bewusstlos, das Mordkommando warf die Ohnmächtige in den Wagen. Wer ihr wenig später in den Kopf schoss, ist unter Historikern bis heute umstritten. Die Leiche warfen die Mörder in den Landwehrkanal. Sie wurde nach über vier Monaten an einer Berliner Schleuse

      angeschwemmt.

      Den angemessensten Nachruf auf Rosa Luxemburg schrieb ihr Antipode aus der Revisionismus-Debatte, Eduard Bernstein: "An ihr hat der Sozialismus eine hoch begabte Mitstreiterin verloren, die der Republik unschätzbare Dienste hätte leisten