Verspielte Erbschaften. Werner Linn

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Название Verspielte Erbschaften
Автор произведения Werner Linn
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783847692102



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Banken und zahlungsunfähige Euroländer zu retten als himmelsschreiendes Unrecht empfunden. Norbert Blüm(43) geht sogar so weit, neue Begriffe, wie z.B. den „Finanzkapitalismus“, den er einer neuen Weltreligion gleichsetzt, deren „heilige Trinität“ Deregulierung, Privatisierung und Kostensenkung heißen. Wenn dennoch im schlimmsten Fall die Pleite Gehenden nach dem Staat rufen, widerspricht das letztlich sogar den eigenen Glaubensgrundsätzen, denn es sind nicht die Selbstheilungskräfte des Marktes, sondern „eine ganze Reihe von hoheitlichen Gewaltakten“(44), die dann das Schlimmste verhindern. Zu Recht folgert Blüm aus dem eben gesagten, dass die Vertreter dieser neuen „Weltreligion“ zwar auf Scheiterhaufen usw. verzichten, aber ihre Widersacher dadurch „exkommunizieren,“ indem sie die von Menschen gemachten Regeln und Strukturen unserer Weltwirtschaft zu höheren Mächten oder gar zu einer Art von Naturgesetzen erklären, gegen diese sich nur Dummköpfe und Demagogen zu widersetzen glauben.“ Folgerichtig führt Blüm fort: Also zelebrieren die neoliberalen Ökonomen die Liturgie der Liberalisierung, bis auch die letzten Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft die Regeln der Finanzmärkte für den wahren Glauben hielten. Dass hieran etwas Wahres ist, lässt sich leicht daran ablesen, dass bspw. für eine Rettung des zahlungsunfähigen Griechenland sogar Sozialisten und Grüne entgegen ihren eigenen Parteigrundsätzen sind, obwohl letztlich eine „Rettung“ dieses südeuropäischen Landes - wie auch weiterer von der Insolvenz bedrohter Euroländer - lediglich Geldinstitute davor bewahren kann, enorme Summen abschreiben zu müssen. Letzteres würde auch hier den Regeln der Marktwirtschaft entsprechen, denn wenn eine Bank im Rahmen ihres operationalen Geschäfts die ausgeliehenen Gelder nicht mehr hereinbringen kann, müssen diese auch dann abgeschrieben werden, wenn das in letzter Konsequenz zur Insolvenz des Geldhauses führt.

      Weite Kreise haben - wie Blüm (a.a.O.) glaubhaft ausführt – durch Schaffung von Hedgefonds, private Equity Fonds und sonstiger Derivate den Finanzkapitalismus mehr und mehr in eine Illusionswelt verwandelt, in der die Herstellung nützlicher Güter und die Erbringung von Dienstleistungen mit dem verwechselt werden, was doch eigentlich nur zum real wirtschaftlichen Zweck ist: Geld(45) Der „Finanzkapitalismus“ versucht sich durch Vergesellschaftung der Verluste auf Kosten der Gesellschaft auch dann am Leben zu halten, wenn eine „Nachfolgeblase“ die „Vorgängerblase“ auflöst(46). und immer mehr „Pump auf Pump“ finanziert wird(47).

      Das hier Gesagte wird überdeutlich, wenn man in der Tagespresse liest, dass Bankmanager „Milliarden verzockt haben(48)“ Hier wird nämlich deutlich, dass der Geldmenge keinerlei reale Werte mehr gegenüber stehen und dennoch eine kleine Gruppe von „eingeweihten“ Traumvermögen in einer Größenordnung sich zueignen, dass ihnen am Ende die ganze Welt gehört. Blüm belegt dies – wie übrigens auch viele andere renommierte Wirtschaftsfachleute – mit Zahlen: Weltweit betrug der Anteil der Realwirtschaft am gesamten Geldverkehr 2008 gerade einmal 0,4 %. Umgekehrt bedeutet dies: „99,6 % aller getätigten Investments haben nichts mehr mit der realen Wirtschaft zutun… Das durchschnittliche Nettoeinkommen des deutschen Haushaltes liegt derzeit bei knapp 2.700,00 €. Verhielte sich eine Familie nach den Spielregeln der Weltwirtschaft (d.h. des Finanzkapitalismus), dann dürfte sie monatlich, man kann es glauben, nur 10,8 € für ihren gesamten Lebensunterhalt ausgeben. Den „Rest“ müsste sie in die Wiesenspekulationen oder Futures stecken(49)“. In diesem Zusammenhang erinnert Blüm an den Nobelpreisträger Edmund Phelps, der forderte: „Wir müssen zurückkehren zu altmodischen Banken, die Investitionen für reale Dinge finanzieren.“

      Ordnet man demgegenüber Marktwirtschaft und die sie korrigierende Sozialgesetzgebung dem vorherrschenden Menschenbild unter (Gruppenegoismus), so versteht es sich von selbst, dass die Schwachen unter den Schutz der Starken gestellt werden und die dies bedingende Gesetzgebung braucht nicht als Fremdkörper im marktwirtschaftlichen System angesehen zu werden(50).

