Rufe aus Morgania. Brigitte H. Becker

Читать онлайн.
Название Rufe aus Morgania
Автор произведения Brigitte H. Becker
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742781550



Скачать книгу

      Den hatte ihr höchst wahrscheinlich das häufige Vorstrecken ihres Kopfes eingebracht, um mit ihrer ausgeprägten Schnüffelnase, die der von Hunden glich und das Gesicht beherrschte, Witterung aufzunehmen, was so in der Atmosphäre lag.

      Als ihr Gegenüber wieder zu sich kam, schenkte sie duftenden Tee aus der Blütenkanne ein. Meridor schnupperte dankend am hauchdünnen Blütentässchen, das sie ihr überreichte, und lobte den Kräutertee. Nachdem auch sie gekostet hatte, reckte Eliodor das vorstehende, energische Kinn noch etwas weiter vor, um intensiv wie ein Hund in die Luft zu schnüffeln.

      „Ich wittere Sorgen, größere als sonst. Was ist los mit dir?“

      Meridor nippte gedankenverloren an ihrem Tee, bevor sie gedehnt erwiderte

      „Du hast wie immer Recht. Ich brauche deine Hilfe. Wie du weißt, bereitet es mir immer noch Schwierigkeiten, Mutter Erde zuzuhören. Aber dass sie Hilferufe aussendet ist mir bei der letzten Konferenz der Elfenköniginnen bestätigt worden, und auch, dass sie sich von Menschenhand zunehmend verschmutzt, ausgelaugt und ausgebeutet fühlt, es aber vorerst bei Vorwarnungen belassen will, um abzuwarten, ob sie fruchten, bevor sie härtere Maßnahmen ergreift. Langsam reißt ihr der Geduldsfaden, was nur allzu verständlich ist. Nur wenn es uns gelingt, Menschen zu finden, die ihr helfen wollen, wird sie es sich noch einmal überlegen. Ich weiß nicht, wie es den anderen ergeht, aber meine Rufe verhallen ungehört.“

      Sie warf ihrem Gegenüber einen gequälten Blick zu. „Was ist nur mit der Menschheit los?“

      Die Züge der Waldfee verfinsterten sich beim Zuhören zusehends.

      „Das wüsste ich auch gerne.“ Sie zog die Stirn in Dackelfalten und überlegte angestrengt. Dann schlug sich Eliodor triumphierend auf die Schenkel.

      „Ja, das ist die Lösung! Ich werde die große Kristallkugel befragen.“

      Sich schwerfällig erhebend stellte sie das Teeservice aufs Tablett und dieses auf den Beistelltisch, wobei sie sich Meridors Hilfe rigoros verbat. Auf wackeligen Beinen stakste sie zur Regalwand am hinteren Raum Ende und zog ein schwarzes Tuch mit Sternmuster von ihrer größten Kugel, die in der Ecke stand.

      Sichtlich angestrengt schleppte sie das schwere Stück zum Tisch. Dann suchte sie sich zwei dicke Bücher aus den Regalen aus. Meridor, die nicht länger zusehen konnte, handelte sich wieder eine Abfuhr ein, als sie ihr eines abnehmen wollte.

      „Das schaff ich schon allein. Setz dich wieder hin, aber besser neben mich. Dann kannst du etwas sehen.“

      Was blieb ihr anderes übrig? Um wenigstens etwas tun zu können, stellte Meridor den umgedrehten Korbstuhl zu den anderen an den Tisch, wo Eliodor die Bücher aufschichtete.

      Mit dem Ergebnis noch nicht ganz zufrieden, holte sie noch ein weiteres und legte es auf den Stapel. Mit einem Nicken schickte sie sich an, die schwere Kugel anzuheben. Jetzt ließ es Meridor sich nicht nehmen, ihr zur Hand zu gehen.

      Als die große Kristallkugel glücklich in der Tischmitte auf dem Bücherstapel in Augenhöhe stand, nahm Eliodor auf ihrem Armstuhl Platz und setzte ihr Monokel auf.

      Beide Elfen zogen ihre Stühle dicht an den Tisch heran und beugten sich über die Kugel.

      „Kannst du schon etwas erkennen?“, fragte Meridor gespannt.

      Eliodor legte den Zeigefinger an den Mund. „Psst! Ich muss mich konzentrieren!“

      Mit fremd anmutender Stimme raunte sie der Kugel die Beschwörungsformel zu:

      „Abra Labrum Koudrum Hex!“

      Rauch quoll aus ihrem Mund und vermischte sich mit dem aus der Kugel aufsteigenden, der sich bald nach der Befragung auflöste.

      Beide Elfen schauten fasziniert hinein.

      Bald waren nebulöse Figuren auf der Oberfläche auszumachen.

