Drachenkind. . . .

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Название Drachenkind
Автор произведения . . .
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742760272



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jeden Morgen auf dem Flur dorthin begleitete. Es waren die schlimmsten drei Weiber der Welt, wie er zu sagen pflegte. Ingrid, Maya und Ina. Allein diese Namen, so langweilig und so traditionell. Er hatte manchmal was gegen Namen, empfand sie auf seltsame Art wie Schlüssel zu irgendetwas, wie Hinweise oder Passwörter. Als wären die Menschen mit ihren Namen so eng verbunden, wie mit nichts anderem, doch oft schienen diese einfach nicht zu passen. Diese Mädchen, alle drei fünfzehn Jahre alt, guckten jedem hinterher, der ein wenig muskulös aussah und riefen dem dann nach, dass sie ein Kind von ihm wollten. Eric verstand sie nicht und es war ihm auch nicht klar, was daran so unfassbar amüsant sein sollte. Menschen waren so seltsam. Gleichzeitig grübelte er über seine anfängliche und ihre noch immer anhaltende Verlegenheit. Was er wohl täte, falls eine von ihnen ihn ernsthaft ansprechen würde? Er grinste. Immerhin, sie sahen einen Grund, ihm nachzuschauen.

      Als Eric schließlich am großen Duschraum ankam, fiel ihm gleich jene hämische Visage auf, mit welcher er in letzter Zeit allzu oft belästigt wurde. Jan, jemand, der sich für was ganz Großartiges hielt. Mia hatte einmal gesagt, niemand würde als Idiot geboren. Viele im Heim waren sich einig: Jan könnte die eine Ausnahme sein. Er war kaum einen Kopf größer als Eric und dennoch schielte er jedes Mal von oben auf ihn herab, soweit das möglich war, um seine imaginäre Vollkommenheit und Überlegenheit möglichst deutlich zu unterstreichen. Er war schwer und stark, sein Spiel allerdings durchschaubar. Jan hatte mehr Respekt vor Eric als vor allen anderen im Heim und doch versuchte er, genau das zu überspielen. Eric erinnerte sich ungern an den Grund, verspürte dann jedes Mal eine gefährliche Spannung in sich, als wollte er Jan umlegen. Jan war der Grund für Erics unfreiwilligen Ruf als Tier oder Biest und ließ kaum eine Chance aus, diese Begriffe möglichst abwertend zu verwenden.

      Es war an dem Tag gewesen, als Jack zusammen mit einem anderen Jungen im Heim angekommen war. Jan, damals selbst elf Jahre alt, hatte dem Neuen und damals Siebenjährigen grundlos ins Essen gespuckt. Er hatte gewartet, ob der Kleine vielleicht losheulen oder einen sicher verlorenen Kampf beginnen würde. Doch Haku, der Japaner, wie ihn später alle nannten, hatte sich unbeeindruckt eine neue Schüssel Reis genommen und sich anderswo hingesetzt. Und genau das, nicht beachtet zu werden, hatte Jan schon damals nicht ausstehen können. Er hatte sich auf Haku gestürzt und ihm ins Gesicht geschlagen, den Kleinen am Boden gehalten und ihn nach allen Regeln der Kunst verdreschen wollen, während seine großartige Gang - wie sie sich stolz nannten - darauf achtete, dass niemand dem weinenden Jungen helfen würde. Selbst einige der Älteren hatten einen Moment gebraucht, ehe sie sich so langsam dazu entschließen konnten, einzugreifen. Eric jedoch war aufgestanden, wie aus dem Nichts und stumm wie ein Schatten hatte er Jans Freunde mit ungeheurer Kraft beiseite geworfen und Jan am Hals gepackt, ihn von Haku hochgerissen und scheinbar mühelos quer durch den Raum gezogen.

      Als Jans Freunde Eric festhalten wollten, hatte sich Eric wie ein rasendes Tier brüllend von ihnen losgerissen und sich auf den geschockten Jan gestürzt, der sich gerade wieder aufrappeln wollte und gar nicht verstand, wie ihm geschah. Eric versetzte ihm damals einen Schlag und Jan war wie tot in einer Ecke liegen geblieben, aber Eric war ihm gefolgt und gerade, bevor er erneut zugeschlagen hätte, war er wie versteinert stehengeblieben und zu sich gekommen. Jedem der Umstehenden war sofort klar gewesen, dass Eric in dem Moment keine Ahnung gehabt hatte, was geschehen war. Nach einigen Sekunden war er neben Jan auf die Knie gefallen, verängstigt beobachtend, wie Jans Atmung völlig außer Kontrolle geriet. Als schließlich Mia herbeigestürmt kam und die Situation erkannte, hatte sie Eric kaum beachtet und Jan irgendwie aus dessen Bewusstlosigkeit geholt, ihn untersucht und ihm aufgeholfen. Jan war mit einer verstauchten Hand, Kratzern an der Kehle und einem steifen Nacken davongekommen, heulend und nach Luft schnappend in sein Zimmer verschwunden, begleitet von seinen Verbündeten, welche sich kaum getraut hatten, Eric aus den Augen zu lassen. Eric jedoch hatte sich nur wortlos die Tränen aus dem Gesicht gewischt, sich an seinem Platz niedergelassen und seine Mahlzeit fortgesetzt, als wäre nie etwas gewesen. Minutenlang sprach niemand ein Wort, alle starrten Eric an aber vermieden jeglichen Augenkontakt. Eric hatte keine Ahnung, was sie gesehen hatten, war damals selbst nicht einmal in der Lage gewesen, zu erkennen, was genau passiert war. Als Jack noch am selben Abend als neuer Mitbewohner zu Eric ins Zimmer geschickt wurde, hätte er sich fast vor Angst in die Hosen gemacht. Eric durfte sich ihm nicht nähern und Jack schlief die ganze Nacht nicht. Er gab Eric den Namen »Long«, soviel konnte Eric trotz all der fremden Worte begreifen. Nach zwei Monaten hatte sich zwischen ihnen eine tiefe Freundschaft entwickelt und Jack setzte einfach »Xiao« davor. Schon einen Tag nach der Situation mit Jan hatten die ersten begonnen, Eric nur noch als wildes Tier oder Biest zu handeln. Der hatte sich dem bedrückt und beschämt ergeben, bevor ihm klarwurde, dass vor allem die Ältesten es respektvoll meinten. Lange hatte er niemanden fragen können, auch Jack nicht, was überhaupt passiert war.