      Der Feudalismus hatte mit derartigen Problemen überhaupt nicht zu kämpfen, denn es war Sache des "Patron", auch für seine kranken und schwachen Anvertrauten zu sorgen(51). Nicht der Staat als solcher war gefordert, es war Sache des Arbeitgebers im weitesten Sinn, anstatt einer Sozialgesetzgebung, die soziale Komponente darzustellen.

      Die Wirtschaftsform, die zu diesem originären Menschenbild passt, ist auch die Wirtschaftsform, die den größtmöglichen Nutzen für alle in das System Eingeschlossenen garantieren kann. Auf diese Weise wird das an sich als “unsympathisch” empfundene egoistische Motiv für alle Betroffenen zum altruistischen Moment, wenn nämlich die Triebkraft der Profiterziehlung gleichzeitig die Versorgung der Schutzbefohlenen mit einbezieht(52).

      Ein solches Menschenbild bedingt somit:

      1. Eine (begrenzte) Verwirklichung sämtlicher ökonomischen Ziele(53)

      2. Ein Funktionieren ohne einschneidende Wirkungsabflüsse

      Auf diese Weise vollzieht sich das, was mühsam in der heutigen Form der sozialen Marktwirtschaft vorgenommen wurde, ohne dass es zu Friktionen in erheblichem Umfang kommt.

      Planwirtschaftliche Elemente werden in diesem Zusammenhang lediglich außenwirtschaftlich notwendig, nämlich dort, wo knappe Ressourcen eine Bewirtschaftung notwendig machen(54).

      Ein solches in sich geschlossenes System kann einem anderen System, das in gleicher Weise aufgebaut ist, auf marktwirtschaftlicher Basis gegenübertreten, ohne dass es dabei planwirtschaftlicher Komponenten bedarf. Auch andere Systeme können einem solchen System gegenübertreten; dann allerdings wird es wahrscheinlich, dass das egoistische System dem anderen System die Marktgesetze vorschreiben wird. Das bedeutet im Wesentlichen nichts anderes, als heute auch schon praktiziert wird, nämlich die Durchsetzung staatlicher Interessen nach außen gegenüber anderen staatlichen Interessen(55).

      Ein solches System ist letztlich auch in der Lage, mit den Problemen der Zeit ohne Weiteres fertig zu werden. Die Arbeitslosigkeit als ein Faktor, der dem Gruppenegoismus im Wege steht, wird von selbst abgebaut(56). Tarifkonflikte in der Weise, wie sie heute bekannt sind, fallen zwanglos weg, wenn damit die gruppenegoistischen Ziele im Inneren den Vorrang vor Individualinteressen erhalten(57). Am Ende steht somit ein neues Wirtschaftssystem, das die Vorteile des marktwirtschaftlichen Fortschritts mit den Vorteilen eines modernen Wohlfahrtsstates vereint.

      Soweit andere Systeme sich nicht schnell genug auf die Neuentwicklung einstellen, bedeutet dies einen Vorsprung, der sich letztlich auch außenwirtschaftlich niederschlagen muss. Gruppenegoistische Ziele werden auch in einem solchem System ihren Weg finden. Die Auseinandersetzungen können jedoch, anders als in der Vergangenheit, wertfreier gestaltet werden, wo sich nicht ein ideologisch in sich gefestigtes kapitalistisches System einem gefestigten kommunistischen System gegenübersieht. Die kleineren Rahmen schaffen andere Bedingungen, die es wiederum erlauben, ohne globale Auseinandersetzungen auszukommen(58).

      Letztlich wird ein solches System dem Weltfrieden dienen, denn eine Auseinandersetzung globalen Ausmaßes, wie noch zur Zeit des kalten Krieges ins Kalkül gezogen, scheitert von vornherein an der Vielfalt der Systeme.

      Es stellt sich nunmehr die Frage, warum ein solches System sich bis jetzt nicht etablieren konnte. Die Antwort hierauf ist denkbar einfach:

      Das kapitalistische System trägt nach der Überwindung des Kommunismus immer noch individualegoistische Züge und die dort in kollektiver Weise Herrschenden möchten um jeden Preis eine Infragestellung ihrer Position verhindern(59). Es ist deshalb nicht von der Hand zu weisen, dass gerade hierin die Rigidität des gegenwärtigen Systems eine Entwicklung behindert, intentionsmäßig sogar verhindern muss(60).

      Das System, das nach dem Ende des zweiten Weltkrieges wie eine Glocke dem europäischen Kontinent übergestülpt wurde(61) beharrt auf der Einhaltung sämtlicher Verträge, um damit einer Entwicklung entgegenzuwirken, die die Macht dieses Systems bedrohen könnte(62). So erklärt es sich auch, dass die Familie als Keimzelle des “guten” gruppenegoistischen Systems von Anfang an in Frage gestellt wurde und sukzessiv der Stigmatisierung anheim fiel(63). Die monetäregoistischen(64) Systeme versuchen, von außen die Entstehung eines solchen Systems zu verhindern, so dass ohne Weiteres dadurch erklärbar wird, warum gerade Deutschland in systemtheoretischer Hinsicht in der Schwebe gehalten werden soll(65). Betrachtet man weiterhin, dass dieses System den wirklich Herrschenden