      Eliodor versenkte sich lange in die Bilder. Meridor hing an ihren Lippen, als sie mit tiefer, rauchiger Stimme ihre Eindrücke schilderte.

      „Ich sehe eine Uhr, eine riesige Uhr. Es wird es die Welt Uhr sein.“

      Meridor fuhr erschreckt zusammen, als die Andere nach bedeutsamer Pause plötzlich „Wahnsinn!“ kreischte. „Die Zeiger laufen immer schneller, und sie tickt wie verrückt!“

      Mit einer abwehrenden Geste würgte sie die Bemerkung ab, die Meridor auf der Zunge lag. „Warte. Jetzt tauchen Menschen auf, immer mehr Menschen, ein Gewimmel aller Hautfarben. Sie rennen alle um die Uhr, der Zeit hinterher, und es sieht so aus, als kämen sie nicht mit.“

      Meridor konnte sich noch so sehr anstrengen, doch konnte nichts erkennen.

      Eliodor starrte gebannt in die Kugel. Dann rief sie mit schriller Stimme. „Ich fasse es nicht! Was soll denn das? Viele gebärden sich wie aufgescheuchte Hühner, schubsen und treten sich gegenseitig vorwärts. Und dann immer diese Stimme:

      „Schnell, schnell“, oft mit dem Zusatz „Zeit ist Geld“… „Furchtbar!“

      Meridor fuhr erschreckt bei ihrem Aufschrei hoch. „Einige werden niedergetrampelt, vielleicht sogar zertreten... Und was ist mit denen? Die baumeln am Uhrzeiger wie die Affen und klammern sich mit der Macht der Verzweiflung an. Einige fallen herunter, andere springen von selber ab. Und was soll das alles?“

      Sie beugte sich noch tiefer herunter und spitzte die vorgeschnellten Ohren.

      Dann huschte ein wissendes Lächeln über ihre Züge. „Ah, jetzt verstehe ich! Daher die ganze Mühe. Die rackern sich ab, um die Uhr in ihrem Sinne zu verstellen. Während einige versuchen, die Geschwindigkeit zu drosseln, sind andere bestrebt, sie anzuhalten oder gar zurückzudrehen.“ Sie lauschte intensiv. „Und was ist daraus zu schließen?“ Aufatmend hauchte sie „Verstehe“, um sich dann laut und deutlich zu erklären:

      „Die Zeit beschleunigt sich; das Zeitgefühl verändert sich; die Menschen werden zu Gejagten, weil sie glauben, ihnen läuft die Zeit davon.“ Sie schüttelte verständnislos den Kopf. „Einerseits wird sich im Beruf abgestrampelt, andererseits um Freizeit zu gewinnen.“

      Der Rauch wurde zu beißendem Qualm, der, beide Elfen einhüllend, bei Eliodor Niesreiz und bei Meridor Hustenreiz auslöste. mit abwehrenden Armbewegungen keuchte sie:

      „Woher kommt dieser fürchterliche Gestank?“

      Als sich empfindliche Eliodors Nase hinlänglich beruhigt hatte, schnüffelte sie geräuschvoll und intensiv hinein.

      „Ich wittere Aufregung, Sorge und Angst. Es breitet sich in der Menschenwelt wie eine Seuche aus.“

      Meridor schluckte schwer. „Kann die Kugel sagen, wer dahinter steckt?“

      Der Qualm schwärzte sich, und es miefte noch erbärmlicher als sich Eliodor in der Vorbeuge danach erkundigte, die sie nicht mehr sehen ließ. Angewidert die überstrapazierte Nase zurückziehend schnellte sie zurück und tauchte urplötzlich wieder auf.

      „Bah pfui, das stinkt nach faulen Eiern! Ist ja nicht auszuhalten! Wüsste ich es nicht selber gerne, würde ich nicht …“

      Der Rest ging im Niesen unter, das nicht enden wollte. Ihre Überwindung war ihr anzusehen, als sie nach dem Anfall wieder untertauchte, um der Kugel die Antwort zu entlocken.

      Angewidert wandte sie sich ab und war wieder schemenhaft zu sehen.

      „Also, die Schattenwesen werden immer dreister und stiften Chaos an. Stell dir vor, die Banausen bombardieren Menschenohren mit schwarzen Wurmwinzlingen, die wie die Bienen summen.“ Sie warf Meridor einen forschenden Blick zu. „Du weißt, was das bedeutet?“

      Die Frage verebbte mit Echo. als die junge Königin ihr ernst zunickte.

      Mit dem Qualm verflüchtigte sich auch der grässliche Schwefelgestank.

      Mit verschleiertem Blick und rostiger Stimme wollte die wieder gut sichtbare Waldfee