Название | Der Gewalt keine Chance |
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Автор произведения | Martina Dr. Schäfer |
Жанр | Социология |
Серия | |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783741880735 |
Wie auch immer, die angemachte Person bestimmt, was sie in ihr Ohr hineinlassen will, egal ob in der direkten Konfrontation oder via Telefon. Da Menschen aber ihre Ohren nicht so gut verschließen können wie ihre Augen, ist es gerade auf der sprachlichen Ebene wichtig, die Quelle der unangenehmen Bemerkungen und ekligen Witze auszuschalten. Das machen wir ja locker, wenn z. B. im Zugabteil jemand lauthals solche Sprüche klopft; zur Not holt man sich die Hilfe beim Schaffner, damit dieser den Typen zum Schweigen bringt.
Die mädchenfeindlichen Witze eines niederbayrischen Gymnasiallehrers einzudämmen dürfte den Schülerinnen schon um einiges schwerer fallen, ebenso die frauendiskriminierenden Tiraden eines Professors weit vorne am Pult des großen Hörsaales, insbesondere, wenn der über Wohl und Wehe des weiteren Studienganges zu befinden hat. Jegliche sexuelle Gewalt hat diese zwei Seiten: die Tat selber und den Zustand der Abhängigkeit, in dem sie geschieht und der eine Gegenwehr so schwierig macht. Aber wir haben ein Recht darauf zu bestimmen, womit wir unsere Ohren füllen wollen und womit nicht.
Schlagworte
Verwirrung, Verunsicherung und Austauschbarkeit
Regeln
Starren verboten. Meine Ohren gehören mir.
1.3 Meine Haut gehört mir oder: Wer liebt, lässt los
Nach den äußeren Grenzen, die uns Ohren, Augen und Nase signalisieren, nach «Gartenzaun» und «Flügelspannweite», «Raumkapsel » oder «Haus» kommt nun die innerste Grenze, die Haut – gewissermaßen das «Wohnzimmer» –, die es manchmal zu schützen gilt. Die Haut ist nun wirklich jener Bereich, den kein Mensch, dem wir nicht vertrauen, berühren darf. Nur Menschen, die wir lieben und denen wir Vertrauen schenken, lassen wir so nahe an uns heran, dass sie uns berühren können.
Das gilt aber auch für jene Lebensbereiche und Situationen, in denen wir gezwungenermaßen mit anderen Leuten zusammen sind. Bei allem Gedrängel in öffentlichen Verkehrsmitteln versuchen die meisten, direkte Berührungen zu vermeiden. Passiert es doch, weil der Busfahrer vielleicht etwas arg abrupt auf die Bremse tritt, so entschuldigt man sich bei seinem Nebenmann für die Rempelei.
Vielen Schülerinnen und Schülern ist die gut gemeinte, joviale Berührung durch Lehrkräfte unbehaglich. Es ist das Machtgefälle, das diese Berührung unangenehm macht. Bei aller Freundlichkeit bleibt sie doch eine Geste «von oben» «nach unten». Lehrlinge sind nicht allzu begeistert, wenn der Meister die Hand auf ihre Schulter legt, selbst wenn die Geste Anerkennung ausdrücken soll. Junge Frauen sind sich selten sicher, ob das Getätschel auf den Rücken durch einen Vorgesetzten wirklich nur gut gemeint ist.
Es gilt hier also grundsätzlich, dass nur die Frau, das Mädchen selber bestimmt, wer sie anfassen darf. Braucht sie zum Beispiel Trost, wird sie sich der Person schon zuwenden, der sie in einer schwierigen Situation vertraut. Es gibt Menschen in ihrem Leben, denen sie ohne Probleme bei Kummer um den Hals fällt, um sich auszuweinen, aber es gibt eben auch Menschen, denen würde sie sich niemals so nähern, selbst wenn gerade eben ihre Welt zusammengebrochen ist und niemand sonst in der Nähe weilt.
Gerade die Berufswelt, Schule und Ausbildung sind, als generell professionalisierte Orte, keine, an denen man sich «an die Haut» geht. Die Berührung der Haut hat immer etwas Privates an sich. Sie gehört, zumindest in unserer Kultur, in die privaten Lebenszusammenhänge und findet innerhalb des Intimbereichs statt. Dieser Intimbereich selber hat verschiedene Bereiche einer mehr oder weniger starken «Privatisierung». So ist es Sitte, dass Menschen sich zur Begrüßung und zur Verabschiedung die Hände reichen. Dies wird als Akt der Höflichkeit gesehen, und Kinder werden dazu angehalten, «das Händchen» zu geben – möglichst auch noch das «richtige»!