      So hatte Jan äußerst heftig gelernt, dass diesem Eric nicht zu trauen war und fortan versuchte er, seine Niederlage mit Bosheit zu überspielen. Er nutzte jede Gelegenheit, um Jack zu bedrohen, hatte ihn bisher jedoch nie angerührt. Während er und fast alle anderen Eric damals für viele Tage eher ausgewichen und mit Angst begegnet waren, hatte sich Jan bald erholt und begonnen, seinen Körper zu trainieren, um es Eric irgendwann einmal heimzahlen zu können. Von einem fiesen Jungen hatte er sich, durch Eric traumatisiert, in ein sadistisches, gewalttätiges Wesen verwandelt und sich seinen unangefochtenen Platz als Boss unter fast allen Jugendlichen der Umgebung erzwungen. Er duldete nur die Stärksten als Handlanger und war nie zimperlich, wenn es um Erniedrigung oder schlichtweg gelangweilte Gewalt ging. Eric war Jans letzte Hürde, wegen ihm und in seiner Gegenwart rührte Jan niemanden im Haus ernsthaft an, was jedem im Heim absolut klar war. Doch Eric beanspruchte weder Jans Position noch war er überhaupt an dem idiotischen Spiel interessiert. Er war einfach nur im Weg.

      Eric blinzelte, als die Erinnerung verflog und eine zugeschlagene Tür ihn zurückholte. Verwirrt stellte er fest, dass kaum drei Sekunden vergangen waren, obwohl es sich anfühlte, als wäre er ewig lange abgedriftet. Nun stand Jan immer noch da, tatsächlich ziemlich stark und massig, blockierte den Eingang zum Duschraum und seine sechs Kumpel standen bedrohlich lächerlich hinter ihm. Fast alle groß, breit und dämlich, einer von ihnen zerlegte feixend mit offenem Mund einen Kaugummi. Doch die Unsicherheit in ihren Augen war noch immer nicht verschwunden, jeden Tag aufs Neue wurde das offensichtlich. Eric spürte sie wie einen Geruch, konnte ihre Angst fast schmecken. Ihre einzige Sicherheit bestand darin, dass sie Eric nicht allein gegenüberstanden und dass der nicht so war wie sie. Abgesehen davon, dass auch er mit den Jahren stetig stärker geworden war. Bevor sich Eric an ihnen vorbeischieben konnte, öffnete Jan den Mund.

      »Morgenstunde hat Gold im Munde!«, rief Jan schrill und Eric war sich sicher, dass Jan ihn am liebsten mit einem harten Stoß am Weitergehen gehindert hätte. Doch das traute Jan sich noch nicht. Eric prüfte gelangweilt und routiniert Jans Begleitung, befand die Situation für ungefährlich. Er war müde und unaufmerksam, doch dieser Typ schaffte es jedes Mal, ihn aufzuwecken. Meistens sagte Eric gar nichts, doch gerade jetzt war es ihm so egal, dass er sich zu einer Antwort hinreißen ließ.

      »Du bist aber nicht Morgenstunde und aus deinem Munde kommt den ganzen Tag nur Scheiß. Woran du meinetwegen ersticken darfst, du bist so langweilig. Jetzt lass mich durch, es gibt hier Leute, die wissen, dass man sich waschen sollte.«

      Mit diesen Worten schob er Jan einfach beiseite und ging zur hintersten Kabine. Da hörte er Jan hinter sich:

      »Nur dreckige Tiere waschen sich. Ach ja: Ich habe herausgefunden, was Xiaolong bedeutet!«

      Eric hielt inne. Es nervte ihn schon, wenn Jack ihn so nannte, aber aus Jans Mundwerk klang das gleich noch ein paar Nummern provokanter. Und falls der es wirklich herausgefunden haben sollte, würde er es sicher nicht für sich behalten, denn er wusste, wie sehr Eric davon irritiert war. Aber Eric dachte an einen von Jans dämlichen Witzen: »Dein Name bedeutet Hundefutter« oder sowas in der Richtung. Das mussten Jans Freunde sich immer ausdenken und der musste es auswendig lernen. Denn kleine Spickzettel brachten ihm nichts, er konnte ja kaum einen Satz lesen. Eric drehte sich langsam um, sah Jan in sein blödes Gesicht und fragte, ehrlich interessiert:

      »Ja? Sprich. Erleuchte mich. Lass mich raten … Hat es was mit meiner Hautfarbe zu tun?«

      Jan lachte überlegen. Offenbar erfreut, dass die Nummer Früchte trug.