Der Händedruck eines Menschen kann viel über sein Wesen aussagen. Schlaff-feuchte Hände verursachen ein Unbehagen; Leute mit kalten Händen tun einem leid, besonders wenn man ihnen nahe steht; ein warmer, kräftiger Händedruck ist sympathisch, aber ein zu fester Händedruck wieder nicht, signalisiert dieser doch Kraft und Machtgelüste. Will man sich die andere Person lieber auf körperlicher Distanz halten, streckt man den Arm so weit und so steif wie möglich von sich weg: Wer fühlen kann, der fühle: Auch wenn es mir die Höflichkeit gebietet, Ihnen die Hand zu drücken, bleiben Sie mir vom Halse!
Manche Menschen, die tendenziell gerne die Distanzschwellen anderer, meist vermeintlich Schwächerer überschreiten, ziehen diese während des Händedrucks kräftig näher an sich heran. Sie missbrauchen also die Höflichkeitsregel, um Macht zu demonstrieren, Grenzen zu überschreiten und das Distanzverhältnis zu bestimmen.
In Ländern, wo ein bis drei leichte Wangenküsse zur üblichen Begrüßungsregel gehören (Schweiz, Frankreich), kann der Händedruck der rettende Ausweg sein, wenn einem diese Art Begrüßung nicht behagt. Wesentlich näher, im Idealfall herzlich gemeint ist die Begrüßung mit Handschlag und gleichzeitig Griff nach dem Unterarm. Sie überschreitet ganz eindeutig die Höflichkeitsform und ist in der Regel Freunden, nahen Kollegen, Vereinsmitgliedern vorbehalten.
Herzlich oder tröstend kann das Legen des Armes um die Schultern sein, um die andere Person näher an sich heranzuziehen. Vermutlich gestattet man das nur den nächsten Verwandten oder Familienangehörigen, denen man traut, der Busenfreundin, den Liebespartnern.
Umarmen ist eine Begrüßung unter nahen Freunden, eine Umarmung mit Kuss auf den Mund jene von Liebenden oder Familienmitgliedern, die sich mögen. Früher forderte man diese Begrüßung generell sehr gerne Kindern ab: «Gib der Tante ein Küsschen!» Aber seit man in der Gewaltprävention für Mädchen wichtige Erkenntnisse gewonnen hat, weiß jeder Erwachsene, dass «Küsschen auf Kommando» oft die Türe für ganz andere Grenzüberschreitungen öffnen, da das Kind nicht lernt, nach seinen eigenen Gefühlen und Bedürfnissen zu handeln.
Auch jemandem die Hand auf die Schultern legen oder auf den Rücken klopfen ist eine freundschaftliche Geste. Sie kann auch lobend sein, doch der solchermaßen lobende Erwachsene sollte sich sehr sicher sein, ehe er diese Art von Körperkontakt einem kleineren, schwächeren oder untergebenen Menschen zukommen lässt, dass dieser sie auch annehmen mag und sich dabei wohlfühlt. Den Nacken kraulen, den Rücken kratzen lässt man sich nur von vertrauensvollen Familienmitgliedern, von der Liebsten, von «Mama und Papa», wie es die Kinder in meinen Selbstbehauptungskursen ausdrücken.
Erotische Berührungen wie das Streicheln der Lippen und Ohrläppchen, eine ganz bestimmte Art, die Finger ineinander zu verschränken oder über Rücken und Schultern zu streicheln, tauschen Liebende miteinander aus. Nur Liebende, Liebespaare! Und die Partner sind vor allen Dingen gleich stark. Kein Erwachsener darf ein Kind erotisierend berühren, kein Mensch darf einen anderen gegen seinen Willen so berühren.
Die ersten erotischen Berührungen gehören noch eher in das Umfeld des Flirtens, des Umwerbens. Ab einer bestimmten Intensität überspringen sie eine unsichtbare Linie zwischen «Schmusen» und Sexualität. Die Liebenden drücken sich heftiger aneinander, die Küsse werden stärker, die beiden gehen zu Zungenküssen über und berühren sich an den Brüsten, zwischen den Beinen. Auch hier gilt die ganz einfache Regel, dass kein Erwachsener ein Kind in dieser Weise berühren darf, kein Mensch einen anderen gegen dessen Willen.
Schlussendlich werden die Kleidungsstücke, welche ja eine Grenze vor der Haut darstellen, abgelegt, und die Liebenden streicheln, küssen, drücken und berühren sich ohne solche Grenzen und überall am Körper. Der Höhepunkt sexueller Kontakte ist das Überschreiten der äußeren Hautgrenze, das Erkunden der verschiedenen Körperhöhlen der